Legende vom Arbeiter

Mit Laurent Cantets »Ressources Humaines« startet Arte eine Filmreihe zum Thema Arbeit.

Kino und Fernsehen haben dem sozialen Ort »Arbeitsplatz« bisher keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Offensichtlich üben beide eine gesellschaftliche Funktion aus, die das Nachdenken über Arbeit nicht vorsieht. Arte startet jetzt eine sechs Filme umfassende Reihe zum Thema »An die Arbeit«, die einen anderen Ansatz versucht.

Dies gilt ganz besonders für den Eröffnungsfilm »Der Jobkiller« - im französischen Original weniger drastisch »Ressources Humaines« -, dessen Handlung sich vornehmlich in einer Fabrik abspielt. »Ressources Humaines« ist eine französische Wortübernahme aus dem Amerikanischen. Man kann auch »Personalbüro« dazu sagen. Hinter dem Euphemismus verbirgt sich vor allem ein Ansatz des innerbetrieblichen Managements, bei dem »schlanke Produktion« gesagt wird und Personalabbau gemeint ist.

Aber, wie es sich für einen anständigen Filmtitel gehört, lässt auch dieser mehrere Assoziationen zu: Für das Geschichten-Erzählen ist der Mensch ein Rohstoff. Vorkommen dieses Rohstoffes gibt es auch im Abbaugebiet »Arbeitswelt« - bisher allerdings weniger erschlossen als beispielsweise »Krieg«, »Liebe« oder »Verbrechen«.

Der Film erzählt die Geschichte von Frank, der in seine nordfranzösische Heimat zurückkehrt. Der ehrgeizige BWL-Student einer Pariser Elitefakultät tritt ein Praktikum in der Firma an, in der sein Vater seit 30 Jahren Arbeiter ist. Dort stecken die Verhandlungen über die Einführung der 35-Stunden-Woche in der Sackgasse. Der Vorschlag Franks, eine Umfrage in der Arbeiterschaft durchzuführen, bringt Bewegung in die Angelegenheit und führt zum Wendepunkt in der Erzählung: Als Frank am PC des Personalchefs die Fragebögen auswertet, stößt er auf geheime Umstrukturierungs- und damit verbundene Entlassungspläne, von denen auch sein Vater betroffen ist. Ihm geht auf, dass seine Umfrage nur der Verschleierung dieser Pläne gedient hat. Nun macht er das Vorhaben der Firma öffentlich, provoziert damit seinen Rausschmiss und löst einen Streik aus.

Regisseur Laurent Cantet hat den Film mit Laien gedreht, die er über das Arbeitsamt castete. In mehrmonatigen gemeinsamen Proben wurden die Dialoge entwickelt. Das Spiel der Darsteller - ihre Gesten, Körperhaltungen und Ausdrucksweisen - ist von beeindruckender Genauigkeit. Die Rolle des wie ein verlorener Sohn in sein Milieu zurückkehrenden Frank wurde dagegen mit einem professionellen Schauspieler (Jalil Lespert) besetzt. Das unterstreicht den Subtext seiner Figur, das Fremdgewordene. Die Rolle des Fabrikanten - zweite Ausnahme - wird von einem Kleinunternehmer gespielt.

In einzelnen Kapiteln werden Standardsituationen aus der Arbeitswelt in eine zwingende Zuspitzung gebracht. Die ruhigen Bilder trügen, sie sind weniger dokumentaristisch beiläufig als vielmehr sachlich effizient. Alles in diesem Film steht im Dienst einer gradlinigen Erzähllogik. Jeder Schnitt legt eine Bedeutung fest. Am Ende eines jeden Erzählblocks gibt es eine Abblende. Bei so viel didaktischer Ordnung stellt sich eine weitere Assoziation zum Titel ein: Die Erzählung reduziert ihre Figuren zu verstehbaren Archetypen.

In der Krise wird der Blick auf Strukturen freigestellt, die sich, um Erzählung werden zu können, Personen suchen, sich repersonifizieren. Hier kann man sagen: Im Verschwinden der Arbeit entstehen Turbulenzen, die etwas zu Tage fördern. In der Agonie der Arbeitsgesellschaft kommen ihre Existenzbedingungen besonders deutlich zum Vorschein.

Die Arbeit ist zunächst etwas zu Verbergendes. Eine Berechtigung ist vonnöten, um sie zu besichtigen. Erst als Frank die Erlaubnis dazu erhält, begleitet ihn die Kamera in einer präzisen Parallelfahrt durch die Fabrik, die so sauber und modern ist wie bei Jean-Luc Godard in »Passion« und »Nouvelle Vague«.

