Nix wie rüber!

Vor der Ankunft der UN-Truppen ziehen sich Milizen und Teile des indonesischen Militärs aus Ost-Timor zurück - mit der Drohung wiederzukommen

Australien stellt rund die Hälfte der UN-Truppe in Ost-Timor, und auch der Oberkommandierende Blauhelm Peter Cosgrove ist ein australischer Generalmajor. Was genau aber die Aufgabe der Interventionssoldaten ist, wissen auch die Militärs in Sydney, Melbourne und Darwin nicht. Australiens Armeechef Admiral Chris Barrie, der in der vergangenen Woche mit der Vorbereitung der Operation befaßt war, gestand der Tageszeitung Sydney Morning Herald jedenfalls, er wisse gar nicht, ob die UN-Soldaten pro-indonesische Milizionäre entwaffnen oder festnehmen dürften. Nur eines ist klar: Barrie erwartet eine "harte Operation". Schießen dürfen seine Soldaten deshalb auf jeden Fall. Und dabei töten natürlich auch.

So sollen knapp 8 000 UN-Soldaten den Terror in Ost-Timor beenden und der Inselhälfte einen friedlichen Übergang zur Unabhängigkeit ermöglichen - bzw. dem, was von Ost-Timor übriggeblieben ist. Denn die Kämpfer der pro-indonesischen Milizen haben seit dem Unabhängigkeitsreferendum vom 30. August in den Städten gewütet: Häuser wurden geplündert und in Brand gesteckt. Auch am vergangenen Freitag brannte es noch, sehr zur Verwunderung von UN-Sprecher Fred Eckhard: "Unsere Leute wußten gar nicht, daß noch etwas zum Anzünden übrig geblieben ist", äußerte er gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Nach Schätzungen der Uno wurden mindestens 7 000 Menschen von den pro-indonesischen Kräften umgebracht, etwa 300 000 sollen geflohen sein und weitere wurden von den Milizen in Zusammenarbeit mit der indonesischen Armee (TNI) in den Westen der Insel deportiert: Fast 135 000 waren es nach Angaben der amtlichen indonesischen Nachrichtenagentur Antara bis Freitag vergangener Woche, der Abtransport weiterer 100 000 Ost-Timoresen sei bereits geplant. Auf Lastwagenkolonnen wurde auch jede Menge zusammengeplündertes Zeug auf die Westhälfte gebracht.

Dort geht der Terror gegen die Flüchtlinge unvermindert weiter. Denn der Großteil der Milizionäre ist vor dem Einmarsch der Blauhelme ebenfalls auf dem Rückzug gen Westen. Relativ erstaunt vermeldeten die Vereinten Nationen, die Milizen seien mit einem "überraschenden Maß an militärischer Disziplin" angetreten und sie seien an Bord eines C-130 Transportflugzeuges ausgeflogen worden. Nicht, ohne vorher Drohungen gegen die aus australischen, neuseeländischen, britischen, kanadischen, portugiesischen, französischen, malaysischen, philippinischen und einigen wenigen US-Soldaten zusammengesetzte Friedenstruppe auszusprechen. Domingo de Deus, einer der Milizenführer, kündigte an, die pro-indonesischen Kräfte würden den Kampf um die Osthälfte Timors weiterführen. Etliche Kämpfer hätten sich bereits freiwillig für den Einsatz gegen die ausländischen Soldaten gemeldet. "Wir sind bereit zu töten und getötet zu werden", so de Deus, "und wenn nötig, gehen wir nach Australien und führen einen Guerillakrieg gegen die Weißen dort."

Die Milizen erscheinen also als Hauptgegner der Blauhelme, während das indonesische Militär als ihr potentieller Partner gilt: Ali Alatas, der Außenminister Jakartas, gab nach einem Treffen mit seinem portugiesischen Amtskollegen Jaime Gama und dem UN-Generalsekretär Kofi Annan bekannt, die TNI werde der multinationalen Streitmacht mit Beratern und Verbindungsmännern zur Verfügung stehen, sich aber nicht an eventuellen Kampfhandlungen beteiligen. Zugleich sollen Einheiten der TNI und der polisi, die mittlerweile zwar formal getrennt sind, aber beide weiterhin dem Verteidigungsministerium unterstehen, abgezogen werden.

