HipHopp ist die Queen

Werner Schroeter verehrt Marianne Hoppe als »Die Königin«

Letztes Jahr waren auf den Oberhausener Kurzfilmtagen die frühen Filmexperimente von Werner Schroeter zu sehen. Fünf- bis dreißigminütige Kurzfilme auf acht Millimeter, die mit wenigen, oft sehr langen Einstellungen die Filmleinwand in eine Guckkastenbühne verwandeln und die ohnehin reduzierte Handlung auf ihre dramatische Steigerungsfähigkeit untersuchen. Mal mit, mal ohne Carla Aulaulu oder Magdalena Montezuma - den Diven der frühen Jahre -, wird hier der konzertierte Stillstand geprobt, bei gleichzeitiger Wiederholung der fast immergleichen, kaum veränderten Tableaus. Große Gesten, sparsame Handlung.

Mit dem Hang zum Archaisch-Großartigen, das eigentlich nur in der Oper Platz hat, war bei Schroeter immer zu rechnen, in seinen stilisierten Callas-Filmen, dem tragödienhaften Genremix »Eika Katappa« (1969), bei dem »Nibelungen»- auf »Tosca»-Motive treffen, ebenso wie in »Palermo oder Wolfsburg« (1979/80), der Halbdokumentarisches mit dramatisch überhöhten Szenen verbindet, oder in der Bachmann-Adaption »Malina« (1990), bei der Stilisierung und ästhetische Effekte die Oberhand gewinnen. Triviales wie die Songs von Caterina Valente werden mit Verdi, Wagner, Mozart oder Beethoven zu einem eklektizistischen Ganzen montiert. Reduktion und Pathos sind die beiden, eigentlich einander widersprechenden Formprinzipien, die bei Schroeter sichtbar werden. Dies gilt auch für seinen Film über und mit Marianne Hoppe.

Die Herrscherinnen-Farbe Rot dominiert den Film. Ob der Bühnenhintergrund, die Theaterbestuhlung oder das Samtsofa, auf dem die sich stets gerade haltende Marianne Hoppe mit Evelyn Künnecke in der ersten Szene plaudert - alle Macht gehört hier der Monochromie. Von Anfang an begibt sich der Film in die Sphäre des Probierens, des Vorläufigen. Texte werden gelesen, geprobt für eine Aufführung, die nie stattfinden wird. Und nicht nur einmal fragt Marianne Hoppe: »Was mache ich hier eigentlich, was soll denn das, Kinder?« Dann geht's zur nächsten Probe.

Zum Beispiel sitzt sie da mit Einar Schleef, der mit ihr einen Text durchgeht, und sie zeigt, wie das so läuft - proben, arbeiten. Nun trägt Marianne Hoppe dazu zwar keinen Hermelinmantel, aber das ist auch nicht nötig, Haltung, Autorität, grantige bis strenge Kommentare sind als Insignien ihrer Stellung völlig ausreichend.

Klar ist, dass der Regisseur, der sie als Zwölfjähriger in Bielefeld im Theater sah und sie Jahre später in einem Stück besetzte, Marianne Hoppe verehrt. Unklar ist, warum Schroeter die zahlreichen jungen Kollegen, mit denen er Marianne Hoppe zusammenbringt, nicht nach ihrer Ehe mit Gustaf Gründgens fragen lässt, mit dem sie von 1936 bis 1946, zu Zeiten der arisierten und gleichgeschalteten Kultur verheiratet war.

