Iris Radisch über den Österreich-Hass der Literaten

Eine Rückreise von Klagenfurt

Es gibt, wem sage ich das, auch eine unschöne Auslegung der Psychoanalyse. Freuds Gedanke der »Umsetzung von Liebe in Hass« dient manchen Party-Psychologen zur frivolen Inversion: »Du hasst etwas? Dann liebst du es insgeheim!« Damit kann man auf Vernissagen in Berlin-Mitte reüssieren und selbstverständlich im Feuilleton, dem zum Tode Friedrich Guldas auch nur diese Geistreichelei einfiel: Sein Hass auf Österreich sei im Grunde eine Liebe gewesen, etwas aufdringlich überdies, das kenne man doch schon seit Kraus und Bernhard, hätte er nicht im angestammten Bezirk bleiben können, in Wien Mozart spielen und ansonsten seine Klappe halten?

Nun darf auch noch Iris Radisch in der Zeit (17. Februar) mit dieser angejahrten und seit längerem nicht geölten Retourkutsche vorfahren: »Enttäuschte Heimatliebe als politische Kulturtechnik. Das kann nach Lage der Dinge naturgemäß keine gute Sache sein.« Erstens nach Lage der Dinge, zweitens naturgemäß. Als die Dinge noch natürlich ihren Lauf nahmen, war Iris Radisch eine dieser Kritikerinnen beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, die ehrgeizigen jungen Literaten - denen man nichts Besseres gönnt - beibiegen, wie sich das Feuilleton die Literatur vorstellt. Nun haben die Bachmann-Erben dem Wettbewerb den Namen der Dichterin entzogen, und Radisch sieht ihre Spesen davonschwimmen: »Inwiefern die Umbenennung des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs (...) der Literatur einen Dienst erweist, suche man lieber nicht zu ergründen.« Man käme noch darauf, dass Radisch ihr jedenfalls keinen erwiesen hat. Zumindest diejenigen, die Uwe Johnsons Essay »Eine Reise nach Klagenfurt« kennen, werden gedacht haben, dass diese spätestens seit Metternich genuin faschistoide Portiers-Gesellschaft noch nicht einmal die Bachmann verdient hat. Wenn, wie Radisch meint, die Drohung, den Wettbewerb nach Rom zu verlegen, »niemandem nützt«, dann muss doch etwas Gutes an ihr sein.

Der Betriebsnudel hingegen kommt ob dieser »nachgerade kindlichen Hassliebe zum Vater Staat« die österreichische Literatur »ein wenig wunderlich und weltverloren« vor. Was die Welt ist und was sie fordert, glaubte Radisch zu wissen, nun wollen die österreichischen Literaten mit dieser Welt nichts mehr zu tun haben. Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard sind für die Erzieherin der Jungliteraten nur mehr »Kinder«, die sich »auf dem Heldenplatz des Entzugs« in Positur werfen. Es scheint immer etwas erwachsener zu sein, sich des Pathos der großen Weigerung zu enthalten, brav seine Stunden auf dem Redaktionssessel abzuhocken, überall seinen milden Ironie-Senf draufzuschmieren und ansonsten den Staat einen guten Mann sein zu lassen. Es ist aber auch hässlich.

Bernhards und Jelineks Geste, angeekelt die Hand von den Österreichern zurückzuziehen, ist schöner als ihre Literatur. Und Kraus' Literatur besteht ganz aus dieser schönen Geste. Das kann die Zeit-Redakteurin nicht begreifen, für die Literatur erstens Lage der Dinge, zweitens naturgemäß ist: erstens Warten auf den gesamtdeutschen Berlin-Wende-Roman mit zart-patriotischen und mild-ironischen Ornamenten, zweitens Juroren-Rundreise. Hinter dieser Art von Liebe zur Literatur steht gewiss auch ein trübes Triebschicksal.