Bügeln rules okay

Worüber Männer wirklich reden wollen: Dos oder Mac, 22 Zentimeter oder ein bißchen weniger

Nachts vor dem Fernseher zu sitzen, bedeutet unweigerlich, Werbung für Telefon-Sex-Lines anzusehen. Das mittlerweile gewohnte Bild halbnackter Frauen mit Telefonnummern drumherum ist in der letzten Zeit jedoch deutlich erweitert worden: "Frauen telefonieren kostenlos!" oder "Gratisnummer für Girls!" heißt es nun, meistens in der oberen rechten Ecke und ohne weitere Begründung, warum frau mit ihr unbekannten Männern telefonieren sollte.

Eine Anzeige klingt jedoch äußerst verlockend, scheint sie doch die Gelegenheit zu bieten, Feldforschung ohne gleichzeitige explizite Verpflichtung zum Telefonsex zu betreiben: "Gelangweilte Hausfrauen aus Deutschland suchen für ihre Freizeit Männer wie dich!" heißt es dort. Unter der Nummer 0130 / 72 02 dürfen Frauen, vom Bügeln bored beyond belief, umsonst mit Männern telefonieren. Aber nur Frauen. Der vom Veranstalter geforderte, kurze selbstgesprochene Einführungstext, mit dem man sich beschreiben muß, wird wohl nicht nur den potentiellen Gesprächspartnern vorgespielt, sondern dient auch als Stimmtest - die zahlende Kundschaft hat schließlich ein Recht darauf, mit hundertprozentig echten Hausfrauen zu reden.

Der Stimmtest ist bei anderen Lines eine zeitaufwendige Sache, dort bekommt man erst nach Stunden eine Zugangsnummer und darf dann richtig loslegen. Aber gelangweilte Hausfrauen können nicht warten, deswegen wird man schon nach wenigen Takten Easy Listening-Musik als neue Teilnehmerin begrüßt: "Hey, ich habe einen Mann für dich gefunden", heißt es dann, und schon ist am anderen Ende der Leitung tatsächlich ein Mann.

Das merkt man daran, daß die Musik aufgehört hat und Schweigen herrscht. Langes Schweigen. Pietro, den 30 Sekunden Nichtssagen ungefähr eine Mark siebzig kosten, besinnt sich schließlich doch auf sein Anliegen. Er beginnt das Gespräch mit einem zündenden "Und?", was jedoch leicht mit einem noch einfallsreicheren "Wie, und?" gekontert werden kann. "Ich habe deine Ansage gehört", eröffnet er Überraschendes, fährt fort: "Das war ja erfreulich, im Endeffekt" und bemüht sich, das Gespräch auf eine persönliche Ebene zu ziehen: "Was machst du, jetzt, so früh?" Die Antwort: "Ich telefoniere mit dir!" verschlägt ihm nur sekundenlang die Sprache, dann will er Sachen gefragt werden. Kann er haben: "Wenn dir nach Gesellschaft ist, warum bist du dann nicht draußen und lernst Leute kennen?" Das weiß Pietro leider auch nicht, deswegen ist ziemlich abrupt Schluß.

"Dieser Mann hat nun wirklich keinen Geschmack, denn er hat soeben aufgelegt", erklärt die notorisch heitere Tonband-Stimme, bevor sie aufgeräumt fortfährt: "Und jetzt mach' ich mich auf die Suche nach dem nächsten Traummann." Der heißt Robert, ist aus Dresden und will mit "Ich heiße Monique, bin 18, wohne in Dessau und habe keine Ahnung, was man hier so macht, aber vielleicht kannst du es mir ja zeigen" unbedingt reden. Wie man in dem Alter bereits eine gelangweilte Hausfrau sein kann, interessiert ihn dabei weniger.

Robert quatscht drauflos und freut sich über jedes verschämtes Kichern als Antwort. Bis er im Onkel-Tonfall fragt "Na, hast du denn schon einen Freund?" Das "Nein!" ist ein Fehler, denn nun will er wissen, wie man solo sexuelle Bedürfnisse stillen kann. Und wird angesichts der fünften Kichersalve dann doch sehr ungeduldig. Schließlich rückt Monique mit der Wahrheit heraus: "Naja, wenn ich Lust dazu habe, dann gehe ich halt aus und schlepp' jemanden ab."

Das gefällt Robert sehr, denn so hat er sie sich immer vorgestellt, die freie Jugend. Deswegen will er Näheres hören. Kann er haben: "Ach, du weißt ja, wie das mit Männern ist: Man packt sie am Schwanz, und schon folgen sie einem willig nach Hause." Das sei "verdammt großartig", begeistert sich Robert, genau nach seinem Geschmack und überhaupt: "Wir beide passen bestimmt gut ineinander!" Deswegen fragt er, wie weit es denn von Dresden bis nach Dessau sein mag, "Ich hab' ein Auto!" Das zu beantworten fällt jedoch jemandem, der weder eine Ahnung hat, wo Dessau liegt, noch Wert auf Sex mit Robert legt, schwer. Deswegen muß dieses Gespräch jetzt sofort unterbrochen werden.

"Findest du, dein Gesprächspartner ist eine Null, dann drück die Null", hatte während des kurzen Einführungslehrgangs die Stimme erklärt - die 0-Taste funktioniert jedoch nicht, Robert erläutert immer noch seine sexuellen Vorlieben. Das ist ekelhaft, denn natürlich hat man schon mindestens einen TV-Krimi gesehen, in dem korrupte Telefon-Sex-Anbieter Klarnamen und Adressen von Anruferinnen verkauften. Mit schrecklichen Folgen. Also schnell aufgelegt!

