Neues zu Waco 1993

FBI durchsucht

Sie warteten auf die Apokalypse, und die Apokalypse kam. Am 19. April 1993, nach einer 51 Tage langen Belagerung durch das FBI, starben beim Brand einer festungsähnlichen Villa in Waco, Texas, 75 Menschen. Sie gehörten der millennaristischen Davidianersekte an. Bis vor einigen Wochen war jeder - mit Ausnahme rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker - davon ausgegangen, daß sich die Fanatiker selbst angezündet hatten. Eine Untersuchung durch FBI-Brandexperten hatte ergeben, daß im Haus Benzin verteilt worden war.

Republikanische Abgeordnete erhoben damals schwere Vorwürfe gegen Justizministerin Janet Reno. Das FBI hätte nach dem ersten Erstürmungsversuch, bei dem vier Agenten erschossen worden waren, überzogen reagiert; Reno hätte sich nicht ausreichend um eine friedliche Lösung bemüht.

Nun steht die Ministerin erneut unter Druck. Vor wenigen Wochen wurde bekannt, daß das FBI am 19. April 1993 den Komplex in Waco nicht nur mit gewöhnlichen Tränengasgranaten beschossen hatte, sondern auch mit solchen eines militärischen Typs, der brennbare Gase enthält und dessen Metallhülse beim Abfeuern große Hitze entwickelt.

Die Seite des Polizeiberichtes, auf der der Fund der Hülsen in Waco erwähnt wird, fehlt im Bericht des Justizministeriums an den Kongreß. Wie und wo sie verschwunden ist, kann sich anscheinend niemand erklären, aber eines ist klar: Das Kommando vor Ort hat von der Verwendung der Granaten gewußt. Die Frage ist nur: wer noch?

Die Vorschriften des FBI für solche Einsätze enthalten ein Schweigegebot für die beteiligten Agenten. Zudem hatte die Einsatzleitung ein verständliches Interesse daran, die Verwendung der Brandgranaten zu verschweigen, auch wenn die gefundenen Exemplare bereits drei Stunden vor Ausbruch des tödlichen Feuers verschossen wurden und den Brand wahrscheinlich nicht ausgelöst haben.

Janet Reno zeigte sich extrem verärgert und ordnete eine Durchsuchung des FBI-Hauptquartiers in Washington an. Diese förderte Videos und Tonbänder zutage, deren Existenz das FBI bisher immer bestritten hatte.

Nicht nur von rechts, auch von links hagelt es jetzt auf Regierung, FBI und bürgerliche Medien ein. Das linksradikale Blatt Counterpunch spricht von einem geplanten Massenmord durch eine Bundesbehörde und der Beteiligung der vierten Macht - der bürgerlichen Medien - an der Verschleierung der Tatsachen. Damit kopiert Counterpunch das Geschrei der Rechten, nur ohne religiöses Hintergrundrauschen.

Ob mit oder ohne Weltuntergang: Die Verschwörungstheorie vereinfacht das Geschehen in und um Waco. Das FBI hat gegen die direkte Weisung seiner obersten Chefin verstoßen und dann versucht, die Spuren zu verwischen. Doch daß sich die Bemühungen der Verantwortlichen auf allen Ebenen, ihre Posten zu behalten, zu einer großangelegten Verschwörung unter Beteiligung von Regierung, FBI und Medien addieren, darf bezweifelt werden.

Einer jedenfalls hat einen neuen Job: Janet Reno hat den als unbestechlichen Ehrenmann geltenden konservativen Senator Jack Danforth zum Leiter einer unabhängigen Untersuchung bestimmt. Inmitten von Rücktrittsforderungen hat sie damit die Flucht nach vorn angetreten und sich an jemanden gewendet, der auch bei ihren entschiedensten Gegnern anerkannt ist.