Das Wespennest

60. Opas Bulle ist tot

Fortgesetzte Erzählung

Als die ersten Trommeln ertönten, hatte ich einen Traum. Ein dicker Malermeister ließ sich auf den Hintern fallen. Er trug einen Overall, der mal weiß war, stand auf, schaute über die Schulter zu mir herüber und ließ sich wieder fallen. "Schredda", sagte ich mir, "das hat was zu bedeuten", und nach einem kleinen Frühstück im Café Böhnchen wußte ich auch, was.

Das Getrommel gehörte zum Wiwwerfastelovend, der um zehn Uhr begann, und der Akrobat im fleckigen Overall gehörte zu Tante Lioba, die immer sagte: "Mädel, Mädel, du kriegst höchstens mal einen Malermeister zum Mann, wenn du in der Schule so weitermachst wie bisher."

Ich beschloß also, das Angebot zu prüfen, das ein freundlicher Kripomensch mir bei meiner letzten Festnahme gemacht hatte. Ich arbeitete damals für eine Agentur, die auf den etwas anderen Auftrag spezialisiert war. Mal ging ich als Putzfrau und fertigte hinterher Grundrisse an, mal nähte ich Markenlabels in nachgemachte Klamotten, und manchmal ließ ich mich auch von etwas besseren Herren zum Essen einladen und heimlich fotografieren, wenn's gemütlich wurde.

Der für mich zuständige Mann im Polizeipräsidium hieß Fahrensohn und an seiner Tür stand Sonderkommission für Sonderausbildungsmaßnahmen. Er war etwa 40 Jahre alt und hatte ein Zimmer, das so groß war wie meine Besenkammer und auf den Waidmarkt hinausging, wo das Trommeln schon Fortschritte machte.

Ich wußte, daß sie von nun an nicht aufhören würden zu trommeln, fünf lange Tage lang, auf verschieden großen Trommeln, in großen Gruppen, umringt von zahllosen Menschen, die schrille Schreie ausstießen und Pogo tanzten, night and day, ließ mir aber nichts anmerken. Wer mal Punk war, hält was aus, auch wenn Punker-Unruhen gemessen am Kölner Straßenkarneval ein Kindergartenfest sind.

"Was trinken Sie?" frug Fahrensohn korrekt. "Was Sie trinken." - "Ich trinke Apfelsaft." - "Dann bringen Sie mir ein Kölsch", bat ich die junge Polizistin, die eine rote Knollennase trug.

Sie wissen vermutlich was passiert, wenn ihr ganzes Sein von der Erwartungshaltung konditioniert wird, den ersten Schluck Kölsch des Tages zu kriegen, und nun aber etwas anderes ihren Geschmacksnerven widerfährt. Man kann dabei die interessante Feststellung machen, daß unser Gaumen ein Gedächtnis hat. Er weiß im voraus, wie ein Kölsch zu schmecken hat und reagiert verstört, wenn das ankommende Getränk seinem Vorwissen widerspricht. Der Apfelsaft, der an sich ja nicht unangenehm schmeckt, nimmt auf die Weise einen absolut ekelhaften Geschmack an.

Es dauerte also eine Weile, bis wir uns wechselseitig, unter Entschuldigungen mit Papier- und anderen Taschentüchern trocken gewischt hatten und zur Sache kamen.

Herr Fahrensohn beschwerte mit seiner gepflegten Hand eine Akte, auf die jemand mit Filzstift meinen Namen geschrieben hatte. Ich konnte mir denken, was in der Akte stand, also sagte ich erst mal gar nichts.

Er sagte: "Frau Modjewski, machen wir uns nichts vor. Sie sind genau die Person, die wir suchen. Sie haben schauspielerisches Talent, Durchsetzungsvermögen, können die jeweilige Lage gut überblicken, sind kreativ, verlieren auch in brenzligen Situationen nicht die Nerven und können auf eine lange Erfahrung im Umgang mit Polizeibeamten zurückblicken. Habe ich recht?"

Ich schwieg, gerührt von soviel Lob und Anerkennung, und vor meinem inneren Auge lief der dazu passende Film ab. Natürlich hatte er recht.

"Was wir suchen", fuhr er fort, "sind simulationsfähige Subjekte, die in jeden Zielfahndungsraster passen und unseren AZUBIs auch in Extremsituationen nicht die Illusion rauben, tatsächlich die gesuchte und polizeilich zu behandelnde Zielperson vor sich zu haben. Für diese schwierige Aufgabe sind Sie genau die Richtige. Sie haben schauspielerisches Talent ..."

