Grenzen dicht in Süd-West

Mit Stacheldraht und Wassergraben versucht die spanische Regierung, nordafrikanische Flüchtlinge aufzuhalten

Die Festung hält stand - noch. Die Vorposten im Norden Afrikas, das spanische Melilla und Ceuta, scheinen gerüstet. Die Befestigunganlagen in Ceuta sind mittlerweile doppelt gestaffelt - wie in Kriegszeiten, um die erste Angriffswelle abzufangen oder wenigstens aufzuhalten.

Die Verteidiger haben sich weiter eingegraben und einen zweiten Stacheldrahtverhau bis auf 2,50 Meter hochgezogen; Zinkwände wurden auf einer Länge von 8,3 Kilometern angebracht; eine 2,5 Meter breite Fahrstraße entlang des Grenzwalls planiert. Ständig patrouillieren Streifen der berüchtigten Guardia Civil oder des Heeres. Die Zahl der Grenzpolizisten soll von 127 auf 527 erhöht werden. Die Grenze ist sorgsam verkabelt, Halogenscheinwerfer tauchen nach Einbruch der Nacht das hügelige Gelände in gleißendes Licht, Bewegungsmelder geben Alarm - wenn sie funktionieren. Hochauflösende Videokameras sollen die ankommenden Flüchtlinge frühzeitig ins Bild rücken.

Gut 70 Millionen Mark hat Spaniens Regierung ausgegeben, um die Grenze in der spanischen Enklave Ceuta in Marokko "impermeable", undurchlässig, zu machen. Noch ist die neugebaute Grenze nicht offiziell dem spanischen Gouverneur von Ceuta übergeben, da laufen schon die Planungen für neue Baumaßnahmen. Die spanischen Bauherren haben die Sanddünen nicht einkalkuliert, die über weite Teile die spanische Enklave vom Reich König Hassans von Marokko trennen. Immer wieder stürzen nach schweren Regenfällen Teile der neuen Grenzanlagen ein. Und die Drainage an der Festungsgrenze hat sich als Schlupfloch erwiesen: Durch die unterirdisch verlegten Abwasserrohre kriechen die afrikanischen und maghrebinischen "sin papeles", die Papierlosen, ungehindert auf spanisches Territorium - während oben spanische Militärs Wacht halten.

Daß die Abschottungspolitik der Europäischen Union an der Südwestflanke nicht so funktioniert wie gewünscht, belegen auch die Zahlen der MigrantInnen. Das Auffanglager Calamocarro in Ceuta ist bei einer Kapazität von 500 Personen hoffnungslos überbelegt. 2 000 Menschen aus 27 verschiedenen Ländern drängen sich hier, die größte Gruppe der Armutsflüchtlinge kommt aus Nigeria.

Einer von ihnen ist André aus Kamerun. Im September vergangenen Jahres hat sich der 24jährige in Duala auf den Weg gemacht. 10 000 Kilometer liegen hinter ihm: Quer durch Kamerun, den Norden Nigerias und durch den Niger führte die Route nach Algerien. Dann passierte er illegal die Grenze nach Marokko, um über Fez, Rabat und Tetuan in Castillejos zu stranden - einen Nachtmarsch vom "Paradies" entfernt, wo sich der Jurastudent erhofft, für das Überleben seiner Familie daheim ackern zu können. André hat es mittlerweile geschafft, die Grenze ins spanische Ceuta zu überwinden.

In der vergangenen Woche wurde ihm sowie 90 seiner SchicksalsgenossInnen in Calamocarro - allerdings ist nur eine Handvoll Frauen darunter - jener Paß ausgehändigt, mit dem er aufs spanische Festland weiterreisen und auf den Erdbeerfeldern Andalusiens für ein paar Pesetas schuften kann.

Was André in Ceuta gelang, wäre in Melilla, der anderen spanischen Enklave in Nordafrika, vermutlich gescheitert. Dort sind die geologischen Verhältnisse für die Grenzerbauer wesentlich vorteilhafter. 18 Millionen Mark hat die spanische Regierung in einen doppelten Eisendrahtzaun investiert: Sieben Kilometer lang, vier Meter hoch. Erfolgreich, wie es scheint, denn innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der "Menschen ohne Papiere", denen es gelang, den kapitalistischen Schutzwall gegen die Armut zu überwinden, auf ein Zehntel reduziert. Mitte Dezember 1997 lebten 909 afrikanische MigrantInnen im Flüchtlingsauffanglager in Melilla, ein Jahr später nur noch 98. "Unser Vorbild ist Melilla. Es hat sich erwiesen, daß der neu errichtete Grenzwall den Zustrom von Illegalen reduziert hat", erklärte dazu Ram-n înega, Generaldirektor im Innenministerium.

Ob der Zustrom sich wirklich stoppen läßt, bleibt dahingestellt. Der von der konservativen Regierung in Madrid eingesetzte Gouverneur schätzt die Zahl der afrikanischen und maghrebinischen MigrantInnen, die jenseits des Westwalls auf ihre Chance warten, auf acht- bis zehntausend. Aber Luis Vicente Moro weiß auch, daß die 60 Zentimeter, die der neue Zaun in Ceuta höher sein wird, den Zustrom nur erschweren, aber nicht wirklich verhinderen. Die Flüchtlinge werden sich neue Möglichkeiten suchen, um an die Fleischtöpfe im reichen Norden zu gelangen. Die Erntesaison im Süden Spaniens braucht die fleißigen und billigen Hände aus den Armutsregionen des Südens. Und in den nächsten Wochen und Monaten wird die Zahl jener wieder ansteigen, die in leichten Booten versuchen, von Afrika nach Europa zu gelangen. Das Heer der rund 150 000 "Papierlosen" in Spanien wird sich vergrößern.

Viele werden jedoch nicht europäisches Festland betreten. Europas beste natürliche Festungsanlage, die Meerenge von Gibraltar, wird sie verschlucken, wenn sie von Riesentankern einfach überfahren werden oder mit ihren Boote kentern - spur- und zeugenlos.