Ran an die Transporte!

Die Anti-Atombewegung muß ihren erfolgreichen Protest gegen die Castor-Transporte fortsetzen.

Normalerweise besteht das Alltagsgeschäft von Anti-Atom-Initiativen darin, den Betrieb der laufenden Atomanlagen kritisch zu begleiten: Hier wird ein Skandal aufgedeckt, dort mit einer Aktion die Öffentlichkeit erreicht. Das alles ist wichtig, um die politische Stimmung im Land auf atomkritischem Kurs zu halten. Doch selten gelingt es, starken Druck aufzubauen oder gar an einzelnen Punkten die atompolitische Machtfrage zu stellen. Dies wird etwa daran deutlich, daß es seit der Phase des Kampfes um die Bauplätze in den siebziger und achtziger Jahren keine konkrete Handlungsperspektive mehr gab, wie es gelingen könnte, einzelne AKW mittels Widerstand stillzulegen.

Die Großaktionen der letzten Jahre, als sich Tausende gegen die Castor-Transporte nach Gorleben und Ahaus querstellten, waren wichtig und durchaus erfolgreich: Das ungelöste Entsorgungsproblem wurde ins öffentliche Gedächtnis zurückgerufen und der Atommafia aus Industrie und Politik gezeigt, daß nicht alles, was die Mächtigen so planen, einfach durchzusetzen ist. Die Bewegung bewies: Wir sind noch da, mit uns ist zu rechnen!

Doch der Castor-Widerstand griff den Betrieb der laufenden Anlagen nicht substantiell an. Wenn auch weniger Transporte in die Zwischenlager möglich waren als ursprünglich geplant, konnten die AKW-Betreiber den Atommüll-Notstand immer noch dadurch verschleiern, daß sie jährlich mehr als 60 Behälter mit abgebrannten Brennelementen zur Wiederaufarbeitung ins Ausland schickten.

Die Aktiven im Wendland und Münsterland mußten sich auch den Vorwurf gefallen lassen, nur dann massenhaft auf Straße und Schiene zu gehen, wenn der Atommüll deutsche Ziele ansteuerte. Bei den Transporten nach La Hague und Sellafield gab es zwar auch immer wieder kleinere Störaktionen, doch nie konnte der Widerstand die Qualität von Gorleben und Ahaus erreichen.

Immerhin trugen die Aktionen gegen die Castor-Transporte zu einer politischen Stimmung bei, aufgrund derer der Skandal um die Außenkontamination der Behälter im Sommer 1998 solche Dimensionen annahm, daß die damalige Umweltministerin Angela Merkel (CDU) nicht mehr anders konnte, als den Stopp aller Transporte zu verkünden.

Seither kommen auch die Betreiber an dem Atommüll-Problem nicht mehr vorbei. Durch begrenzte Lagerkapazitäten an den einzelnen Reaktoren besteht die akute Gefahr, daß Anlagen vom Netz genommen werden müssen, wenn der Transporte-Stopp anhält. In der ersten Runde der Atomkonsens-Gespräche wurde deshalb vereinbart, daß demnächst wieder strahlende Abfälle nach La Hague und Sellafield rollen.

Manche Chancen erhalten soziale Bewegungen nur einmal. In der aktuellen Situation besteht die reale Möglichkeit, die Reaktoren reihenweise vom Netz zu blockieren und gleichzeitig einen schnelleren Stopp der Wiederaufarbeitung durchzusetzen, als ihn Atomwirtschaft und Bundesregierung gerne hätten.

Wer in diesem Ansinnen einen Anflug von Größenwahn vermutet, dem sei eine einfache Rechnung nahegelegt: Wir wissen von Gorleben und Ahaus, daß die Polizei kräftemäßig pro Jahr nur einen 30 000-Mann/Frau-Einsatz schafft. 30 000 PolizistInnen sind dann nötig, wenn ca. 10 000 QuerstellerInnen erwartet werden. Schafft es die Anti-AKW-Bewegung also, zum ersten WAA-Transport 10 000 Menschen zu mobilisieren, dann wird dieser WAA-Transport - ob er durchkommt oder nicht - auch der letzte für etwa zwölf Monate gewesen sein. Und selbst wenn die Polizei diesen Kraftakt zweimal im Jahr schafft, reicht das noch lange nicht aus, um die Entsorgungsengpässe zu beseitigen.

Wenn alle Menschen, die die Nutzung der Atomenergie aus den unterschiedlichsten Gründen für unverantwortbar halten, in den nächsten Monaten nicht wie das Kaninchen nach der Schlange auf die Konsensgespräche starren, sondern selbst aktiv dafür sorgen, daß keine Castor-Transporte mehr rollen, dann wird das die AKW-Betreiber in größere Schwierigkeiten bringen als die ganze rot-grüne Ausstiegs-Rhetorik.

Schön ist an dieser erfolgversprechenden Handlungsperspektive auch, daß da nicht "nationale Interessen" gepflegt werden, sondern in enger Zusammenarbeit mit Initiativen aus Frankreich und Großbritannien gemeinsamer Widerstand entsteht.

Nachbemerkung: Ich halte es für wichtig und notwendig, daß die Bewegung sich Schwerpunkte setzt und politische Chancen durch Konzentration auf gemeinsame Ansatzpunkte nutzt. Daneben darf aber die Arbeit gegen die anderen Aspekte der Atomenergienutzung nicht vernachlässigt werden. Schließlich war die Bewegung immer dann am erfolgreichsten, wenn sie die ganze Breite ihrer Möglichkeiten auch wahrgenommen hat.

So bleiben neben der sich entwickelnden Kampagne gegen WAA-Transporte auch die anderen Themen, zu denen Anti-Atom-Gruppen arbeiten, notwendig: Vom Siemens-Boykott bis zur Kampagne gegen Uranabbau, vom Widerstand gegen die Inbetriebnahme der Pilotkonditionierungsanlage (PKA) Gorleben bis zu allen anderen standortspezifischen Ansätzen, ganz nach dem Motto: "Mehrgleisig gegen den (Atom-) Strom".