Streit um Frauengesetz in Marokko

Demo gegen Demo

Wie viele es waren - niemand weiß es genau. Rund 100 Kilometer voneinander entfernt, zum gleichen Zeitpunkt und zum gleichen Thema haben am vorletzten Sonntag in Marokko zwei politische Demonstrationen stattgefunden. Hier enden die Gemeinsamkeiten aber auch schon. Während in Rabat die so genannten Modernisten für einen Regierungsentwurf zur Reform der Stellung der Frau in der marokkanischen Gesellschaft auf die Straße gingen, demonstrierten in Casablanca die Anhänger islamistischer Parteien gegen den Entwurf.

Die Angaben zur Beteiligung an beiden politischen Märschen gehen zwischen Polizei, Organisatoren und Medien weit auseinander. Was die »Modernisten« - Frauenorganisationen, Gewerkschaften, die mitregierende links-nationalistische Partei Istiqlal, die Sozialdemokratie, Menschenrechtsgruppen und Leser der unabhängigen Presse - betrifft, so schwanken die Zahlen zwischen 60 000 und 200 000. Die Islamisten geben für ihre Demo zwischen 100 000 und 600 000 Teilnehmer an. Klar ist, dass die Sympathisanten der religiös-fundamentalistischen Parteien deutlich in der Überzahl waren.

Im März 1999, noch unter der Ägide von König Hassan II., hatte die von der sozialdemokratischen USFP geführte Regierung einen Gesetzestext vorgelegt, der rund 200 Maßnahmen zur »Integration der Frau in die Entwicklung« des Landes enthielt. Der Entwurf war zusammen mit marokkanischen Frauenorganisationen und der Weltbank ausgearbeitet worden.

Den Frauen ging es um die Abschaffung der geltenden muslimischen Gesetzgebung, in der ihr Status dem von Minderjährigen gleichgesetzt wird. Die Weltbank wollte schlicht einen Modernisierungsschub einleiten, um mehr Menschen als bisher in die Marktwirtschaft zu integrieren. Unter den vorgeschlagenen Maßnahmen erwiesen sich einige als gesellschaftlich konsensfähig - so die Verringerung des Analphabetismus, der vor allem Frauen betrifft, oder die verstärkte Einbeziehung von Frauen ins Erwerbsleben.

Sturm laufen die Islamisten vor allem gegen die Überlegungen, die zur Reform der »Mudawana« - des »persönlichen Status« der Frau im Gesetz, auf der Grundlage religiöser Vorschriften - angestellt worden waren. Nach dem Regierungsentwurf soll das Heiratsalter von 15 auf 18 Jahre hochgesetzt werden, um Zwangsverheiratungen minderjähriger Mädchen einzudämmen. Auch soll die Polygamie abgeschafft und Männern die Möglichkeit genommen werden, ihre Ehefrauen zu verstoßen.

Dominant bei den Islamisten sind zwei politische Formationen: Die offiziell anerkannte Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) unterstützt im Parlament die amtierende USFP-Regierung. Der Vereinigung Al-Adlwa Lihsane (Gerechtigkeit und Spiritualität) unter Vorsitz von Scheich Yasside, der seit zehn Jahren unter Hausarrest steht, wurde bisher der Parteienstatus verweigert. Die Organisationsmitglieder widmen sich vorwiegend der »Wohltätigkeits- und Sozialarbeit« in den Armenvierteln. Beide Formationen haben zusammen die Demonstration in Casablanca organisiert.

Vor allem jener Diskurs, der Modernisierungspläne als »kulturelle Agression des Westens gegen die einheimische Zivilisation« anprangert, hat zu einer guten Mobilisierung geführt. »Gegen die verwestlichten Eliten« und »Für den Respekt der muslimischen Werte« lauteten denn auch einige der Demo-Slogans. Dennoch blieb in Casablanca aus, was viele Beobachter im Vorfeld befürchtet hatten: Es gab keine überwältigende Begeisterung der Armenviertel-Bewohner für die Stärkedemonstration der Islamisten.