Der nächste Kandidat heißt Marc und möchte spielen. Allerdings nicht das Brettspiel "Siedler", obwohl er zustimmt, daß die Erweiterung "Ritter und Städte" sehr schön ist, Marc möchte anders spielen. Und hat, deutlich hörbar, auch schon mal angefangen. "Wenn du meinen Schwanz sehen könntest", stößt er etwas gepreßt hervor, bevor er den Telefon-Sex-Teilnehmer-Standard offenbart: 22 Zentimeter lang, sechs Zentimeter breit. Seine Fragen sind kongenial: "Bist du jetzt echt geil?" oder "Schaut deine Mama zu?"

Mit "Ja!" beantworten sollte die gelangweilte Hausfrau solche Fragen nur dann, wenn sie wirklich einem wildfremden Mann beim Orgasmus zuhören möchte. Wovon man die meisten Männer jedoch leicht ablenken kann. Sascha etwa, ein Computerspezialist aus Berlin, mag zu Beginn des Gesprächs beispielsweise durchaus anderes im Sinn gehabt haben, immerhin wiederholt er mehrere Male, wie allein er sei. Die einmalige Chance, einer frustrierten Hausfrau namens Monique den Unterschied zwischen Dos- und Mac-Rechnern zu erklären, mag er sich jedoch nicht entgehen lassen.

In seinem halbstündigen Plädoyer für die Dose kamen zwar imponierend viele Arbeitsspeicher, Rams, Grafikprogramme und Tricks vor, überzeugen jedoch kann er nicht. Denn selbst Hausfrauen wissen, daß Dosen in Wirklichkeit gar keine Rechner sind. Und können daher auch nur maximal 30 Minuten lang, solange dauert perfektes Nägel-Lackieren, "Was du nicht sagst!" in den Hörer hauchen, dann lautet die Alternative auch schon wieder: Bügeln oder der nächste Kerl.

Der heißt Max, kommt aus Düsseldorf, verfügt über die einschlägige Penisgröße und hat eine Bitte. Er möchte Frauenkleider tragen. Warum er nicht einfach losgeht und die Dinge tut, von denen er in teuren Telefongesprächen mit ihm unbekannten Frauen träumt, ist eine Frage, die man niemals stellen sollte, denn sowas spricht sich in Sex-Line-Teilnehmerkreisen schnell herum. Und dann muß man sich, mit leicht veränderter Stimme, eine neue Identität ausdenken. Daher sollte man sich auch mit Fragen männlichen Stylings beschäftigen.

Dem ängstlichen "Hast du ein Outfit für mich?" kann man daher frohgemut mit "Klar!" entgegnen und bei dieser Gelegenheit sogar stilbildend wirken: "Ja, du trägst ein moosgrünes Minikleid!" - "Mmmh." - "Ist das nicht das richtige für dich?" - "Ähh, doch." Na also. "Ein moosgrünes Kleid mit rot-orange gepunkteten Strümpfen. Und beigen Pumps, die eigentlich viel zu hoch für dich sind."

Männer sind erschreckend phantasielos, Max will weitere Details über Klamotten hören, die ihm eigentlich gar nicht gefallen. Das ist aber nur bis zu dem Punkt lustig, an dem er offenbart, warum er für eine Frau gehalten werden möchte: Max will nachts auf der Straße Frauen überraschen. Da hilft nur die Radikalkur: "Von jetzt an wirst du jedesmal, wenn du an Sex denkst, an Reibekuchen denken müssen!" Max schluckt, das gefällt ihm gar nicht - aber hey, dies ist die Gelangweilte-Hausfrauen-Welt, und da gelten unsere Regeln.

Auch für Lars aus Leipzig: Nach der kurzen Vorstellung wird er sofort aufgeregt. "Binkelmörönsgesöcht", schnauft er. Auf den Einwand, man verstehe kein Wort, wiederholt er unbeirrt: "Binkelmörönsgesöcht". Umsonst oder nicht, als gelangweilte Hausfrau hat man immerhin das Recht auf Konversation in einer der bekannten Sprachen. Deswegen muß Lars zurechtgewiesen werden: "Du Drecks-Sachse, sprich Hochdeutsch!" Das gefällt dem Mann: "Beschimpf mich! Ja!" antwortet er und erklärt sein Anliegen. Er möchte angepißt werden. Kann er haben: "Ssswwsswwss" ist ein mit nur wenig Stimmaufwand leicht zu produzierendes Geräusch, das schon bei kleinen Kindern, die ewig lange auf der Toilette brauchen, wirkt. Bei Lars allerdings nicht: "Ich merk' nix!" beschwert der sich, und läßt sich auch durch die Erklärung: "Telefone können eben nicht Pipi machen!" nicht beruhigen. Immerhin funktioniert diesmal die 0-Taste.

Was folgt, ist auch nicht besser. Deswegen gibt es keinen Grund, weiter zu telefonieren. Denn die Männer sind langweilig, so langweilig, daß plötzlich Bügeln zu einer echten Alternative wird. Wahrscheinlich werden Sex-Lines, bei denen Frauen umsonst telefonieren dürfen, von der bisher im Verborgenen arbeitenden Initiative "Frauen zurück in den Haushalt" betrieben. Bis die ihr Ziel erreicht hat, kann es nicht mehr lange dauern. Bügeln rules okay.