"Ich weiß", sagte ich, "das sagten Sie schon. Gehe ich recht in der Annahme, daß es sich bei Ihren AZUBIs um auszubildende Zivilfahnder handelt, die anhand meines Körpers lernen sollen, wie man eine gesuchte, polizeilich zu behandelnde Person aufspürt, aufgreift, festnimmt, an den Ohren zieht ..."

"Genau so ist es!" rief er enthusiasmutig. "Opas Bulle ist tot! Was wir brauchen, sind Fahndungsasse, die den besonderen Anforderungen der politischen Ebene an unsere Sicherheitsorgane gewachsen sind. Schauen Sie manchmal Krimis im Fernsehen? Kommissar Rex, Cobra, Derrick, Großstadtrevier?"

Ich schwieg schuldbewußt. "Da sehen Sie", fuhr er fort, "Sie sehen sich den Quatsch gar nicht erst an, aber für unsere Einsatzkommandos ist es praktisch die einzige Schulung, die sie haben. Momentan ist es doch so: Wenn unsere Leute eine verdächtige Person anhalten, außer Gefecht setzen, durchsuchen, abführen etcetera, denken die Leute, wir drehen eine Szene für eine Vorabendserie und grinsen stupide in die versteckte Kamera. Wir brauchen mehr Realismus im Kampf gegen die kleine und große Kriminalität. No tolerance!"

"Ich soll also ..."

"Genau", sagte er, "durch möglichst perfektes Styling, Maske, Kleidung, Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Sprachgestik."

"Ich verstehe", sagte ich. "Ich verkleide mich zum Beispiel als drogenabhängige Kleindealerin, gehe ahnungslos an einen Straßencafé vorbei, und in dem Augenblick, wo zwei junge Männer über die Straße kommen, die aussehen, als wären sie seit Jahren nicht beim Frisör gewesen, werfe ich ganz nebenbei eine Bombe in den nächsten Gulli und versuche wegzulaufen, aber Ihre Leute sind schneller."

"Genau."

"Also laß ich mich festhalten ..." - "Genau." - "Gegen die Hauswand drücken ..." - "So ist es." - "Das Gesicht zur Hauswand ..." - "Sie sagen es." - "Ich hebe die Arme ... spreize die Beine ..." - "Sie tun nur, was Sie gesagt kriegen." - "Lasse mir in den Schritt fassen ..." - "Aber hallo!" - "Die Titten kneten ..." - "Nur um zu prüfen, ob Sie was im Büstenhalter versteckt haben." - "Mich im Polizeigewahrsam vom halben Revier vergewaltigen ..." - "Ich weiß nicht, ob Sie so weit gehen sollten."

Wir besprachen dann noch die arbeitsrechtlichen Details meiner zukünftigen Aufgabe, Dienstzeiten, Bezahlung, und eine Weile verhandelten wir auch über die Gefahrenzulage.

"Was ist", sagte ich, "ich spiele eine kurdische Scheinasylantin, die abgeschoben werden soll, einer ihrer Jungs drückt mir dieses Spezialkissen ins Gesicht, damit ich nicht so laut schreien kann, und schon machen ihre Leute mich alle." Aber er beruhigte mich: "Da ist doch immer einer unserer Ausbilder in der Nähe, schon um zu checken, daß die Jungs alles richtig machen, auch wenn der in der Öffentlichkeit nicht eingreifen kann."

"Und wieso, bitte, kann der nicht eingreifen?"

"Aber verstehn Sie doch, Frau Modjewski. Das wäre kontraproduktiv. Der Bürger braucht die Illusion, daß wirklich etwas getan wird für seine innere Sicherheit, und die vermitteln wir ihm, indem wir polizeiliche Präsenz zeigen, wo er sie am wenigsten erwartet. Vor der Eisdiele, im Biergarten, in der U-Bahn, im Schwimmbad. Und nicht, indem wir den polizeilichen Einsatz als Farce entlarven."

Draußen brachte der ostinate Beat einer fünfzigköpfigen Drummerband meinen Herzrhythmus auf Hochtouren. Ich trank zwei Kölsch im Fringsviertel, zog einer Tante, die eine Tunte war, das Portemonnaie aus der Tasche, und wartete auf meinen ersten Einsatz. Aus allen Lautsprechern tönte es: "Die Karawane zieht weiter, der Sultan hat Durst."

Die AZUBIs griffen mich ab vor der Severinskirche, als ich eben das dritte Portemonnaie aus einer Hosentasche angelte, aber es war irgendwie nicht ihr Tag. Der eine hatte mir kaum an die Titten gefaßt, als schon ein halbes Dutzend üppige Nonnen sich ihrer annahm und ihnen die Hosen runterließ, so daß ich problemlos durch die Sakristei entkommen konnte.

(Nächste Woche: "Neue Bewirtschaftung")