Konflikt um Montenegro

Frühjahrsoffensive 2000

Seit der montenegrinische Präsident Djukanovic voll auf den Westen setzt, eskaliert der Konflikt mit der jugoslawischen Regierung.

Bis jetzt findet der Krieg nur verbal statt. Fast täglich polemisieren die Regierungen in Belgrad und Podgorica gegeneinander. Doch seit der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic seine Liebe zum Westen erkannt hat, wird eine militärische Konfrontation zwischen Serbien und Montenegro, den beiden letzten Teilrepubliken Jugoslawiens, immer wahrscheinlicher. Djukanovic fordert eine Verfassungsreform, die seiner Regierung weitgehende Vollmachten zuerkennt. Die Nato-Staaten sehen in Montenegro ein nützliches Werkzeug gegen das Milosevic-Regime. Doch die Situation droht dem Westen aus den Händen zu gleiten. Und das umso mehr, als das Kosovo ein Jahr nach dem letzten Krieg alles andere als »befriedet« und »multiethnisch« ist.

Der Westen hat bereits auf Kriegsrhetorik umgeschaltet. »Milosevic«, erklärte kürzlich George J. Tenet, der Direktor der CIA, »will Djukanovic zerstören, weil dieser ein bedeutendes Symbol für die demokratische Opposition und das serbische Volk darstellt. Die beiden Präsidenten versuchen momentan, jeden offenen Konflikt zu vermeiden, doch es wird schwierig werden, eine letzte Einigung ewig aufzuschieben.«

Ähnlich düstere Prophezeiungen kommen von Carl Bildt, dem Balkan-Beauftragten der UN: »So lange sich das Regime in Belgrad nicht verändert, steuern Serbien und Montenegro geradewegs auf einen Zusammenstoß zu.« Die italienische Regierung verpflichtet bereits alle Reisenden, die die Fähre nach Bar in Montenegro nehmen, ihre genaue Aufenthaltsadresse anzugeben - »für den Fall, dass Sie wegen unvorhersehbarer Ereignisse Hilfe benötigen«, wie das Außenministerium in Rom erklärt.

Montenegro und Serbien tun ihrerseits alles, um den Kriegsgerüchten Nahrung zu geben. Der letzte Alarm kam von der südlichen Grenze: Nicht weit entfernt von dem Übergang Bozaj an der Grenze zu Albanien, den die Regierung in Podgorica erst vor kurzem für den Verkehr geöffnet hatte, brachte das in Montenegro stationierte Zweite Korps der jugoslawischen Armee einen Teil seiner Artillerie in Stellung. Aus Belgrad wird bereits der Befehl erwartet, weitere Einheiten in äußerste Alarmbereitschaft zu versetzen und Kontrollpunkte an der Grenze einzurichten.

US-Außenamtssprecher James Rubin verurteilte die Entscheidung sogleich und beschuldigte Belgrad, eine Eskalation zu provozieren, die zum Staatsstreich in Podgorica führen solle. Er erinnerte an die Unterstützung für Milo Djukanovic und appellierte an Belgrad, »gemeinsam mit den Regierungen von Montenegro und Albanien den Frieden und Wohlstand im Südosten Europas voranzutreiben«.

Umgehend erwiderte ein Sprecher des Zweiten Korps die Anschuldigungen. Von einer erhöhten Alarmbereitschaft könne keine Rede sein. Im Übrigen unterstünden die Grenzangelegenheiten zwischen dem Ausland und Jugoslawien, wozu auch Montenegro gehöre, der Souveränität des Bundes. Und der habe 1997 entschieden, die Grenzen zu Albanien zu schließen. Die Entscheidung Podgoricas, die Übergänge zu öffnen, sei also nichtig, das Heer habe die Bundesgesetze durchzusetzen.

Agenturen berichten, dass die jugoslawische Armee tatsächlich zwei Kontrollpunkte in der Nähe des Grenzübergangs Bozaj eingerichtet hat. Demnach beschränken sich die Soldaten derzeit jedoch darauf, die Nummerschilder der Autos zu registrieren, die die Grenze überqueren. Zu Zusammenstößen sei es bis jetzt nicht gekommen. Vergangenen Juli war eine ähnliche Krise entstanden, als Montenegro ohne Zustimmung Belgrads einen Grenzübergang nach Kroatien öffnete. Das Militär richtete damals Kontrollposten ein, die jedoch nach einer Woche der Spannungen mit der montenegrinischen Polizei wieder abgebaut wurden.

