Alternative Lebensformen

31:24 für die CDU

Jeden Monat findet in jedem der 23 Berliner Bezirke eine höchst überflüssige Veranstaltung statt - die turnusgemäße Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Zu entscheiden gibt es so gut wie nichts, denn die Berliner Landesverfassung gesteht den BVVen kaum Kompetenzen zu. Aber das lässt man sich nicht anmerken.

In Neukölln leistet man sich gar zwei Zuschauertribünen, der Kartenverkauf beginnt eine Stunde vor Spielbeginn. Leider kann man jeweils nur die Hälfte der Polit-Arena einsehen. Da weder Spieler noch Zuschauer während der Show die Seiten wechseln, muss man sich bereits frühzeitig für eine Seite entscheiden - was die Protokollantin mit einem süffisanten »Aber sie müssen sich jetzt nicht outen« kommentiert.

Ich nehme die rechte Hälfte, um die haushohen Favoriten zu sehen: Die Christdemokraten verfügen hier über eine satte Mehrheit. Doch erst mit viertelstündiger Verspätung strömt der CDU-Mob in den Saal, nimmt Platz - und sofort geht es los. Tagesordnungspunkt eins: »Dringlichkeiten«. Heute ist das nur Totengedenken. Alle stehen auf, man ist sich schnell einig. Nicht anders bei den Tops zwei bis elf, wo entweder die Wahl von Schiedsfrauen abgenickt oder der Ansprache eines kleinen unscheinbaren Männchens namens »Bürgermeister Manegold« gelauscht wird. Dann noch schnell die »Konsensliste« verlesen - und wieder ist eine Hand voll Anträge geschafft.

Der politisch-intellektuelle Schlagabtausch kommt erst mit den Mündlichen Anfragen in Gang. Die Stadträte müssen den Vorzeige-Oppositionellen Rede und Antwort stehen. Da wird über die Bewässerung repräsentativer Brunnenanlagen gestritten, die Kostenübernahme für die Aufnahme brandenburgischer Schüler gefordert und Rechenschaft verlangt für die unglaublichen Vorkommnisse rund um die Erstellung des offiziellen Bezirks-Terminkalenders. Doch die 31 CDUler bleiben von all dem völlig unberührt. Warum Anfragen stellen, wenn man eh immer Recht bekommt? Die Anträge der anderen 24 Verordneten niederstimmen, die eigenen durchpeitschen - Konzentration auf das Wesentliche ist angesagt.

Die Fraktionsspitze schiebt sich Lindt-Schokolade hin und her, beleibtere Semester begnügen sich mit dem Austausch von Anzeigenblättern sowie dem Sportteil des Tagesspiegels. Manche werden am Ende des Tages nichts getan haben, als fünfzehnmal den Arm zu heben. Die Zerknirschteren unter ihnen scheinen innerlich bereits an Anträgen zu feilen, das Sitzungsgeld progressiv ansteigend an die Länge der Veranstaltung zu koppeln. Solange pauschal vergütet wird, bemüht man sich, das Ganze nicht durch überflüssige Diskussionen in die Länge zu ziehen. Die jüngeren Abgeordneten üben sich in Geduld und warten auf ihre Beförderung ins Abgeordnetenhaus.

So starre ich stundenlang in gelangweilte Gesichter, kann mich allenfalls am schlecht sitzenden Toupet des CDU-Fraktionsvorsitzenden Robbin Juhnke erfreuen. Die Mehrheit der Zuschauer wusste wohl, warum sie die gegenüberliegende Tribüne gewählt hat. Sie gewährt freien Blick auf die Opposition, deren Krakeelen immerhin auf so etwas wie inneres Engagement schließen lässt.