Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Amelie Fried ist Journalistin

Als das Sparwasser-Tor fiel, saß ich, knapp 16jährig, mit ein paar Jungs aus meinem Internat vor dem Fernseher und lernte was fürs Leben. Nämlich, daß Jungs sich mehr für Fußball interessieren als für Mädchen. Die Kraft der sexuellen Anziehung ist ja normalerweise stärker als die meisten Attraktionen, die das Leben zu bieten hat. Wenn Fußball ins Spiel kommt, ist alles anders. Dann könnte man in der schärfsten Reizwäsche vor den Kerlen rumtanzen und ihnen den Himmel auf Erden versprechen - sie würden weiter mit blödem Gesichtsausdruck in die Glotze starren.

Damals dachte ich noch, ich könnte Eindruck schinden, wenn ich mich dazusetze und so tue, als würde es mich auch interessieren, wie 22 Kerle hinter dem Ball herlaufen. Weit gefehlt. Weibliche Präsenz wird bei einem Fußballspiel ungefähr ebenso geschätzt wie auf dem Berg Athos.

Heute heuchle ich nicht mal mehr Interesse. Ich ertränke meinen Frust auch nicht, wie damals, mit einer Flasche Wodka (was mir übrigens eine Alkoholvergiftung eingetragen hat). Denn inzwischen weiß ich: Die Liebe zum Fußball ist genetisch bedingt; sie rekurriert auf den Jagdtrieb der Männer. Den Ball erwischen heißt, das Wild erlegen. Eine Frau rumkriegen ist dasselbe. Also sind Weiber und Fußball dasselbe. Aber man kann schließlich nicht alles gleichzeitig machen. Stimmt's, Jungs?

Peter Probst ist Drehbuchautor und mit Frau Fried verheiratet

Bis zum 22. Juni 1974 verstand ich die Welt kaum. Obwohl ich eifrig im Auftrag der Schüler-Union sozialistische Wahlplakate zerstörte, wollte mich meine Familie ständig nach drüben schicken. Wenn ich an meinen fettigen Haaren lutschte, sollte ich nach drüben. Wenn ich bei Tisch Pickel ausdrückte, genauso. Nach drüben wünschte man mich auch, wenn ich in Handtücher onanierte. Offenbar waren die Kommunisten Typen wie ich, unreinlich und triebhaft.

Dann kam dieses ominöse Tor. Der Ball war das Medium, aber was war die Message? Ließen mir meine Genossen von drüben die Botschaft zukommen, daß ich Sportskamerad werden sollte, alert und mit starkem Tordrang? Warum hatten sie ausgerechnet diesen einen Spieler so unter Medikamente gesetzt, daß er, und nur er, den übermächtigen Gegner in die Knie zwingen konnte? Weil er "Spar Wasser!" hieß, klar. An diesem 22. Juni 1974 bekam meine pubertäre Abneigung gegen jegliche Hygiene ihren ideologischen Überbau: Ich wollte Wasser sparen, eisern, bis hüben und drüben endlich unter rotem Stern eins sein würden.

Und heute, lange nach dem Fall der Mauer? Bin ich ein reinlicher Sportskamerad. Was sonst?