Auch du, mein Bruno!

Beim Front National tobt der Machtkampf zwischen Le Pen und Mégret

"Die Woche der langen Messer" nannte das Wochenmagazin L'Evénement du Jeudi in seiner letzten Ausgabe die heftigsten Auseinandersetzungen in der Geschichte des rechtsextremen Front National (FN). Der Parteivorsitzende Jean-Marie Le Pen hatte am Mittwoch vergangener Woche die Nummer zwei der Partei, den Generaldelegierten Bruno Mégret, auf Null gebracht, indem er ihn seines Postens enthob. Der Vergleich mit dem sogenannten Röhm-Putsch von 1934, der als "Nacht der langen Messer" in die Chronik des deutschen Nazismus einging, hinkt aber. Unter anderem, weil es bisher keine Leichen gab - was aber eher an den äußeren Umständen als am mangelnden Vernichtungswillen beider Seiten liegt. Außerdem steht der Widersacher des Parteichefs wahrscheinlich Adolf Hitler geistig noch näher als sein ehemaliger Chef selbst.

Als "Bewunderer von Onkel Adolf" hat Bernard Antony, der Kopf der katholischen Fundamentalisten innerhalb des FN, Mitte letzter Woche die Anhänger des abgestraften Bruno Mégret tituliert. Damit liegt er nicht daneben, ohne daß Antony dadurch sympathischer wird - der überzeugte Katholik betrachtet eher das Franco-Spanien als politisches Vorbild. Der um den Erhalt seiner Macht kämpfende Jean-Marie Le Pen sprach in einer ersten Reaktion nach Ausbruch der Krise am vorletzten Sonntag von einer "extremistischen, aktivistischen und sogar rassistischen Minderheit" innerhalb des FN, die einen "Mini-Putsch" versucht habe.

Am Montag dieser Woche sollte das Politische Büro zusammentreten, das oberste Führungsgremium des FN, um über den Ausschluß von Mé-gret und vier weiteren suspendierten hohen FN-Funktionären zu entscheiden. Dabei wurde der Mégret-Fraktion der Zutritt verwehrt. Am vorangegangenen Sonntagabend hatten Mégrets Anhänger eine Alternativführung gewählt, zu deren Sprecher der FN-Bürgermeister von Marignane, Daniel Simonpieri, bestimmt worden war. Schon vorher hatte es Proteste gegen die "diktatorische" Führung des FN-Chefs gegeben: Bei einer Konferenz der 400 führenden Parteifunktionäre am vorletzten Samstag in Paris war Le Pen ausgebuht worden.

Der Parteichef scheint aber entschlossen, Mégret als Anwärter auf seine Nachfolge auszuschalten, solange er dazu noch Zeit hat. Bei einem Auftritt am Freitag im ostfranzösischen Metz tönte Le Pen martialisch und von sich selbst überzeugt: "Man fragt mich: 'Gibt es wirklich keine Verständigungsmöglichkeit? Keine Möglichkeit, Feuer und Wasser miteinander zu vereinen, oder daß Cäsar vergibt?' Von Cäsar, dem Brutus sich mit dem Messer in der Hand näherte (...), unterscheidet mich, daß ich mein Schwert ziehe und Brutus töte, bevor er mich tötet."

Liest man die Erklärung Le Pens auf der Titelseite der neuesten Ausgabe der Parteizeitung National Hebdo, könnte man zunächst einen Flügelstreit zwischen "Gemäßigten", die Allianzen mit den Konservativen anstreben, und faschistischen "Hardlinern" vermuten. "Es scheint, als ob ich in den Augen bestimmter ehrgeiziger Herren, die zu allem bereit sind, um Karriere zu machen, das einzige Hindernis für fruchtbare Wahlbündnisse mit der Rechten sei", schreibt der rabiate Parteichef. Beiläufig erinnert er in seinem Text auch an die früheren Mitgliedschaften von Mégret im gaullistischen RPR und von Jean-Yves Le Gallou in der UDF. Die beiden - bisherigen - FN-Kader, die Le Pen als Köpfe des "kriminellen Manövers" und der "Subversion" gegen seine Partei bezeichnet, waren Ende der siebziger bzw. Anfang der achtziger Jahre nicht als bürgerliche Demokraten in diese beiden großen Parteien eingetreten, sondern im Rahmen einer Entrismus-Strategie der "neurechten" Denkfabriken GRECE und Club de l'Horloge, bei denen damals auch Vial schon mitmischte.

