Tödlicher Showdown

Was wußten die Fahnder? Über die tatsächlichen Umstände der Polizeiaktion gegen die vermeintlichen RAF-Mitglieder Meyer und Klump schweigen sich die Wiener Behörden aus

Waren sie tatsächlich in die Wiener Donaustadt gegangen, um zwei Bankfilialen zu observieren? Oder sollte etwa die nahegelegene "Uno-City" das Ziel ihrer Beobachtungen gewesen sein. Vielleicht hatten Horst Ludwig Meyer und Andrea Klump an der Ecke Wagramer / Donaufelder Straße auch einfach auf Bekannte gewartet, die dann über Wochen hinweg nicht kamen?

Spekulationen, Mutmaßungen, Unterstellungen. Wie immer, wenn sich die Strafverfolger in den letzten 15 Jahren öffentlich über die Rote Armee Fraktion (RAF) und ihre vermeintlichen Mitglieder äußerten, wurde auch nach der tödlichen Polizeiaktion vom Mittwoch vergangener Woche vor allem eines deutlich: Die Fahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) haben keinen blassen Schimmer davon, wer tatsächlich in der Gruppe organisiert war. Folgerichtig können sie auch heute noch nicht erklären, wer für die RAF-Anschläge in den Jahren 1985 bis 1993 veranwortlich zeichnet. So gesehen können wohl, ganz zum Unmut der Wiesbadener Kriminalisten, die Aktionen gegen den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts oder den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen nie endgültig aufgeklärt werden. Schließlich spricht nichts dafür, daß ausgerechnet Horst Meyer und Andrea Klump an diesen Angriffen beteiligt waren.

So gesehen. Aber darauf konnten sich die beiden freilich nicht verlassen. Mitte der achtziger Jahre zu den "meistgesuchten Terroristen" avanciert und bis heute nicht mit Hilfe des Verfassungsschutz-Aussteigerspezialisten "Hans Benz" freiwillig zurückgekehrt, wußten die beiden genau, was sie erwarten kann. Nicht zuletzt die Polizeiaktion von Bad Kleinen, bei der im Sommer 1993 das RAF-Mitglied Wolfgang Grams wahrscheinlich von einem Grenzschützer ermordet wurde, ersparte jeden Zweifel: Mit dem Todesschuß mußten die Abgetauchten auch noch nach der Auflösung der RAF rechnen. Oder, wie im Fall der Bad-Kleinen-Überlebenden Birgit Hogefeld, mit langjährigen Haftstrafen. Naheliegend also, daß Meyer versuchte, sich mit seiner 7,65-Milimeter-Beretta den Weg freizuschießen, auch wenn er und seine Begleiterin die Kontrolle möglicherweise mit ihren italienischen Pässen hätten unerkannt überstehen können.

Möglicherweise auch nicht. Denn der Einsatz, bei dem der 43jährige Meyer erschossen und die 42jährige Klump verhaftet wurde, war offensichtlich besser vorbereitet, als erste Pressemeldungen vermuten ließen. Zwar konnten die beiden einer Polizistin entfliehen, nur fünf bis sechs Minuten später wurden sie jedoch schon von einem Kommando der österreichischen Anti-Terroreinheit Wega unter Beschuß genommen. Die Spezialtruppe hatte keine 500 Meter weiter in einer Seitenstraße gewartet.

Das wirft Fragen auf - schließlich waren Meyer und Klump nicht als "international gesuchte Terroristen" ins Visier geraten. Zumindest nicht nach den offiziellen Angaben der Wiener Fahnder. Demnach wurden sie von Anwohnern denunziert, die beobachtet haben wollen, wie sich die beiden über Wochen hinweg regelmäßig an derselben Stelle getroffen hätten. Basecap und Sonnenbrillen - in der Tat eine Verkleidung, die den Verdacht von der technisch sehr sicher agierenden RAF wegwendet - regten dann die Phantasien der heimlichen Beobachter erst richtig an. Und die Motivation zur umfassenden Denunziation. So konnte der Sicherheitsdirektor Michael Sika eine Fotografie von Meyer und Klump präsentieren, die ein Geschäftsmann kurz vor dem tödlichen Showdown aufgenommen hatte. Der Verdacht der Anwohner zielte freilich nicht auf Terroristen, sondern auf Drogendealer.

Obwohl es auch in Österreich nicht unbedingt üblich sein dürfte, Antiterror-Einheiten gegen Drogenhändler einzusetzen, wollte man am Wochenende noch nicht einräumen, vorab von der tatsächlichen Identität der beiden gewußt zu haben. Um so gesprächiger gaben sich die Staatspolizisten, als es galt, Erfolge anzupreisen: So hätten die Beamten nach Worten des Wiener Stapo-Chefs Ewald Bachinger in der Wohnung der beiden zahlreiche Adressen von Supermärkten gefunden. Dies lasse darauf schließen, daß "Überfälle durchgeführt wurden oder geplant waren", sagte Bachinger, sprach aber von gewöhnlicher Beschaffungskriminalität für den Lebensunterhalt.

