Soziopathologie des Österreichers

Austrian Psycho

In Österreich fallen vollständige Zufriedenheit mit sich und ein unglückliches Selbstbewusstsein zusammen.

Der Wahlerfolg Jörg Haiders, wie auch die durch ihn und seine Partei hervorgerufene Bewegung in Österreich, stellt nicht allein eine bedenkliche Entwicklung für einen geografisch begrenzten Bereich dar, der sich singulären, spezifisch nationalen Entwicklungen und Ursachen verdankt, sondern er erweist sich ebenso sehr als ein symptomatisches Problem und Abzeichen einer darüber hinaus reichenden Situation.

Definierten und spezifizierten Theoretiker und Vertreter des Endes der Geschichte eben dieses Ende als einen - in der Western Culture des ausgehenden 20. Jahrhunderts nun auch materiell-technologisch Wirklichkeit gewordenen - Zustand gegenseitiger Anerkennung, aus der einerseits vollständige Selbstgewissheit, andererseits vollständige (Selbst-) Zufriedenheit resultiert, so sollte ein solcher Zustand damit die beiden separat bereits teilweise verwirklichten Pole beater Zufriedenheit (also etwas, was man früher noch Lebensreform, Hedonismus usf. nannte) und eines »unglücklichen Selbstbewusstseins« (Hegel), das sich zu keiner Zufriedenheit finden kann, vereinigen.

Darüber hinaus sollte das Ergebnis eines derartigen Zusammenfalls dieser beiden Pole nicht nur zu vollendeter Weisheit führen, sondern auch zu Stillstand und Langeweile in einer postkapitalistischen und postindustriellen Gesellschaft der Ereignislosigkeit. Nach Zu- und Einrichtung (d.i. Institutionalisierung - eines allumfassenden Arbeitsphantasmas, eines kommunikationsästhetischen Ausgleichs aller Verbindlichkeiten) eines homogenen Gesellschaftsensembles sollte sich eine Posthistoire demnach durch allseitige und allumfassende Ruhe auszeichnen.

Haben sich nun durch bestimmte (u.a. medientechnologische) Aspekte der Beschleunigung diese Totalisierungsbemühungen auf einer strukturellen und informellen Ebene bereits verwirklicht, so gilt dies keineswegs für die Behauptungen zynischer (Selbst-) Regulation und (Selbst-) Ästhetisierung. Ein unterschätztes Potenzial an Ressentiment ließ Handeln nicht mit Urteilen in eins fallen und sich so gegenwendig erlösen (wie man sich das gerne wünschte), sondern Handeln verwandelte sich nun in einer Gesellschaft der verinnerlichten Normierung zum Verurteilen.

Gerade durch die durchgängige Vermitteltheit von allem und jedem entsteht ein neues Gefühl der Unmittelbarkeit, das sich in Form der Rede von Krise/Entscheidung und Durchsetzungsmacht zu verankern trachtet. Und dieses Lebensgefühl ist wieder ein insoweit faschistisches (wie schon Armin Mohler zeigte), weil es auf die Souveränität der Behauptung regrediert und referiert. Dieses Ressentiment breitet sich bei gleichzeitigem Fortschrittsoptimismus und Glücksdiktat zunehmend aus und führt zu seltsamen politischen Ausformungen. Keine »durchritualisierte« Gesellschaft mit dem »Snobismus Japans« (Alexandre Kojève), keine selig vernetzte, entrückte Selbstregulierung ist die Folge, sondern die strukturelle Gewalt verschleiert sich in der Entfesselung der Zerstreuung und zeigt sich nackt, wenn die individuelle Langeweile in Gewalt umkippt.

Ein solches Ressentiment, das außerhalb jeglichen Symbolisierungsrahmens bleibt, interveniert gerade als scheinbare Bewegung von unten, als Bewegung der Benachteiligten, und strebt in den angeblich stabilisierenden Rahmen der Verwaltung hinein. Bemerkenswert ist dabei zweifellos, dass sich die Vorstellung einer Revolution durch die Arbeiterklasse in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts endgültig enttäuschte, und auch der kurzfristige Traum einer Revolte durch Randgruppen rasch ausgeträumt war.

