Die Kunst des Möglichen

Vor ihrem Parteitag im März verlaufen die Grenzen innerhalb der Grünen nicht zwischen Basis und Funktionären, sondern zwischen pragmatischen und kritischen Regierungsbefürwortern.

Wenn du neu an die Macht kommst, bringe die notwendigen Grausamkeiten gleich am Anfang und mit aller Härte hinter dich. Die Wohltaten dagegen erweise nur nach und nach, auf dass sie stärker wahrgenommen werden. Diese Weisheiten legte Niccol˜ Machiavelli den Herrschenden schon vor bald 500 Jahren in seiner Schrift »Der Fürst« ans Herz - und sie funktionieren noch immer.

Die grüne Parteispitze jedenfalls hat sie beherzigt, wenn auch weniger im Umgang mit der Gesellschaft als vielmehr mit der eigenen Partei. Was wurde der grünen Basis in den ersten Monaten der rot-grünen Regierung nicht alles zugemutet: Nichts war's mit dem Sofortausstieg aus der Atomkraft, stattdessen werden demnächst unter einem grünen Umweltminister wieder Castor-Transporte rollen. Legalisierung von Cannabis und ein grundsätzliches Umdenken in der Drogenpolitik? - Pustekuchen. Dazu eine so genannte ökologische Steuerreform, die ausgerechnet die größten Dreckschleudern der Industrie subventioniert. Und nicht zuletzt der erste deutsche Krieg seit fast 50 Jahren.

Viele haben die Grünen inzwischen verlassen. Wer immer noch dabei ist, hat gelernt, Kompromisse zu schließen. Um so begieriger wird nun nach den kleinen Zuckerln geschnappt, die die Regierungsbeteiligung dann doch noch ab und an abwirft - und seien es nur zwölf Pfennig mehr für den Liter Benzin oder die vage Hoffnung, dass der Atomausstieg doch irgendwann kommen wird. Obwohl die Bilanz der ersten 16 Monate grüner Regierungsbeteiligung bei objektiver Betrachtungsweise selbst für so genannte Realpolitiker einem Fiasko gleichen muss, braucht sich die Parteispitze vor dem kommenden Parteitag, der vom 17. bis 19. März in Karlsruhe stattfindet, nicht zu fürchten. Ein Aufstand der Basis ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Die Stimmung in der Partei - vor ein paar Monaten noch auf dem absoluten Tiefpunkt - hat sich deutlich gebessert.

»Ein Jahr nach der Regierungsübernahme war bei uns der totale Frust«, sagt Ludwig Hartmann vom grünen Jugendverband in Bayern, der im März als Delegierter nach Karlsruhe fahren wird. Noch vor wenigen Monaten hatte er wie so viele gefordert, die Koalitionsfrage zu stellen, falls nicht endlich grüne Forderungen verwirklicht würden. Inzwischen sieht er dafür jedoch erste Anzeichen: »Jetzt schaut es langsam besser aus.« Schließlich kämen die lange versprochenen Förderungen für alternative Energien endlich in Gang. Und in Sachen Panzergeschäft mit der Türkei habe die Regierung eine klare Position bezogen.

Dass der Ausstieg aus der Atomenergie in weite Ferne gerückt ist, damit hat sich Hartmann abgefunden. »Ob der Ausstieg jetzt in 25, 30 oder 35 Jahren kommt, ist mir egal. Wichtig ist, dass endlich alternative Energien ernsthaft unterstützt werden.« Ähnlich sieht das auch der bayerische Landesvorstand der Grünen: Der Vorschlag der grünen Bundestagsfraktion, für die bestehenden Atomkraftwerke 30 Jahre Restlaufzeiten plus drei Jahre Übergangsfrist zu gewähren, sei zwar »nicht unser Traumergebnis«, damit leben könne man aber schon, sagt Pressesprecher Alex Burger. Politik sei schließlich die »Kunst des Möglichen« - und einen Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht oder teure Entschädigungszahlungen an die Industrie wolle man lieber nicht riskieren. Allen Kritikern der Kompromisslinie wirft Burger vor: »Wer jetzt sagt, wir machen nicht mit, riskiert, dass in den nächsten 30, 40 Jahren überhaupt nichts passiert in Sachen Atomausstieg.«

Dabei stört es die bayerischen Grünen auch nicht, dass dank der rot-grünen Atompolitik im Freistaat demnächst drei atomare Zwischenlager entstehen werden. Weil die Regierung auf »standortnahe Zwischenlager« setzt, müssen nach Aussagen von Viag-Chef Wilhelm Simson in den bayerischen Kernkraftwerken Ohu, Gundremmingen und Grafenrheinfeld spätestens ab 2005 solche Lager eingerichtet werden. Denn irgendwo muss der radioaktive Atommüll ja gelagert werden, den die AKW laufend produzieren - und in den kommenden 15 bis 20 Jahren wohl auch weiterhin produzieren werden.