Diese Kooperationsbereitschaft ist zunächst verwunderlich, zumal der Sydney Morning Herald noch in der vergangenen Woche einen Polizeiexperten zitierte, die Milizionäre stünden im Sold der indonesischen Armee. Eine Behauptung, die auch durch die gute Ausstattung der brutalen Banden genährt wird - angefangen bei ihren automatischen Waffen bis hin zum Rückzug im Transportflugzeug. Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung Ost-Timors befürchten, die Armee wolle nun die Milizen auch im Kampf gegen die UN-Truppe vorschicken.

Bisher wollte die Führung der TNI das "Problem Ost-Timor" auf bewährte Art und Weise lösen und durch die Förderung der Milizen und die Verbreitung von Angst und Terror eine Abspaltung der Inselhälfte verhindern. Mit der Möglichkeit eines ausländischen Eingreifens rechnete man offenbar nicht, muß sich jetzt aber darauf einstellen.

Propagandistisch bietet die "Invasion" ausländischer Militärs aber die Möglichkeit, mit nationalistischen Parolen innenpolitische Geschlossenheit zu fordern. Anzeichen dafür ist die bisherige relative Ruhe der führenden Oppositionspolitiker in Jakarta. Nur etwa 2 000 Studenten protestierten in der indonesischen Hauptstadt gegen die Macht des Militärs. Die australische Wochenzeitung Green Left Weekly kommt gar zu dem Schluß, daß sich Megawati Sukarnoputri, die Vorsitzende der Demokratischen Partei, um die Gunst der TNI bemüht. Denn im November steht die Präsidentenwahl an - und ohne den Zuspruch der Militärs dürfte hier kein Kandidat eine Chance haben. Sukarnoputri machte dem amtierenden Präsidenten Bacharuddin Jusuf Habibie bereits vor dem Referendum zum Vorwurf, daß er die Abstimmung zugelassen habe.

Glaubt man in Indonesien kursierenden Gerüchten, ist auch Verteidigungsminister und Armeechef Wiranto unzufrieden mit der Politik Habibies. Indonesische Zeitungen berichteten sogar von einer bevorstehenden Machtübergabe an Wiranto, den Außenminister Alatas - ein Hardliner im Ost-Timor-Konflikt - und Innenminister Syarwan Hamid. Hamid ist ein General der TNI und gilt als Hintermann des Angriffs auf das Hauptquartier der Sukarnoputri-Partei PDI im Jahre 1996. Als Innenminister ist er außerdem zuständig für regionale Angelegenheiten und direkter Vorgesetzter des Gouverneurs in Ost-Timor, Abilio Soares, der die Milizen offen unterstützte.

Ganz klar ist die Rolle Habibies nicht. Schließlich war er ein Zögling des Ex-Diktators Suharto und hat selbst lang genug von dessen croni-System profitiert. Und die Verhängung des Kriegszustandes über Ost-Timor kann eine Kommission aus ranghohen Militärs zwar empfehlen, aber die Entscheidung trifft allein der Präsident. Daher ist unsicher, ob der behauptete Gegensatz zwischen rücksichtslosen Militärs und dem kompromißbereiten Habibie real überhaupt existiert. Denkbar wäre ebenso, daß Habibie bewußt als kleineres und damit akzeptables Übel dargestellt wird und sich Indonesien auch so internationaler Unterstützung gewiß sein kann - trotz des von der EU verhängten viermonatigen Waffenembargos gegen die Inselrepublik.

Obwohl die Drohung ausbleibender Waffenlieferungen die Militärs wohl kaum beunruhigt. Nach der Invasion in Ost-Timor im Jahre 1975 war die Armee in keine exterritorialen Konflikte mehr verwickelt und erhielt aus dem Westen dennoch etliche Rüstungsgüter - gerade aus Deutschland: Maschinen- und Scharfschützengewehre für die Elite-Einheiten des Militärs, 39 Kriegsschiffe aus einstigen NVA-Beständen, U-Boote und Torpedos.

Kaum verhängt, war die internationale Absichtserklärung außerdem schon Makulatur: Die Auslieferung von drei britischen Kampfflugzeugen konnte angeblich nicht mehr aufgehalten werden. Und einige Waffen werden mit Lizenzberechtigung auch gleich in Indonesien selbst hergestellt - beispielsweise Mehrzweckhubschrauber des deutschen Rüstungsbetriebes MBB, im Flugzeugwerk IPTN. Dessen Besitzer ist übrigens Präsident Habibie.