Zum Beispiel Deutschländer

Die zukünftige PDS-Stiftung sorgt sich um "Volk" und "Nation" - eine Momentaufnahme aus der deutschen Sub

Am Ende ist das Publikum verwirrt: "Zu welchem Volk gehöre ich, Volker, jetzt eigentlich", meldet sich ein etwas angegrauter Mittfünfziger zu Wort. Eine objektive Antwort verlange er vom Referenten. "Gibt es überhaupt noch ein deutsches Volk?" hatte zuvor der PDS-nahe Verein für Gesellschaftsanalyse und politische Wissenschaften e.V. gefragt.

Im Schein der Neonröhren des ehemaligen Neuen Deutschland-Gebäudes liefert der Sprachwissenschaftler Ronald Lötzsch eine Brandrede gegen den Begriff des ius soli der französischen Revolution. Eine "extreme Konstruktion" sei der Begriff der Staatsnation, dozierte der ehemalige Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR am Dienstag vergangener Woche. Wer sich in dieser Tradition äußere, habe "von Geschichte keine Ahnung". Nation sei mitunter gleichzusetzen mit dem Begriff Volk, der manchmal durch eine gemeinsame Sprache, Geschichte, vor allem aber durch die "Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls" definiert sei. Als Beispiel für dieses real existierende Gefühl muß selbst die Annexion Österreichs 1938 herhalten: "Die meisten haben gejubelt", berichtet Lötzsch, der in der DDR von 1957 bis 1960 wegen seiner Kritik an Ulbricht in der Haftanstalt Bautzen saß.

Infolge der staatlichen Trennung habe sich, so Professor Lötzsch, innerhalb des deutschen Volkes eine Differenzierung entwickelt. Die Ostdeutschen fühlten nicht als Gesamtdeutsche. Die Konsequenz: Ein bestimmtes Maß an Identitätsdifferenzierung sei irreversibel. "Wozu brauchen wir die nationale Einheit", will der Referent zum Abschluß der Veranstaltung wissen, für die nicht nur das ND, sondern auch die neurechte Junge Freiheit geworben hatte - allerdings ohne Wissen des Vereins, wie Mitarbeiter Dieter Schlönvogt versichert.

Vor allem die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft erregte die Gemüter. Die Neuregelung sei im Prinzip zu begrüßen, sagt Lötzsch. Schlagzeilen wie "Türken werden Deutsche" seien allerdings Unsinn, beruhigt der Wissenschaftler. "Das geht doch gar nicht", assistiert das Publikum. Vielmehr sei eine andere Regelung gefragt: "Nicht-deutsche deutsche Staatsbürger" könne man ja als "Deutschländer" bezeichnen, schlägt Lötzsch vor. Eine Verquickung von Staatsbürgerschaftsrecht und Nation sei zu vermeiden. Der "nationale Faktor" sei bisher auch in den verblichenen sozialistischen Staaten vernachlässigt worden. Das Fazit: Ein deutsches Volk gebe es noch, in welchen Grenzen und in welchem Umfang, bleibe aber offen.

"Im Jahr 2140 gibt es in diesem Land mehr Türken als Deutsche", beklagt ein Redner in der anschließenden Diskussion. Seine Nachbarin nennt den Grund: "Die bosnischen Kriegsflüchtlinge haben hier in fünf bis sechs Jahren zwei bis drei Kinder." Ein Diskutant aus Neukölln ergänzt, dieser Zustand sei "nicht ohne Gegenwehr hinnehmbar".

"Ein Ossi", wie sich die Frau selbst vorstellt, erklärt, wie es besser laufen könnte: Vor der Wende hätten die vietnamesischen Vertragsarbeiter "ihren Neubaublock mit Zentralheizung gehabt", aber es habe eine klare Regelung gegeben: "Nach vier Jahren ab nach Hause." Heute leide man dagegen in Ostberlin unter der Zigarettenmafia.

Da fühlt sich selbst Lötzsch, der zuvor noch vom "heute leider unpopulären Begriff der Rassenmerkmale" geprochen hat, zum Eingreifen bemüßigt: Der Weg des bisherigen Innensenators Jörg Schönbohm sei nicht gutzuheißen, er selbst plädiere für mehr Toleranz und einvernehmliche Lösungen.

Die Gesellschaftsanalyse e.V. kann mit derartigen Debatten offenbar problemlos leben. Auch von Lötzschs Vortrag will sie sich nicht distanzieren. Lötzsch, erläutert Mitarbeiter Schlönvogt, habe die Problematik aus der Sicht seiner Wissenschaft dargestellt, Mißverständnisse seien da natürlich möglich. Perspektivisch müsse sich auch die Linke der Diskussion des "nicht ganz unwichtigen Problems der Nation" annehmen. Dann aber "bekomme man Feuer von links und rechts".

Der Verein für Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. ist der PDS "geistig-politisch" verbunden, organisatorisch und finanziell allerdings unabhängig. Jetzt, nachdem die Partei im Bundestag Fraktionsstärke erreicht hat, soll er in die noch zu gründende "PDS-Stiftung" transformiert werden. Auf dem Programm des Vereins, der nach eigenen Angaben in den letzten sieben Jahren über tausend Veranstaltungen durchgeführt hat, stehen mitunter auch Diskussionsabende über "Rechtsextremismus unter Jugendlichen". Das Alter jedenfalls hatte ein Großteil der Anwesenden am Dienstag vergangener Woche schon hinter sich.