Prozessauftakt ­gegen Björn Höcke

Von nichts gewusst

Wenige Monate vor mehreren ostdeutschen Landtagswahlen ist das Interesse am Prozess gegen den Vorsitzenden der Thüringer AfD-Fraktion groß.

Björn Höcke zieht. Schon vor acht Uhr stehen Hunderte Menschen mit Schildern und Transparenten vor dem Justizzentrum in Halle (Saale). Dazu aufgerufen haben die Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus (VVN-BdA) und das Bündnis »Halle gegen rechts«.

Martina (44) und Pia (52) sind aus dem nahegelegenen Saalekreis angereist. Bei ihnen, berichtet Pia, sei alles voll mit Nazis. »Wir wollen Demokratie, keine Monotonie«, antwortet Martina auf die Frage, warum sie hergekommen sind. »Björn Höcke ist ein Nazi« steht auf ihrem Schild.

Höcke ist Co-Vorsitzender der Thüringer AfD und Vorsitzender von deren Landtagsfraktion. Seit diesem Donnerstag muss er sich vor Gericht verantworten, weil er bei einer Wahlkampfveranstaltung 2021 in Merseburg (Saalekreis) die im Rahmen einer politischen Veranstaltung verbotene Losung der SA, »Alles für Deutschland«, verwendet hat. Dass er das 2023 in Gera wiederholt hat, wurde als Tatvorwurf vorerst vom Verfahren abgetrennt, wie das Gericht am Morgen mitteilt.

Der Gerichtssaal füllt sich schnell. Die meisten Zuschauer:innen sehen aus, als könnte man sie auch auf der Kundgebung vor dem Gebäude treffen. Es gibt aber Ausnahmen: junge Männer mit Anzügen und Frauen mit Blazern, beide mit betont geschlechtstypischen Frisuren, dazu eine Reihe besorgter alter Männer mit Biernacken. Einer hat ein Strafgesetzbuch unter seinem Stuhl liegen und blättert derweil in einer Schrift des verurteilten Holocaustleugners Michael Winkler: »Was wirklich im Grundgesetz steht«.

Björn Höcke könnte bei einer Verurteilung sein aktives und passives Wahlrecht verlieren.

Im Fall einer Verurteilung zu mindestens sechs Monaten Haft könnte Höcke sein aktives und passives Wahlrecht verlieren. Für eine Verurteilung nach Paragraph 86a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) muss ihm aber nachgewiesen werden, dass ihm bewusst war, eine SA-Losung zitiert zu haben. Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt. Der ehemalige Geschichtslehrer Höcke selbst behauptet bei jeder Gelegenheit das Gegenteil.

Als Höcke den Saal betritt, kommt Bewegung auf. Fotografen und Kameraleute in der ersten Reihe klicken und filmen, Journalist:innen in der zweiten Reihe halten Smartphones über ihre Köpfe. Der Mann mit dem Gesetz unterm Stuhl ist aufgestanden. Die Frauen in Blazern recken ihre Hälse. Es ist ein Wunder, dass niemand klatscht. Zwei aus der Biernackenreihe winken Höcke zu, der winkt zurück und setzt sich. Um 9.15 Uhr geht es los, mit kleiner Verspätung. Der Richter will erst mal wissen, wer Höcke verteidigt. Drei Anwälte sind es, »einen kenne ich noch nicht«, sagt er.

Ein Justizbeamter hält das Kamerastativ des rechten Internetsenders Auf 1

Höcke hat sein Verteidigerteam in den vergangenen Wochen mehrmals gewechselt. Ganz neu an Bord ist ein Phillip Müller mit Gelfrisur, »aus München, Herr Vorsitzender«. Müller ist bekannt, weil er den Musiker Gil Ofarim vertreten hat, der einem Leipziger Hotelmitarbeiter Antisemitismus vorgeworfen hatte und später einräumte, gelogen zu haben. Verbindungen zur AfD oder anderen Rechten scheint Müller nicht zu haben.

An Höckes Seite stehen außerdem der AfD-nahe Rechtsanwalt Ralf Hornemann und der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau, der am sogenannten Potsdamer Treffen mit Rechtsextremen wie Martin Sellner teilnahm. Die Strategie der Verteidigung: verzögern. Erst wollen sie erreichen, dass der Prozess aufgezeichnet wird, dann stellen sie in Frage, dass das Landgericht überhaupt zuständig ist. Die Kammer muss immer wieder unterbrechen, um sich zu beraten.

In jeder Pause filmen Kameraleute Höcke – wie er vor dem Saal steht, wie er wieder reingeht. Mit dabei ist ein Team des rechten Internetsenders Auf 1 aus Österreich. Einmal hält ein Justizbeamter deren Stativ. Auf Nachfrage der Jungle World teilt der Beamte gutgelaunt mit, er halte nur mal eben für den Kollegen, der gerade keine Hand frei habe.

Am Ende hat das Gericht alle Anträge der Verteidigung abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft hat klargemacht, dass sie die Anklage zu Gera 2023 wieder in den Prozess aufnehmen will.

Um fünf vor zwölf ist die Anklage immer noch nicht verlesen. Einmal hat der Staatsanwalt dazu angesetzt, wurde aber vom Verteidiger Vosgerau unterbrochen. Das sei ihm »noch nie« passiert, sagt der Staatsanwalt sichtlich sauer. Nach der Mittagspause kommt er doch noch dazu.

Am Ende hat das Gericht alle Anträge der Verteidigung abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft hat klargemacht, dass sie die Anklage zu Gera 2023 wieder in den Prozess aufnehmen will. Und Höcke hat – außer seine Personalien zu nennen – nichts gesagt. Seinem Anwalt zufolge wird er sich an den nächsten Prozesstagen äußern. Bisher sind vier angesetzt. Nach Ansicht des Staatsanwalts könnten es mehr werden. »Wir haben ja bislang noch gar nichts gemacht«, sagt er, ohne daraus jemanden einen Vorwurf machen zu wollen. Um kurz nach 13 Uhr sagt der Richter: »Das war’s dann für heute.« Höcke wirkt entspannt.

Die Kundgebung vor dem Gericht ist mittlerweile beendet. Eine Frau läuft auf und ab, die vorher als Zuschauerin im Saal war. Sie schwenkt eine umgedrehte Deutschlandflagge, mit Israelfahne auf der Rückseite. Was will sie damit sagen? Später spricht sie mit dem rechten Streamer Weichreite TV. Sie gehört offenbar der Gruppierung Juden in der AfD an. Martina und Pia von der Kundgebung am Morgen wussten jedenfalls genau, warum sie da waren: »Weil wir kein ’33 wiederwollen.«