Im Gegensatz dazu entsteht ein zahlen- und mentalitätsmäßig kompaktes Feld einer Mittelklasse, die auch noch die letzten historisch auferlegten, opportunistischen Schamgefühle hinter sich lässt, und sich einem ungezügelten und fröhlichen Ressentiment-Bekennertum und -Handeln überlässt, das unterschiedslos auf alle so genannten Randgruppen losgeht. (Was heißt, dass man sich nunmehr durchaus lustvoll auf den ersten Teil aus Baudelaires »Schlagt los auf die Armen« beschränkt.) Unter dem Ehrenschutz der Feigheit der »Großen Zahl« koaliert ein Genießen des Bösen mit dem latenten Masochismus der Menge.

Dabei wird die kultur- und ideologiekritische Idee, dass diejenigen rechts votieren, die mit dem (technologisch-ökonomischen) Fortschritt nicht Schritt zu halten vermögen, ebenso überholt, wie die blauäugige postmodernistische Vorstellung eines kommunikationsästhetischen Samplings, das die durch Medien und Kapital konstruierten Felder individuell, kommunikativ und/oder selbstregulierend konsolidiert. Jede kritische Herangehensweise (und daher auch jede am Ende immer noch aufklärerische Unterstellung) muss problematisieren, dass nicht länger gilt, dass Einsicht in gesellschaftliche Verhältnisse zur Veränderung von Handlungsmustern führt, d.h. dass diejenigen, die über die Gründe ihres Handelns Bescheid wissen, ihre Handlungsweisen ändern.

Auf der anderen Seite steht eine pragmatistische oder selbstregulierende Ideologie, die in der Tat dem einen Spektakel der invisible hand des Markts (der Meinungen) die Regulierung überlässt, während man das andere Spektakel einer hidden hand (d.i. Verschwörungsheorie) für die einfachen Gemüter inszeniert. In der Expositur eines Wohlstandsbestiariums, dessen entfesselte Lifestyle-Programme auf die vorgeblich alten Programmatiken stoßen, werden diese als unzeitgemäß erlebt; werden aboliert, um den Weg frei zu machen für meinungsbildende Werbekampagnen, offenen oder verschobenen Rassismus, Event- und Society-Kultur und dergleichen mehr.

Weder haben der so genannte Spät- oder Nachkapitalismus noch die viel gepriesenen Neuen Medien zu einer postindustriellen Gesellschaft geführt, sondern eher in eine allgemeine und umfassende Industrialisierung. Alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens werden von Parzellierung, Normierung, Spezialisierung und Mechanisierung erfasst, wie es in der Vergangenheit der Warenproduktion und der tatsächlichen Industrialisierung vorbehalten war, und alle diese Bereiche werden durch internalisierte Kontrollprozesse reguliert.

In diesen Zustand treten Haider und seine Meute (und die künftige reaktionäre Politik) als Maschinisten einer reaktionären Affektmaschine auf, die sich eben gänzlich auf krisis, d.i. Entscheidung, und Behauptung abgestimmt haben. Die Ersetzung jeglicher Programmatik und jeglichen Inhalts (auch als Wahlslogan galt: Setzen Sie auf Unberechenbarkeit. FPÖ) durch ein gewisses Styling, aber auch durch unverhohlene Hetze, beginnt an diesem Punkt. Zu diesem Zwecke wird der Medienapparat der Kronenzeitung ebenso eingesetzt wie die bereits vorhandenen revanchistischen Potenziale, Neurolinguistisches Programmieren wird mit Zuhälter- und Biertischjargon zusammengespannt, die Erbärmlichkeit mit Großmannssucht.

Während also Haider den Guru gegen Proporz, Korruption, eine partiell dirigistische Staatspolitik etc. mimt und seine Anhänger seinen Schneider und seine angebliche rhetorische Eloquenz bewundern, so kann er problemlos ebenso die durch Dokument registrierte Erfassung aller Ausländer (die sogenannten A-Cards), verpflichtenden HIV-Test für alle in Österreich Lebenden (zum Schutz des gesunden und erfolgreichen Alpin-Sportkörpers) fordern. Wobei es, wie bei allen Aussagen von der FPÖ, überhaupt keine Rolle spielt, ob derlei schon zwei Tage später verworfen oder darauf beharrt wird, dass dergleichen niemals gefordert, gesagt oder gedacht wurde.

