One Pussy Show fürs Kino

Warum es Dietrich Kuhlbrodt als genderspezifischer Folge der von Sennett beklagten emotionalen Defizite möglicherweise an der expressiven Kunst fehlt, sein Gesicht und seinen Körper zu inszenieren

as Beste der Frankfurter Filmschau kommt schon herum. Das wahre Vergnügen bietet der eigene Körper; jeder Film geht auf eigene Tour. Entbehrlich, Schutz unter einem Dach zu suchen, als Gruppe aufzutreten oder mindestens die Performance zu moderieren.

In den sieben Minuten der »One Pussy Show« fällt kein einziges Wort. Anja Czioska steht vor der Kamera und zieht ihr Outfit der letzten zehn Jahre an und aus. Seit 1991 ist sie one of »The 3 Pussy Kisses»; in der »One Pussy Show« tanzt sie zu Sixties live, solo, aber nicht allein. Sie wendet sich direkt an die Kamera, also an uns. Wir nehmen keine verbalen Botschaften entgegen, sondern sind direkt angesprochen, körpersprachlich. Das ist ein angenehmer Kontakt, denn Czioska ist unpeinlich, sympathisch, offen. Gedreht ist die Performance beschleunigt. Sie hat ihr eigenes Tempo, einwandfrei passend zur Live-Nostalgie.

Vor ein paar Wochen war ich auf einer Veranstaltung des Kölner Filmbüros. Thema: inszenierte Intimität. Und daher weiß ich, dass die Kolleginnen vom Fachbereich 9 die Frage haben, die sie sofort selbst beantworten: Was soll mir so was sagen? Es sagt mir nichts! (In Köln ging's um Ulrich Seidls inszenierten Dokumentarfilm »Models«). So fragt, wer verbale Botschaften vernehmen möchte, jedoch keinen Text liest, sondern sich ins Kino setzt. Worauf ich hinaus will: das Kino zum Transportmittel für Print-Botschaften zu degradieren, ist einwandfrei körperfeindlich. Denn Film ist ein Bilder-Medium, die Pussy organhaft und Musik Musik, und wem es nichts sagt, sich vor den Spiegel oder einen anderen Körper hinzustellen und sich seine Sachen an- und auszuziehen, der bzw. die ist Kölnerin und hat ein unterentwickeltes Verhältnis zu ihrer Pussy. So weit die Polemik.

Wechseln wir nach Marburg. Dort kommt der Körper ins universitäre Bewusstsein. Als Forschungsgegenstand der Film- und Fernsehwissenschaft wird »Der Körper im Bild« fokussiert (Titel der von Heinz B. Heller, Karl Prümm und Birgit Peulings herausgegebenen Publikation bei Schüren). Es ist so weit, es darf über die »Pussy Show« geschrieben werden.

Bleiben wir bei der Körpersprache, dieser begrifflichen Ungeheuerlichkeit. In der »One Pussy Show« passiert das, was der Kulturkritiker Richard Sennett (»The Fall of Public Man«) so beredt vermisst hatte: die Lebenskunst, expressiv zu sein (und nicht etwa Expressivität darzustellen). Seiner nun schon einige Jahrzehnte alten Diagnose zufolge leiden wir seit 150 Jahren akut an emotionaler Depravierung. Intimes galt es vor öffentlichen Blicken abzuschirmen; lediglich zum Zwecke der Bildung und Erziehung war Berufenen erlaubt, derlei auf städtischer Bühne darzustellen. Czioska ist mit ihrer »One Pussy Show« allein, Selbstdarstellerin, auf einem Level mit den Zuschauern, mit uns. Sie verfolgt keine volkspädagogischen Zwecke, sie hinterfragt nichts fürs Seminarplenum, sie ist da, ihr Körper kommt nah.