Trotz des damaligen Erfolgs herrscht in Podgorica Pessimismus. Seit Serbien vor ungefähr einem Monat eine Handelsblockade verhängt hat, die selbst Medikamente einschließt und den Preis von Lebensmitteln in die Höhe treibt, forciert Präsident Djukanovic das Tempo seiner Annäherung an Washington und Berlin. Letztes Jahr hatte Djukanovics Regierung 55 Millionen US-Dollar erhalten. Für dieses Jahr hofft er auf weitere 60 Millionen, um Importe aus Europa zu finanzieren und zu beweisen, dass Montenegro auch ohne Serbien überleben könne. Substanzielle Hilfe ist auch aus Deutschland gekommen. Bei seinem Kurzbesuch in Berlin Anfang März erhielt Djukanovic einen Kredit von 20 Millionen Euro und die Versicherung von Außenminister Joseph Fischer, »den Reformprozess in Montenegro zu unterstützen«.

Mit einer solchen Rückendeckung fordert Djukanovic von Belgrad »verfassungsrechtliche Reformen»: Serbien und Montenegro sollen in Zukunft nur noch eine Art Konföderation bilden, bei der beide Teilrepubliken über eine eigene Währung - Montenegro hat bereits offiziell die D-Mark anerkannt - und eine eigene Armee verfügen. Schon hat Djukanovic damit gedroht, eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Montenegros einzuleiten, falls sich die serbische Regierung nicht bereit erkläre, eine institutionelle Neuordnung zu verhandeln. Die montenegrinische Bevölkerung, beteuerte Djukanovic, stehe geschlossen hinter ihm.

Jeder einseitige Akt sei illegal und werde von den Bundesbehörden annulliert, erklärte daraufhin Milosevic. Gleichzeitig verstärkte Belgrad nicht nur die Truppenpräsenz in Montenegro, sondern installierte auch einen starken Sender, der nun in ganz Montenegro den pro-serbischen Kanal YuinfoTV überträgt.

Obwohl der Westen sich offiziell auf die Seite Djukanovics geschlagen hat, will derzeit niemand einen neuen Krieg für die Unabhängigkeit Montenegros wagen. US-Außenministerin Madeleine Albright hat bereits mehrmals betont, dass Montenegro zunächst abwarten müsse, wie der Demokratisierungsprozess in der gesamten jugoslawischen Republik sich entwickle. Das Wort »Krieg« ist derzeit vor allem in den USA ein Tabu, denn im Wahljahr besteht erfahrungsgemäß wenig Interesse an einer militärischen Eskalation.

Auch die alarmierende Situation im Kosovo spricht gegen einen Krieg in Montenegro: Der Konflikt zwischen Serben und Kosovo-Albanern droht auf das südliche Serbien überzuschwappen, das die UCK-Führer in Pristina bereits »Nord-Kosovo« nennen. Hinzu kommt, dass nicht alle Montenegriner von der Unabhängigkeit überzeugt sind. Im Norden der Mini-Republik ist die Bevölkerung überwiegend pro-jugoslawisch eingestellt. Mehr als eine Million Montenegriner leben ständig in Serbien, nur ungefähr 600 000 in der Republik selbst. Die Spitzen des Bundes und der serbischen Regierungsparteien wurden selbstverständlich von den Montenegrinern mitgewählt.

Nach Milosevics Propaganda-Kampagne ist vielen Montenegrinern der Schreck in die Knochen gefahren. Vor dem Hotel »Moskau« im Zentrum von Belgrad trafen sich früher jeden Abend nach der Arbeit Montenegriner auf ein Schwätzchen und ein Glas Bier. Heute ist der Platz leer. Das bedeutet aber nicht, dass alle Montenegriner von Djukanovics Kurs überzeugt sind. Falls es in Montenegro zu einem Krieg mit Serbien kommt, wird dieser zumindest zum Teil auch die Form eines Bürgerkrieges annehmen.