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert hat sich die Vererbung der Arbeit von einer Generation an die nächste kompliziert. Wenn der Vater wortkarg seine wenigen Handgriffe erläutert, ist der Stolz auf die tägliche Verrichtung noch deutlich enthalten. Dieser Stolz bezieht sich aber mehr auf die dafür nötige Ausdauer als auf die Tätigkeit an sich. Darin drückt sich auch ein Rentabilitätsdenken aus, das wie von der Betriebsleitung übernommen wirkt. Frank tritt in eine vorgeordnete Welt. Nicht die besondere Tätigkeit wird vom Vater auf den Sohn übertragen, sondern die Möglichkeit, innerhalb dieser festen Ordnung arbeiten zu können.

Die Arbeit in der Fabrik bleibt im Film abstrakt, was hergestellt wird, bleibt offen. Die Fabrik wird als ein System räumlicher und sozialer Hierarchien gezeigt. Bilder, die individuelle Fertigkeiten abbilden könnten, werden in die Privatsphäre verlagert: Es gibt eine Sequenz, die den Vater in der Garage nach Feierabend zeigt. In einer Abfolge einzelner Arbeitsschritte sieht man ihn ein Möbel schreinern. Arbeit als Manufaktur überlebt im Reservat des Hobbykellers.

Was aber auch stattfindet in »Ressources Humaines«, ist die psychologische Beschreibung eines Vater-Sohn-Verhältnisses. Eine Schlüsselszene: Der Unternehmens-Chef mit seiner geräumigen Limousine setzt Frank am späten Abend vor dem Einfamilienhaus seiner Eltern ab. Franks Eltern beobachten unbemerkt die Verabschiedung. Das macht der Film sonst kaum, dass er so distanziert auf seine Hauptfigur schaut. So wird deutlich, dass Frank Gegenstand des heimlichen väterlichen Stolzes ist. Der Sohn des Arbeiters ist kein Arbeiter mehr. Er wird - von der Arbeit des Vaters bezahlt - zum zukünftigen Manager ausgebildet. Aber wendet sich Frank wirklich von seinem Vater, seiner Klasse ab? Ist es nicht vielmehr der devote Proletarier selbst, der seinen Sohn in die Arme des Kapitalisten-Patriarchen treibt? Frank ist jedenfalls sichtbar unwohl in seiner Haut.

Mit dieser Szene läuft der Film auf Franks persönliches Scheitern hinaus. Das Schicksal bietet ihm keine Rettung, er steckt verloren zwischen den falschen Möglichkeiten. Denn sein Problem ist: Er hat gute Absichten, sogar Überzeugungen. Die formuliert er auch und klärt damit sein Verhältnis zum wirklichen als auch zum Ersatzvater.

Im Rahmen der Erzählung begeht er einen doppelten Vatermord. Das zeigt der Film jedoch keinesfalls als Triumph Franks. Denn die Frage nach seinem Platz in der Gesellschaft, die Frank sich am Ende des Films stellt, kann er sich nicht mehr beantworten. Er sitzt alleine am Rande einer Gruppe von Streikenden und beobachtet seinen Vater, der lange gegen den Arbeitskampf war und nun wieder ganz selbstverständlich Teil dieser Gemeinschaft ist. Er neckt mit einem seiner Enkelkinder herum. Durch die Ereignisse, die der Film beschreibt, scheint er ein wenig befreit vom Terror, den die Legende von der allein selig machenden Arbeit ausübt. Das fördert die Fähigkeit bei ihm zu Tage, Zärtlichkeiten zu zeigen, die hier kurz aufscheint wie eine weitere menschliche Ressource.

In Franks Profil, dem letzten Bild des Films, wird die Trauer eines Sohnes sichtbar, dem die Verhältnisse offene Zuwendung immer verweigert haben. Ein mögliches und lange Zeit sehr gängiges Substitut, nämlich die Selbstzurechnung zu einer Klasse, steht ihm nicht mehr zur Verfügung.

»Ressources Humaines«. R: Laurent Cantet, Arte, 14. Januar, 20.45 Uhr
»Plus Minus Null« von Eoin Moore, ein Film aus und über Berlin, am selben Abend um 23.20 Uhr.
Weitere Termine: 15., 21. und 22. Januar