Als Zwitter aus kleinbürgerlich-verklemmten Möchtegern-Playboy (was auch für die Riege der so genannten Buberlpartie gilt, die erst neuerdings durch ein paar Power- und Mutterkreuz-Frauen aufgefrischt wird) und Global-Player demonstriert sich die imaginäre Klammer und der unerbittliche Befehl zum Glücklichsein. In Form eines westlich-protestantischen (Ehrlich-, Redlich- und Fleißigkeit des braven kleinen Mannes, der es zu allem bringen kann) und zugleich zutiefst katholischen Antlitzes (eines sinnlich zerstörerischen - Haider ist kein Spießer, er ist ein männliches Pin-Up, seine sexuellen Vorlieben bleiben mehrdeutig; woher die ständige aggressiv-zelebrierte Partylaune injiziert ist, bleibt unklar). Man steht also mit beiden Beinen rutschfest in den Diätmargarinen-Äpfchen des »Du darfst»-Befehls und der »Ich will so bleiben wie ich bin»-Zumutung.

Reguliert durch die Unmöglichkeit einer Entschuld(ig)ung und Pardonierung im Kapitalismus als letzter Religion und einem Genießen, das sich in keinen Symbolisierungsrahmen mehr zwängen lässt. Während man versucht, sich staatsmännisch zu geben, genießt es immer schon rechts von einem, was viele wohl selbst in Erstaunen versetzt.

Und die immer undurchsichtiger werdende Vokabel vom Glück erweist sich so tatsächlich als ein Mangel am Mangel, der nun als Diebstahl erfahren werden soll. Ein Mittelstands-Hooliganismus schlägt gemeinsam mit einer willfährigen Staatsapparatur auf Diebe ein, von denen man gar nicht mehr weiß, was sie gestohlen haben sollen. Es ist diese Gabe, die sich in Haiders Rhetorik des Hasses beständig manifestiert. (Und wie hohnvoll klingt da die gutmenschliche Beschwörung, in Österreich seien zumindest keine Asylantenheime in Flammen aufgegangen, wo doch etwa die Rauschgift- und Illegalen-Fahnder gleich nur mehr Caritasheime umstellen, die Polizeiübergriffe unglaubliche Ausmaße annehmen, man sich auf die kleinen Briefbomben-Psychopathen als Einzeltäter wie Franz Fuchs ausreden möchte.)

Dem abschließenden Erstaunen des Protagonisten des American Psycho über das No-Exit-Schild einer ans Ende gelangten Kalifornisierung liegt ein Erschrecken vor dem autosadistischen Heroismus der Empörung zu Grunde, der sich in den Fängen einer ausweglosen masochistischen Pädagogik gefunden hat. Dagegen wird eine paradoxe Tätigkeit ins Feld zu führen sein, die diese Behauptung bricht, ohne sich auf den vorgeschriebenen Dualismus einzulassen. Ein paradoxales Handeln (auch mit künstlerischen Mitteln), das, ohne kopflos

zu werden, einer doppelten Unmöglichkeit Rechnung zu tragen hat.

Ob des Gelingens eines solchen Handelns, steht allerdings auch bei aller Protest- und Widerstandseuphorie ein abschließendes Urteil noch aus. Dennoch darf der Kampf nicht aufgegeben werden, die größte Gefahr besteht im Augenblick im Ausbluten. Und außerhalb der österreichischen Staatsgrenzen wird man sich jenseits der eher selbstgerechten Ausgrenzungsstrategien (die aber sehr wohl immer dann nützlich sind, wenn sie alle Repräsentationsinstanzen Österreichs anvisieren) zu fragen haben, ob denn etwa Jörg Haider nicht einer der beliebtesten Politiker Europas wäre, wäre sein scheinbar smarter, postmodern maßgeschneiderter Life-Style-Funktionalismus gepaart mit umfassender Mobilmachung der Öffentlichkeit und Medien nicht durch ein paar unbedachte Aussagen zu den Themen Nationalsozialismus und Asylanten außer Tritt geraten?

Deshalb haftet der vom damaligen österreichischen Außenminister und heutigen Kanzler Wolfgang Schüssel anlässlich des EU-Beitritts erhobenen gefährlichen Drohung einer Verösterreicherung Europas nach wie vor ein seltsames Odeur an; und diesen Duftmarken sollte nachgespürt werden.

Andreas L. Hofbauer ist Mitinitiator der »Austrian Psycho Nights«, die am 14. und 15. April in der Berliner Volksbühne stattfinden.