»One Pussy Show« war auf der Frankfurter Filmschau vom letzten Jahr einer von mehreren körperhaften Filmen. Sollen wir einen Trend ausrufen? Das würde mir schon deswegen Spaß machen, um den Kölner Spaßverderberinnen eins auszuwischen. Aber richtig wäre es schon, sich mit dem zu beschäftigen, der sich fragt, was er mit den Körpern im Bild anfangen soll. Es wird darum gehen, Rezeption einzuüben und die »Zuschaukunst« (Guido Hiß bei Heller / Prümm) zu beherrschen. Wir sind mit dem Thema »Körperbeherrschung« beim Zuschauer an- und vom Film weggekommen. Aber das ist nicht weiter schlimm, weil ich damit Gelegenheit habe, mein einschlägig-praktisches Rezeptionsübungs-Block-Seminar an der Uni Konstanz anzukündigen (29. Juni bis 1. Juli). Was nicht eitel, sondern expressiv ist.

Im 90-Minuten-Dokumentarfilm »Make Up« folgt Regisseurin Daphne Charizani Frauen, die sich schminken, auf dem Grat zischen Eitelkeit und Expressivität, zwischen Abwehr und Suche der Öffentlichkeit. Mädchen, Frauen vor Spiegeln in intimen Gemeinschaftssanitärräumen, im Wohnheim, im Badezimmer, im Betrieb. Welche Schaukunst wird geübt? Für wen? Warum? Die Darstellerin Brigitte Kausch, mit der ich den Film rezipierte, lachte über den Mann, der schlaue Worte zu verfassen sich anheischig machte. Also über mich: »Genauso sind Frauen und nicht anders. Da ist nichts zu verstehen.«

Ich verstand, dass es mir als genderspezifische Folge der von Sennett beklagten emotionalen Defizite möglicherweise an der expressiven Kunst fehlte, mich resp. mein Gesicht zu inszenieren. Hatte Heide Schlüpmann nicht vor zehn Jahren die These aufgestellt, dass es Frauen waren, die im Kino der zehner Jahre höchst subversiv auf die Leinwand zurückblickten? »Zur heimlichen Komplizenschaft zwischen Kinematografie und Frauenemanzipation« hieß das Kapitel in der »Unheimlichkeit des Blicks« (Stroemfeld / Roter Stern). Was hatte ich dem »Make Up« entgegenzusetzen? Nichts. Deswegen blieb nur, zuzusehen, wie dank der Schmink-Kunst das sich entfalten konnte, was das wahrzunehmende Gesicht war. Gegenprobe: Das, was abgeschminkt war, war jetzt Maske. Zeit zu gucken. Kein belehrender Off-Kommentar, keine herumfuhrwerkende Kamera, keine Musik, aber konzentrierte Arbeit vor dem Spiegel.

Auch der gute Stundenfilm »fremdgehen - Gespräche mit meiner Freundin« zieht eine ruhige Struktur vor, um die Zuschauer zu beteiligen. Rezipieren macht Spaß, wenn es nicht vorgeschrieben wird. Wieder sind Off-Kommentare und moralische Wertungen verbannt. Regisseurin Eva Heldmann spricht mit Annette Brauerhoch, die nackt im Bett liegt. Die Kamera wird intim, also nah. Die Öffentlichkeit ist in Gestalt des Objektivs dabei. Die Regisseurin kann auch anders: Die Kamera nimmt unvermutet aus der Schräge eine Totale auf: ein Podium, Diskurse, Seminar. Ein Schock. Denn die Antwort auf das, was im Film gezeigt und gesprochen wird, muss man selber finden. Für den, der nicht ins Reine kommt, geht der Film weiter, wenn die Stunde um ist. Es geht um Körper. Um den von Annette Brauerhoch und um die schwarzen Bodys der G.I.s in hessischen U.S.-Kasernen. Die Deutsche geht fremd. Sie ist die einzige Frau in der Stube, im Club, in der Disco. Sie tut, was ihr Körper verlangt, und damit hat sie kein Problem. Wenn das ein Problem für den Zuschauer ist, dann muss der sich was fragen - zum eigenen Körper, zum Entwicklungsstand seiner Zuschaukunst.