Schroeter beantwortet die Frage implizit. Mit Ausschnitten aus Durchhalte-Filmen, in denen Hoppe als strammdeutsche Hausfrau den frontmüden Gatten zurück in die Schlacht fürs deutsche Reich schickt. An anderer Stelle spricht Hop-pe mit einer jungen Schauspielerin Dialoge aus »Macbeth»: »Wollen diese Hände denn nicht rein werden?« An ihrer Statt erläutert die etwa gleichaltrige Kollegin Lola Münthel, für sie, als »theatralischer Mensch«, seien die Inszenierungen des Regimes, die Begeisterung, die Aufmärsche überwäl-tigend gewesen. »Es hat uns umgeschmissen.« Schroeter zeigt Archivbilder der zum Ornament aufmarschierenden Massen, ein Meer aus gereckten Händen, Filmbilder aus Historienschinken, in denen plötzlich Hakenkreuzflaggen auftauchen. Der Nationalsozialismus wird nur implizit erwähnt, ist aber als Hintergrund immer spürbar. Um allerdings das zweimalige kurze Aufblenden der Fotos von Marianne Hoppe im Theater, wo sie neben Goebbels und Göring sitzt, zu erkennen, muss man schon sehr konzentriert hinschauen.

Ein ungewöhnlicher und wunderbarer Porträtfilm ist »Die Königin« in jedem Fall, weil er die Persönlichkeit von Marianne Hoppe in ihrer Widersprüchlichkeit schildert. Jeder Ort, an dem sie auftritt, wird sofort zur Bühne. Nur beim Besuch auf dem verfallenen Gut der Kindheit werden die Bretter dünn. »Ich will entweder wo sein oder nicht sein, Konfrontation, das mag ich nicht. (...) Es ist genug.«

Schroeter hält sich nicht mit der Biographie der Hoppe auf, setzt sie voraus und gewinnt so Raum für Unerwartetes. Keine Daten, wenig Privates, keine Belehrungen, er vertraut ganz auf die Situation und setzt auf den Kunstgriff, Marianne Hoppe in jeder Einstellung als Darstellerin wahrzunehmen, die mit ihren Rollen in Zwiesprache steht und zugleich immer auch sich selbst spielt. Forcierte Selbstinszenierung als Mittel der Erforschung künstlerischer Identität - das war schon in zahlreichen Schroeter-Filmen zu den Opern-Primadonnen so. Nur, dass Hoppe keine Figur der Zeitgeschichte ist, über die ein Film verhandelt, sondern eine Persönlichkeit, die aktiv am Ergebnis beteiligt ist. Hoppes schweigender Mund in Großaufnahme und ihr emblematisches Gesicht - mit leichtem Silberblick, kühnem Brauenschwung und hohen Wangenknochen - prägen den Film vor allem.

Ein Ausflug führt zum ehemaligen Studiogelände der Ufa, wo Helmut Käutners »Romanze in Moll« (1942) mit Hoppe in der Hauptrolle gedreht wurde. Ausschnitte daraus, wie aus »Schwarzer Jäger Johanna« (1934) und »Jungfrau von Orleans« (1933), sind als schwarz-weiße Filmbilder über ihr Gesicht geblendet. Ein anderer Lokaltermin führt zum Grab der von Hoppe verehrten Hermine Körber, die Sequenz wird abgelöst von Szenen aus der Darstellung der Effi Briest in »Der Schritt vom Wege«, gedreht auf Hoppes und Gründgens Landsitz in Zeesen.

Anders als z.B. Kristina Söderbaum schaffte Marianne Hoppe den Wiedereinstieg ins Theatergeschäft nach Kriegsende relativ schnell. Ihre Vergangenheit als Ufa-Star machte sie später für Leute wie Robert Wilson erst richtig interessant. In seiner Inszenierung spielte sie 1990 den König Lear.

Gründgens habe ihr und sich selbst während des Nationalsozialismus eine Insel geschaffen. Über den Preis dafür schweigt sie sich aus. Kunst sei eine Möglichkeit der Flucht gewesen, die Versuchung in Deutschland zu bleiben, zu groß. »Heimat, alte Bedrängnis, Heimat, warme Bedrängnis«, heißt es in »Die Königin«.

Schroeter verführe »erfolgreich dazu, den adressierten Respekt vor den alten gewaltigen Worten aufzugeben«, so der Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt 1980. In diesem Sinne gelingt es dem Film, einen nicht unerheblichen Teil der deutschsprachigen Theater-, Film- und Kulturgeschichten der letzten 70 Jahre zu fokussieren.

»Die Königin« D 2000. R: Werner Schroeter