Rassismus in der Schweiz

Die Ausländer-Macher

Direkte Demokratie im Praxistest: In der Schweiz wird Nichtschweizern per Plebiszit die Staatsbürgerschaft verweigert.

In einer Art Steckbriefsammlung fand vor wenigen Wochen der Kranführer Miodrag T. sein Foto. Der 50jährige jugoslawische Staatsangehörige, der seit 27 Jahren in Emmen bei Luzern in der Schweiz wohnt, hatte zusammen mit Frau und Tochter einen Antrag auf die Schweizer Staatsangehörigkeit gestellt. Die Familie erfüllte sämtliche Voraussetzungen, sodass alle Amtsstellen das Gesuch zur Annahme empfahlen.

Der Antrag musste aber in einer Volksabstimmung genehmigt werden. Also versandte die Stadtregierung von Emmen ein Büchlein mit Fotos und persönlichen Angaben. So wie der Familie T. erging es vielen anderen. Insgesamt 56 Männer und Frauen wollten am 12. März in Emmen Schweizer Staatsbürger werden. 48 Gesuche wurden verworfen. Angenommen wurden lediglich die Gesuche von Einwohnerinnen italienischer Herkunft, alle Antragsteller mit Pässen aus der Türkei, Ungarn, Polen und den verschiedenen Ländern des ehemaligen Jugoslawien wurden abgelehnt. In fünf weiteren Gemeinden in den Kantonen Schwyz, Obwalden und Aargau wurden am gleichen Tag in Urnenabstimmungen sämtliche Einbürgerungen verweigert.

Rund ein Viertel der 27 000 Einwohner von Emmen hat keine Schweizer Staatsangehörigkeit und daher auch keinerlei politischen Rechte - Menschen aus Italien, den verschiedenen Staaten des ehemaligen Jugoslawien, aus der Türkei und Portugal, die teils bereits seit Jahrzehnten hier wohnen. Emmen ist ein Industrieort im Niedergang, mehrere Fabriken wurden geschlossen. Und es ist die einzige Schweizer Kommune, die zwar ein Parlament - den so genannten Einwohnerrat - hat, wo aber dennoch die Stimmbürger an der Urne über die Einbürgerung entscheiden.

Dieses Verfahren hatte eine Koalition von Vertretern der »Schweizer Demokraten« und von Christoph Blochers Schweizer Volkspartei (SVP) sowie anderer Fremdenfeinde im Juni 1999 mit einer Volksabstimmung erzwungen. Schon im Abstimmungskampf hielten die Initianten mit ihrer Motivation nicht zurück. So bemängelten sie, es werde »beim Einbürgerungsverfahren nicht danach gefragt, ob jemand Moslem, Hindu, Buddhist, Jude oder Anhänger einer Naturreligion ist. Als Schweizer können sie dann nach ihren religiösen Überzeugungen und Wertanschauungen als Stimmbürger, Großräte oder Nationalräte unser Schicksal mitbestimmen und Forderungen durchsetzen.«

»Es gibt aber Religionen«, schrieben die Schweizer Demokraten in einem Flugblatt weiter, »die andere Wertvorstellungen als die christlichen haben. Eines der wichtigsten Einbürgerungskriterien ist das Annehmen unserer Gebräuche und Gesetze. Damit aber werden einige Leute aus anderen Religionsgemeinschaften ihre liebe Mühe haben, da sie ganz andere religiös-politische Überzeugungen vertreten müssen. Es ist ihnen gar nicht möglich, unsere Gesetze und Gebräuche zu übernehmen.« Im Klartext: Nur Angehörige christlicher Konfessionen können Schweizer oder Schweizerinnen sein.

Das Schweizer Einbürgerungsverfahren ist kompliziert. Der Bund schreibt nur wenige Eckdaten vor: Antragsteller müssen mindestens zwölf Jahre in der Schweiz gelebt haben, davon drei der letzten fünf Jahre vor der Einreichung des Gesuches. Die zwischen dem zehnten und dem zwanzigsten Lebensjahr in der Schweiz verbrachten Jahre werden doppelt gezählt. Verfahrensfragen regeln die Kantone, die noch zusätzliche Bedingungen aufstellen können, etwa die Mindestdauer des Wohnsitzes in einem Kanton oder einer Gemeinde. Dort fällt auch die wichtigste Entscheidung. Denn wer Schweizer Staatsbürger werden will, muss zuerst Bürger einer Gemeinde sein. Für die meisten Schweizer Staatsbürger spielt die Gemeindebürgerschaft keine Rolle mehr: Viele Stadtbewohner waren noch nie in den dörflichen Gemeinden, deren Bürger sie qua Abstammungsprinzip oft noch sind.