Das Vorführerlebnis »Ron & Leo« funktioniert, wenn man seine Cartoon-Erfahrungen ins Kino mitbringt und alles, was man von Boy Groups weiß. Gerade der mediale Alltag ist Alltag, und wer ihn im Kino abstreift, ist der emotional Depravierte. Regisseur Oliver Husain, 30, Kunststudium in Indien und Hessen, Showmaster der Twen Area auf RadioX, holt zwei der Welten, in denen wir leben, in den Rechner. Die realen Aufnahmen der Großraster Mainhattans und die sanitären Kachelwände des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs einerseits, die Medien-Comics des Musik-TV andererseits. Inszeniert wird ein Musikgruppen-Melodram, recht elliptisch, denn es gehört zur Alltagserfahrung, zu wissen, in welchen Rastern ein Gruppendrama öffentlich abläuft: erster Auftritt, Euphorie, Disc, Trennung, künstlerische Solokarriere, Buhs, halbherzige Wiedervereinigung. Die Zwillinge (Markus & Philipp Danzeisen) stecken einander die Zunge in den Mund, animiert von der Fotografin: »I like it»; eine Großaufnahme ist die Folge. Beginn der Karriere. Die boys, im Häschenkostüm, durchleben das, was groups durchleben. Das ist berechenbar - im Rechner.

Wo aber bleibt jetzt der Glamour in den Rastern? Er wird vor den digitalisierten realen ÖPNV-Fliesen zur Farce. Wir haben eine Träne im Auge, denn das liebevolle schwule Zwillingsmelodram wird expressiv. Ron & Leo werden gerade dadurch, dass sie von Groß- und Klein-Rastern vereinnahmt werden, real. Der Film greift ans Herz.

Das letzte Beispiel unserer kleinen Körper-Kunde aus Hessens Metropole: »Winterspruch - Arbeit für Eisler«, ein 50-Minuten-Sampler von Oliver Hardt, Peter Rippl und acht weiteren Regisseuren, kompiliert als Hommage an Hanns Eisler, geboren 1898, auferstanden aus Ruinen, gestorben 1962. Zu seinem hundertsten Geburtstag versuchten zehn junge (Film-)Künstler, Bilder zu Eisler-Liedern zu finden, wie sie von der Gruppe *arbeit* (CD!) interpretiert werden. Wir haben es in dieser Kompilation mit Performern zu tun, die sich zu Ehren des Jubilars aufs Podium gestellt haben und wie in Trance die Ode »auf einen chinesischen Theewurzellöwen« (Regie: Oliver Hardt) darbieten oder das Klagelied »Und ich werde nicht mehr sehen« (Regie: Peter Rippl) anstimmen. Auch das ist Körpersprache, eine sehr dezidierte, hingebungsvolle sogar.

Und wenn diese Darbietungen additiv erscheinen, dann illustrieren sie auf plausible Weise Eislers Merksprüche, die original (aus DDR-Ton-Archiven) »Redlichkeit in der Musik« einfordern, um durch Musik »die schmutzigen Gefühle der Menschheit zu reinigen (...) und das Bewusstsein des Menschen im Sozialismus zu erhöhen«.

Seinerzeit illustrierten wallende Rote Fahnen und begeisterte Marschierende den Glauben an die sozialistische Zukunft. Durch DDR-Ton- und Bild-Material sind die Beiträge der zehn Jetzt-Künstler verbunden. Oder getrennt. Eisler selbst - moderiert er? Oder nutzt er propagandistisch die Pausen? - Die Kompilation hakt, und das macht wach.

»Vielleicht-Faktor« heißt beziehungsreich der konsequente Beitrag von Kirsten Glauner & Erick Sick; Blixa Bargeld und sein Saufkumpan schweigen von Anfang bis zum Ende, einander gegenübersitzend. Sie schaffen es, sich in kurz bemessener Zeit volllaufen zu lassen. Dann kippt wer vom Stuhl. Hört man jetzt nicht genauer auf den Liedtext hin? - Weil das wohl so ist, bietet Stefan Beck in seinem Schlussbeitrag zum Appell »an den kleinen Radioapparat« ein leeres, flackerndes, total gereinigtes Bild an. Kein besoffener, schmutziger Körper weit & breit. Viel *arbeit*, um dahinzukommen. Und die Bühne ist wieder frei. Für die nächste Show.

One Pussy Show: 26. Februar. CeBit Hannover: 5. bis 3o. April. Mouson-Turm Frankfurt am Main Ron & Leo: Bis 12. März. Frankfurter Kunstverein; 26. Februar. CeBit Hannover