Insgesamt liegen dem Bundesamt für Strahlenschutz bereits zehn Anträge auf Errichtung von Zwischenlagern in ganz Deutschland vor. »Das rotgrüne Entsorgungskonzept macht deutlich, dass es nicht um den versprochenen Ausstieg, sondern um den protestfreien Weiterbetrieb der Atomkraftwerke geht«, konstatiert Irene-Maria Sturm, einst grüne Landtagsabgeordnete, heute parteilos und Sprecherin des Dachverbandes der Oberpfälzer Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen.

In der grünen Partei ficht das jedoch kaum einen an. Einzig der niedersächsische Landesverband beschloss auf seinem letzten Parteitag, dass »sichtbare Zeichen für einen glaubwürdigen Ausstieg« gesetzt, sprich: mindestens zwei Atomkraftwerke bis zur nächsten Wahl abgeschaltet werden müssen. Sollte bis zum kommenden Bundesparteitag keine gesetzliche Regelung in diesem Sinne vorliegen, »werden die niedersächsischen Grünen den Verbleib in der Regierungskoalition zur Diskussion stellen«. Für Realo René Krebs, der gemeinsam mit Heidi Tischmann dem Landesverband vorsteht, ist indes klar: Mit diesem Beschluss machen sich die niedersächsischen Grünen zu »exotischen Außenseitern« innerhalb der eigenen Partei. Und damit hat er wohl Recht.

Auch in Sachen Panzerlieferung an die Türkei wird es auf dem Bundesparteitag kaum zu ernsthaften Verwerfungen zwischen Parteioberen und Basis kommen. Die Basis benebelt sich mit der beruhigenden Tatsache, dass die Bundesregierung jüngst neue Richtlinien für Rüstungsexporte aufgestellt hat, in denen auf die Einhaltung der Menschenrechte besonderen Wert gelegt wird. Zwar haben Fischer & Co. während des Kosovo-Krieges bewiesen, dass man mit dem Verweis auf die Menschenrechte alles rechtfertigen kann. Trotzdem ist das Vertrauen der grünen Partei in ihren Joseph ungebrochen. »Ich glaube nicht, dass das Panzergeschäft zu Stande kommt«, sagt Ludwig Hartmann. »Denn es ist nicht absehbar, dass sich in der Türkei irgendetwas in Sachen Menschenrechte tun wird - zumindest nicht in den nächsten zwei Jahren.« Und so lange werde eine Bundesregierung mit grüner Beteiligung ein solches Panzergeschäft auch nicht genehmigen.

Die grünen Minister können sich also der Unterstützung ihrer Partei sicher sein. In einem Punkt jedoch ist noch nicht abzusehen, ob sich Fischer und Freunde durchsetzen werden: bei der lange geforderten Strukturreform der Partei. Jahrelang wurde dafür getrommelt, endlich die Trennung von Amt und Mandat abzuschaffen, die Parteiorganisation zu straffen und sie so auf einige herausragende Persönlichkeiten zuzuschneiden. Kurz: Aus dem einstigen bündnisgrünen Selbstverständnis - »ökologisch, gewaltfrei, basisdemokratisch« - sollte nach dem »gewaltfrei« auch das »basisdemokratisch« gestrichen werden. Auf dass aus den Grünen endlich das wird, was Joseph Fischer schon vor zehn Jahren wollte: eine grün angestrichene FDP.

Doch jetzt, da die Partei endlich reif erschien, kommt ausgerechnet der CDU-Spendenskandal dazwischen und macht deutlich, wohin Machtkonzentration und Ämterhäufung führen. Der Bundesvorstand will sich dennoch nicht beirren lassen. Noch am 28. Februar soll der Parteirat über die Strukturreform abstimmen. Nach dem Vorschlag der Parteispitze sollen von den zukünftig sechs Mitgliedern des Parteivorstandes maximal drei auch ein Bundes- oder Landtagsmandat besitzen dürfen. Ob dieser Vorschlag auf dem Parteitag in Karlsruhe jedoch tatsächlich die nötige Zweidrittel-Mehrheit finden wird, scheint eher fraglich.

Weshalb man an der Parteispitze nun krampfhaft nach einem Kompromiss sucht: So plädiert etwa der Berliner Landeschef Andreas Schulze dafür, die Trennung von Amt und Mandat mit einer Begrenzung der Amtszeit für die Führungsspitze zu verbinden. Und Bundestags-Fraktionssprecherin Kerstin Müller hat vorgeschlagen, wenigstens Regierungsmitglieder und Fraktionsvorsitzende auf Bundesebene von einem Amt im Bundesvorstand auszuschließen. Schwer abzusehen, welcher Vorschlag am Ende das Rennen macht.

Die verbliebene Parteilinke ist jedenfalls zuversichtlich, dass sie die Reform insgesamt noch kippen kann. Die Realos bekämen langsam kalte Füße, konstatiert der Berliner Bundestagsabgeordnete Hans Christian Ströbele, »weil es sich im Augenblick nicht besonders gut macht, bei den Grünen eine Trennung von Amt und Mandat aufzuheben, wo in allen anderen Parteien eine Diskussion gerade darüber geführt wird, ob es wegen des Spendenskandals nicht besser wäre, eine Trennung einzuführen«.