Schutz der Enkel

Der thüringische Verfassungsschutzpräsident Helmuth Roewer kann dem Dritten Reich auch Gutes abgewinnen

Er ist in Thüringen der oberste Wahrer der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Doch was es da zu hüten gilt, davon hat Helmuth Roewer, Thüringens Verfassungsschutzpräsident, durchaus eigene Vorstellungen.

So erläuterte der aus dem Saarland stammende Roewer gegenüber dem ZDF-Nachrichtenmagazin "Kennzeichen D" in der vergangenen Woche sein Geschichtsbild: "Das Dritte Reich ist eine bestimmte Epoche in der deutschen Geschichte, und diese besteht nicht nur aus Verbrechen. Wenn Sie den jungen Leuten erklären, es seien nur Verbrechen gewesen, dann glauben die das nicht, weil sie dann in einen Großvater-Enkel-Konflikt kommen."

Roewers Einschätzung des NS ist keine einmalige Fehlleistung. Bereits bei einer Podiumsdiskussion am 21. Januar in Jena hatte er auf die Frage nach den Ursachen des zunehmenden Rechtsextremismus unter Jugendlichen geantwortet: "Sie sollten mal fragen, was sich für die meisten Menschen mit dem Dritten Reich noch verbindet. (...) Eine richtige Schlußfolgerung kann ein ganz normaler Mensch nur dann ziehen, wenn man ihm gesagt hat, was passiert ist, und zwar die schlechten und die guten Seiten."

Welche guten Seiten er meinte, ließ Roewer offen. Doch die Botschaft war unmißverständlich - entsprechend bekam der VS-Chef Szenenapplaus von den bei der Veranstaltung anwesenden Mitgliedern der Republikaner, der NPD und der militanten rechtsextremistischen Kameradschaft Thüringer Heimatschutz.

Roewers Mitdiskutanten auf dem Podium, dem Rechtsextremismus-Experten Bernd Wagner und der als Vertreterin der jüdischen Gemeinde eingeladenen Anetta Kahane, verschlug es hingegen die Sprache. Kahane wertete die Äußerungen später als "Parteinahme für die Rechtsextremisten", Wagner als einen "Bruch des demokratischen Konsens".

Nachzulesen ist Roewers Amtsverständnis und die Praxis der ihm unterstellten thüringischen Beamten auch im monatlich erscheinenden amtseigenen Blatt Der Monat im Amt. Von der Publikation werden rund 300 Exemplaren aufgelegt und als "Nachrichtendienst" kostenlos an einen Verteilerkreis verschickt. Der Monat im Amt beschreibt und kommentiert die aus Sicht der Verfassungsschützer bemerkens- und beobachtungswerten Ereignisse des jeweiligen Vormonats.

Schnell wird bei der Lektüre deutlich, wen der Verfassungschutz in Thüringen für besonders gefährlich hält - Autonome, den Flüchtlingsrat Thüringen, die PDS sowie zahlreiche Antifa-Organisationen. Hier finden sich alle wieder, die sich links von der SPD in irgendeiner Form - sei es durch Veranstaltungen oder Demonstrationen - kritisch äußern. So wird beispielsweise die Sprecherin des Flüchtlingsrats Thüringen namentlich als Anmelderin einer Demonstration zum Tag gegen Rassismus am 21. März 1998 in Erfurt genannt.

Am 5. Juni 1998 schafft es sogar der DGB ins Blatt, weil "etwa 100 bis 150 jugendliche Linke, Autonome, Antifaschisten und Gewerkschafter unter dem Motto 'gegen rechte Verbindungen und Burschenschaften' demonstrierten. Dazu hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund aufgerufen", schreibt der Verfassungsschutz.

Zwei Wochen später folgt ein weiterer Gewerkschafter: Unter der Überschrift "Antifa im Internet" notiert Der Monat im Amt: "Der unter dem Briefkopf der Gewerkschaft HBV agierende Antifaschist F. Lucifero (Arbeitsname: Angelo) teilt mit, daß das Hauptproblem des Faschismus zu einem Teil die Organisationen seien, zum anderen wesentlicheren Teil sei es diese Gesellschaft."

Nur kurz nach den Gewerkschaftern rückt ein Journalist ins Visier der Verfassungsschützer. Zu dem vom Verfassungsschutz kritisierten Film "Rechtsextremismus in Thüringen", den der Journalist Rainer Fromm 1998 im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung erstellt hatte, werden gleich mehrere Artikel gedruckt. So heißt es am 14. Oktober 1998: "Klausurtagung der 'Rechtsextremisten' des Amtes. Mitten hinein platzt die Meldung, daß ein 'Experte' im Auftrag einer Landesbehörde einen Rechtsextremismusfilm über Thüringen her- und vorgestellt habe. Der 'Experte' nutzt die Gelegenheit der Vorstellung, um das Land als Hort des Extremismus zu beschimpfen."

Nun wird es hektisch in Amt und Redaktion, doch nur eine Ausgabe später kann man - ein bißchen stolz, ein bißchen selbstkritisch und im Duktus einer Schülerzeitung - berichten: "Auf einen vom 'Experten' veranlaßten beschimpfenden Artikel in der Frankfurter Rundschau erfolgt erstmalig eine Gegendarstellung. Die Frankfurter Rundschau berichtigt sich drei Tage später redaktionell. Auch gut. - Abends auf dem Tag der Verfassung im Landtag Zuspruch und Häme wegen der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem 'Experten', die Erkenntnis gewonnen, daß es vielleicht besser gewesen wäre, die Sache öffentlich totzuschweigen."

Zuvor hatte der Verfassungsschutz Fromm unterstellt, er habe Thüringens Neonazis zu Demonstrationen angestiftet, um Material für seinen Film zu erhalten.

Wer einmal im Monat im Amt erwähnt werden will, hat es einfach. Kritik an staatlichen Stellen und insbesondere an Roewers Behörde sichert den jeweiligen Kritikern auf jeden Fall eine namentliche Nennung. So heißt es beispielsweise im November über den thüringischen DGB-Vorsitzenden: "Frank Spieth gehört, wie er auf der Abschlußkundgebung der Demo des

8. Antifaschistischen/Antirassistischen Ratschlags in Erfurt sagt, zu den Lesern des Nachrichtendienstes. Daß er allerdings das Amt als auf dem rechten Auge blind bezeichnet, muß auf einer Wahrnehmungsstörung (Blindheit?) beruhen. PS: Der DGB wird durch das TLfV nicht beobachtet; gegenteilige Mutmaßungen sind sinnlos."

Die von Roewer und seinen Mitarbeitern ins Visier Genommenen verlangen mittlerweile einhellig dessen Rücktritt. Gegenüber "Kennzeichen D" forderte Frank Spieth von Innenminister Richard Dewes (SPD), er solle Konsequenzen aus Roewers Kommentaren zur NS-Zeit ziehen.

Doch Dewes, der bei den Landtagswahlen im September auf den Posten des Ministerpräsidenten hofft, ist offenbar fest entschlossen, die Affäre auszusitzen.