Doch bei Einbürgerungen wollen die Kommunen mitreden. In kleinen Gemeinden wird darüber in der Regel in der Gemeindeversammlung entschieden, normalerweise in offener Abstimmung. Einbürgerungsgegner bevorzugen jedoch die Anonymität, sodass der Antrag auf geheime Abstimmung meist ein verdeckter Ablehnungsantrag ist. In Schwyz - einem Landkanton, in dem keine einzige Kommune ein Gemeindeparlament hat - müssen alle Einbürgerungen an der Urne entschieden werden, in einigen anderen Kantonen kann die Abstimmung durch Referenden an die Stimmbürger überwiesen werden.

Gegen einen ablehnenden Entscheid gibt es keine Rekursmöglichkeit, denn die Erteilung der Staatsbürgerschaft gilt in der Schweiz als hoheitlicher Gnadenakt. Abgewiesenen Ausländerinnen bleibt nur ein erneutes Gesuch. Beachtung in der ganzen Schweiz fand der Fall zweier 21jähriger Zwillingsschwestern türkischer Abstammung, die seit ihrer Geburt in Beromünster bei Luzern leben und deren Gesuch auch im dritten Anlauf abgelehnt wurde. Eine der Schwestern will Polizistin werden, und die Voraussetzung für diesen Beruf ist das Schweizer Bürgerrecht.

Ob in Gemeindeversammlungen oder bei Urnenabstimmungen, seit Mitte der neunziger Jahre sind in der Deutschschweiz viele Einbürgerungsgesuche von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei abgewiesen worden. Statistiken über Einbürgerungsverweigerungen werden nicht geführt. Sie wären auch wenig aussagekräftig, da viele Gemeindebehörden den Rückzug des Gesuchs empfehlen, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - der Meinung sind, dass ein Antragsteller nur geringe Chancen auf Einbürgerung hätte.

Die Einbürgerungsfrage ist seit Jahrzehnten ein Agitationsfeld der Schweizer Fremdenfeinde, und die Angst vor »Überfremdung« ist seit den zwanziger Jahren eine Leitlinie der Schweizer Politik. Bei der letzten Revision des Bürgerrechtsgesetzes wurde 1952 die Wohnsitzfrist von sechs auf zwölf Jahre erhöht. Damals wurde aber auch die »erleichterte Einbürgerung« eingeführt, von der Kinder profitieren können, deren Mutter bei der Heirat das Bürgerrecht verloren hat: Bis 1985 verloren Schweizerinnen ihr Bürgerrecht, wenn sie einen Ausländer heirateten. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Kriterien für die »Erleichterte Einbürgerung« mehrmals revidiert, heute haben Männer und Frauen, die mit einem Schweizer oder einer Schweizerin verheiratet sind, nach fünf Jahren ein Anrecht auf die Schweizer Staatsangehörigkeit.

Doch die Fremdenfeinde sind weiter in der Offensive. Vor kurzem hat die SVP in Zürich eine Initiative eingereicht, welche in der mit rund 360 000 Einwohnerinnen größten Schweizer Stadt mit einem Ausländer-Anteil von 28 Prozent die Urnenabstimmung über jede einzelne Einbürgerung verlangt. Der heute zuständige Gemeinderat, behaupten die Nationalpopulisten, erteile das Bürgerrecht »zu großzügig«.

Eine groteske Behauptung: Von den fast 100 000 Stadtzürchern mit ausländischer Staatsbürgerschaft wurden 1998 nur 545 eingebürgert. In der ganzen Schweiz erhielten 1999 nur rund 21 000 von über 1,3 Millionen Ausländern die Staatsangehörigkeit, davon profitierte rund ein Drittel von der erleichterten Einbürgerung. Aber auch in der Hauptstadt Bern drohen SVP-Hardliner bereits mit einem Volksbegehren für Urnenabstimmungen bei Einbürgerungen.