Die Konfliktlinie, die den FN in zwei verfeindete Lager spaltet, verläuft aber nicht zwischen mehr oder minder bürgerlichen nationalkonservativen Kräften, die eine Eingliederung ihrer Partei in das bestehende liberale Gesellschaftssystem anstreben, und einer "radikalen", nationalrevolutionären Strömung. Le Pen wie Mégret wollen keine Integration des FN als minoritäre Kraft in eine bürgerliche Koalitionsregierung, sondern streben erklärtermaßen an, die bürgerlich-konservative Rechte "explodieren" zu lassen, um aus den Trümmern heraus Bündnispartner für den FN in Gestalt neuer politischer Kräfte zu suchen.

Le Pen beharrt auf der Position, es genüge, den "Verrat" der bürgerlichen Parteien an der Nation anzuprangern und auf eine große Krise zu warten - etwa eine schwere ökonomische Erschütterung oder eine Explosion der Gewalt in den Banlieues. Daraus soll sich dann die Neugruppierung der rechtesten Kräften um den FN ergeben. Mégret hingegen vertritt seit 1994 die - im Prinzip intelligentere - Auffassung, daß zur Eroberung der Macht Bündnisangebote an einen eventuell sich herausbildenden rechten Flügel innerhalb des konservativen Lagers ein probates Mittel seien. Entlang der Frage einer Allianz mit dem FN würden die Konservativen so vor eine - auf Dauer fatale - Zerreißprobe gestellt.

Im Rahmen des innerparteilichen Ringens um die Macht werden die Argumente zur Profilierung in den eigenen Reihen genutzt, ohne daß sie unbedingt die jeweiligen strategischen Optionen der Kontrahenten korrekt widerspiegeln. Die taktische Differenz ist im innerparteilichen Konkurrenzkampf mittlerweile zur Quelle wechselseitiger Verratsvorwürfe geworden.

In der weiteren Entwicklung des FN ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß Jean-Marie Le Pen die Kader und Aktivisten nochmals hinter sich versammeln kann, da er dabei ist, mit seinem blinden Machterhaltungsgebaren die Partei zu zerschlagen. Seine Erklärung über "Rassisten und Extremisten" in den eigenen Reihen wurden ihm beispielweise von den Aktivisten übel genommen, die sich seit Jahren erbittert gegen solche Vorwürfe von außen wehren. Wahrscheinlich ist, daß Le Pen nur der ältere und eher passive Teil der Mitgliedschaft verbleiben wird. Und der Titel FN, den er auf seinen Namen hat eintragen lassen.

Mégrets Anhänger behaupten, das nach den Statuten erforderliche Unterschriften-Quorum von 20 Prozent der Mitglieder für die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags bereits erreicht zu haben. Sie drohten dem Parteichef mit einem Prozeß wegen Mißbrauchs von Parteigeldern.

Auf einem außerordentlichen Parteitag könnten sie eine neue Führung bestimmen, jedoch müßte schließlich der rechte Wählerzuspruch entscheiden, ob der unter einem neuen Namen antretende Kaderapparat des FN oder aber der Rumpf-FN rund um Le Pen die größere Legitimität besitzt. Auf Dauer wird wohl nur eine Großpartei überleben. Nicht unwahrscheinlich ist ein an die italienische Entwicklung erinnerndes Szenario: mit einer großen, "respektabel" gewordenen rechtsextremen Formation - wie dem MSI nach seiner Umwandlung in die Alleanza Nazionale - und einer sehr viel kleineren traditionalistischen Restpartei - wie dem MSI-Fiamma tricolore.