Ein Jahr nach Beginn der Nato-Angriffe

In den Krieg gefingert

Mit Annex B wäre das sicher nicht passiert. Hätten vor einem Jahr die USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich bei den Verhandlungen von Rambouillet ihren Plan durchgesetzt, ganz Jugoslawien von der Nato besetzen zu lassen - das Militärbündnis müsste nun nicht an der östlichen Grenze des Kosovo zusehen, wie eine neue Albaner-Guerilla für Unruhe auf dem Balkan sorgt: Seit rund vier Wochen kämpft eine UCPMB für den Anschluss der südserbischen Bezirke Presevo, Medvedja und Bujanovac an das Kfor-Protektorat Kosovo.

Doch es kam bekanntlich anders. Am 18. März 1999 weigerte sich die jugoslawische Delegation bei den Rambouillet-Gesprächen, dem berüchtigten Anhang B des Kosovo-Autonomie-Abkommens zuzustimmen - und sich auf Bedingungen einzulassen, »die kein Serbe mit Schulbildung hätte unterschreiben können«, wie Rudolf Augstein nach dem Scheitern der Gespräche im Spiegel schrieb. Sechs Tage später stiegen die ersten Tornados über Jugoslawien auf, der Nato-Krieg gegen Jugoslawien hatte begonnen.

Und die Kosovo-Befreiungsarmee UCK war zufrieden. Zwölf Monate nach Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen UCK und serbischen Polizisten war die Forderung der Unabhängigkeitskämpfer endlich erfüllt: Der Westen hatte zu ihren Gunsten eingegriffen. 78 Tage später war Jugoslawien militärisch besiegt, der Abzug der Truppen von Präsident Slobodan Milosevic aus der Provinz konnte beginnen.

Zum Jahrestag des Kriegsbeginns haben sich nicht nur die Soldaten Belgrads aus dem Kosovo zurückgezogen. Weit mehr als die Hälfte der einst 200 000 serbischen Bewohner musste vor den Angriffen von Kosovo-Albanern fliehen; auch Roma, Kroaten und slawische Muslime haben die Provinz verlassen. Die Situation von vor Beginn der Nato-Angriffe hat sich in ihr Gegenteil verkehrt - unter den Augen der so genannten internationalen Gemeinschaft.

Denn auch wenn die einfache Formel von der Nato als bombendem Arm der UCK nicht aufgeht, haben Kfor, Uno und OSZE dafür gesorgt, dass die Ex-Guerilleros die Macht in den entscheidenden Institutionen der Provinz behalten können: Ein Viertel der während des Nato-Bombardements rund 20 000 Mann starken Truppe stellt nun den Kern des Kosovo-Sicherheitskorps (TMK) - was eigentlich eine Art technisches Hilfswerk werden sollte.

Doch die zivilen Helfer bringen andere Eignungen mit als die von Feuerwehrleuten. Allen voran ihr Chef: Agim Ceku, Ex-Oberkommandierender der UCK, steht unter Verdacht, bereits 1993 in der kroatischen Krajina Kriegsverbrechen gegen serbische Zivilisten begangen zu haben. Damals noch im Dienste Franjo Tudjmans, dürfte er genau der Richtige sein, den übrig gebliebenen Serben klar zu machen, dass sie im Kosovo nichts verloren haben.

Dass es nun ausgerechnet die kämpfende albanische Minderheit in Südserbien ist, die die schärfste Warnung der Nato seit dem Einmarsch der Kfor-Truppen provozierte, macht die Sache allerdings auch nicht besser. Sie zeigt nur einmal mehr, dass die in Rambouillet angestrebte Besetzung Jugoslawiens nicht das Verhindern einer humanitären Katastrophe zum Ziel hatte - sondern die Kontrolle über den ganzen Balkan. Da hilft auch das Lamentieren Joseph Fischers nicht, er habe mit alledem nichts zu tun. Wie meinte er doch auf dem Bielefelder Kriegsparteitag der Grünen vor einem Jahr: »Es hat weh getan, wenn der persönliche Vorwurf erhoben wurde, ich hätte die Bundesrepubik Deutschland in einen Krieg gefingert mit einem Annex B.«