Der Wiener Standard mutmaßte gar, daß die zwei Deutschen mit Fälschungen Geld verdient hätten. Schließlich habe man in der Springergasse, wo das Pärchen seit dreieinhalb Jahren zur Untermiete gelebt hatte, eine kleine Fälscherwerkstatt gefunden. "Mit einem Computer dürften dort unter anderem gefälschte Fahrscheine für die Wiener Verkehrsbetriebe und Ausweise hergestellt worden sein." Naheliegender ist natürlich, daß die beiden sich Papiere vor allem zur eigenen Nutzung zurechtmachten. Daß Meyer und Klump, wie teilweise die deutsche Presse nahelegte, in der Donaustadt auch Anschläge geplant hätten, schloß der Wiener Oberpolizist Bachinger aus: "Erstens gibt es dort kein mögliches Anschlagsziel, zweitens wäre es sehr unprofessionell, dort Aufmerksamkeit zu erregen, wo es donnern soll."

Für die These von geplanten Aktionen spricht ohnehin nichts, selbst wenn Horst Salzmann, Sprecher der Bundesanwaltschaft (BAW), wegen Meyers "sofortigem Waffengebrauch" von einem Verhaltensmuster sprach, "das noch aus der heißen Zeit der RAF" stamme. Denn an der Erklärung der Gruppe vom März 1998, nach der "die Stadtguerilla in Form der RAF" nun "Geschichte" sei, zweifelt nicht einmal Salzmanns Behörde, geschweige denn der gewöhnlich besser informierte Verfassungsschutz. Im Gegenteil: Die Geheimdienstler hatten bereits im letzten Jahr die BKA-Fahnder mit peinlichen Aussagen brüskiert. "Hinsichtlich der mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen RAF-Angehörigen Sabine-Elke Callsen, Andrea Klump, Barbara Meyer, Horst Ludwig Meyer", hieß es in einer VS-Analyse, hätten sich "Zweifel an der tatsächlichen Zugehörigkeit zum Kreis der Illegalen ergeben." Daß Klump nie bei der RAF war, bestätigte schon 1996 die RAF-Gefangene Eva Haule. Vergangene Woche erklärte Ernst Uhrlau, der Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, daß Klump und Meyer schon Anfang der neunziger Jahre aus der RAF ausgestiegen sein dürften. Klump könne jedoch seit 1988 Mitglied in einer "internationalistischen antiimperialistischen Brigade" gewesen sein.

Eine solche Gruppe hat bislang nie von sich hören lassen. Die Einschätzung des ehemaligen Hamburger VS-Chefs Uhrlau basiert offenbar lediglich auf dem BAW-Vorwurf, daß die 42jährige Ex-Wiesbadenerin an einem "versuchten Anschlag auf eine Diskothek in Rota (Spanien) am 17. Juli 1988" beteiligt gewesen sein soll. Dann ist aber auch schon Ende der Fahnenstange - auch wenn Klump nach dem Haftbefehl von 1992 die Beteiligung am Anschlag auf Herrhausen vorgeworfen wird. Daß sie tatsächlich an der RAF-Aktion beteiligt war, daran dürften nicht einmal mehr die Karlsruher Ankläger selbst glauben.

Als einziger Beweis gelten die widersprüchlichen und teilweise widerrufenen Aussagen des Zeugen Siegfried Nonne, der Klump sowie Christoph Seidler damals in seiner Wohnung beherbergt haben will. Gegen Seidler, der bis Ende 1996 abgetaucht war und sich dann den Behörden stellte, mußte der Haftbefehl mangels dringendem Tatverdacht aufgehoben werden. Sogar dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erschien der zeitweise für den hessischen Verfassungsschutz arbeitende Nonne nicht glaubwürdig.

Zur selben Zeit, im Dezember 1996, ließ der Spiegel wissen, daß Andrea Klump in Peru lebe. Tatsächlich hielt sich die einstige Soziologie-Studentin aber - vertraut man den österreichischen Ermittlern - schon damals in der Wohngemeinschaft in der Wiener Leopoldstadt auf, in der das Paar Unterschlupf fand. Im August des Jahres soll sie gemeinsam mit dem ehemaligen Stuttgarter Meyer einen Überfall auf einen Supermarkt im Stadtteil Margareten verübt haben. Das Indiz: Mit Meyers Beretta wurde angeblich die Filialleiterin angeschossen.

Nun wartet die 42jährige auf ihre Auslieferung nach Deutschland. Die aber könnte sich verzögern. Nicht nur ihre vermeintliche Beteiligung am Supermarkt-Raub, auch die Umstände ihrer Verhaftung werden zunächst österreichische Juristen beschäftigen: Derzeit ermittele man, so Stapo-Chef Bachinger, wegen Beihilfe zu versuchtem Mord, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Paßfälschung. Immerhin: Im Vergleich mit den hiesigen Strafverfolgern können die Österreicher auf Beweise bauen - was die deutschen Richter freilich nicht von einer entsprechenden Verurteilung abhalten wird.