Phantome für den Rechtsstaat

Die Bürokratisierung der Rache. Die Verurteilung von Monika Haas beruht auf Zeugen, die nie vor Gericht erschienen

Obwohl es ihm an Beweisen mangelte, blieb der Vorsitzende Richter Erich Schieferstein bis zum Schluß bei seiner Auffassung: Monika Haas sei 1977 an der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" beteiligt gewesen, ihre Verurteilung deshalb zwingend.

Der Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht in Frankfurt/Main hat seine Pflicht getan: Monika Haas wurde am Montag vergangener Woche zu fünf Jahren Haft verurteilt. Da Haas bereits zweieinhalb Jahre Untersuchungshaft hinter sich hat, setzte das Gericht die Reststrafe zur Bewährung aus.

Weil sie Waffen und Sprengstoff für die Landshut-Entführer nach Mallorca geschmuggelt habe, so die Richter, habe Haas sich der Beihilfe zum versuchten Mord an zwei GSG 9-Beamten schuldig gemacht. Hinzu kommen Beihilfe zu erpresserischem Menschenraub, zur Geiselnahme und zum Angriff auf den Luftverkehr.

Mit der Flugzeugentführung hatte die Palästinensische Volksbefreiungsfront (PFLP) 1977 versucht, die Bundesregierung zur Freilassung von elf inhaftierten Mitgliedern der RAF zu zwingen. Der Versuch scheiterte, ein Sonderkommando der GSG 9 stürmte in der Hauptstadt Somalias, Mogadischu, das Flugzeug.

Angesichts der Haas vorgeworfenen Straftatbestände seien fünf Jahre "eine verblüffend niedrige Strafe", folgerte die Süddeutsche Zeitung am Tag nach dem Urteil. Ähnlich wie taz und Frankfurter Rundschau stellt die Süddeutsche fest, "in mehr als hundert Verhandlungstagen konnte die Bundesanwaltschaft nichts präsentieren, das nach der deutschen Strafprozeßordnung den Namen Beweis verdient". Und selbst die konservative Neue Zürcher Zeitung nannte die Beweislage "eher dünn".

Das sah die Klägerin anders: Die Bundesanwaltschaft (BAW) glaubte zahlreiche Beweise, insbesondere Zeugenaussagen, ermittelt zu haben, die die Beteiligung von Haas eindeutig belegten. Zeugenaussagen der besonderen Art: Denn weder Gericht noch Verteidigung bekamen die "Quellen" jemals zu Gesicht. Haas' Anwälte, Armin Golzem und Wolfgang Bendler, sprachen denn auch von einem "Phantomprozeß", der es der Verteidigung unmöglich gemacht habe, die Zeugen und ihre Aussagen auf ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen.

"Phantom Nr. 1" in der Urteilsbegründung des Gerichts ist Said Slim, der wegen Spionage für den israelischen Geheimdienst in einem libanesischen Gefängnis einsitzt. Laut Vernehmungsprotokoll hat er gegenüber Mitarbeitern der BAW behauptet, zusammen mit Haas Waffen und Sprengstoff nach Mallorca transportiert zu haben. Unmittelbar vor der belastenden Aussage wurden Slim sechs Jahre Haftzeit erlassen. Verteidiger Golzem zeigte sich gegenüber Jungle World überzeugt, hier sei in deutsch-libanesischer Zusammenarbeit eine inoffizielle Kronzeugenregelung geschaffen worden.

Hinter "Phantom Nr. 2" verbirgt sich eine ganze Gruppe anonymer "Quellen": V-Männer, die angeblich Informationen über einen Flug von Haas nach Mallorca an das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz weitergeleitet haben. Im Gerichtssaal tauchten jedoch nicht diese auf, sondern - mit Verweis auf den Personenschutz - "Zeugen, die was gehört hatten von einem Quellenführer, der was gehört hatte von einer Quelle, die eine Information gehabt haben soll" - so Golzem in seinem Schlußplädoyer.

Die Richter hielten diese Quellen, ohne sie prüfen zu können, für glaubwürdig. Allerdings werteten sie es als strafmildernd, daß die Ermittlungsbehörden ihre Erkenntnisse nicht schon 1980 für eine Anklage gegen Haas genutzt hatten. Damals nutzte nur der Verfassungsschutz die Informationen: Vergeblich versuchte er, Monika Haas zur Mitarbeit zu nötigen.

Die ursprüngliche Hauptzeugin der Anklage, Souhaila Andrawes, ließen die Richter nicht zu. Ihre Aussage sei in wesentlichen Teilen falsch. Um so eigenartiger, daß das Gericht die Aussage von Slim, den damaligen Ehemann von Andrawes, akzeptierte. Slim wurde wie Andrawes unter Ausschluß von Verteidigern und Richtern vernommen. Beide weigerten sich, ihre Aussagen vor Gericht zu wiederholen.

Den Ermittlungsfanatismus, den die BAW trotz der schlechten Beweislage an den Tag legte, führt der Politologe Wolf-Dieter Narr auf "kalte Rache" zurück: "Die Rache hat sich vollends institutionalisiert; sie hat sich bürokratisiert." Als verselbständigter Apparat hat sich außerdem der Verfassungsschutz geoutet. Die Geheimniskrämerei um das Treiben seiner V-Männer im Umkreis der Entführung der "Landshut" geben dem Verdacht neue Nahrung, deutsche Geheimdienste hätten schon vorab durch einen Informanten aus der PFLP von der Entführung gewußt. In einer Prozeßerklärung hatte Monika Haas vermutet, mit dem Verfahren gegen sie solle von diesem Informanten abgelenkt werden.

Sicher ist jedenfalls, daß auch Medien wie Bild und Spiegel zur Verurteilung von Haas beigetragen haben, indem sie das Bild von der "schönen Frau der deutschen Terrorismus-Szene" (Spiegel) konstruierten. Spiegel-Chef Stefan Aust brachte das Verfahren 1992 überhaupt erst ins Rollen, als er in einem Artikel in seinem Blatt und einem Bericht in spiegel-tv die Anschuldigungen gegen Haas veröffentlichte.