Parteitag von Bündnis 90 Die Grünen

Mehr Energie wagen

Nach dem Parteitag darf Umweltminister Trittin ohne Ultimatum mit den Strom-Unternehmern weiterverhandeln. Weitere Spots auf grüne Delegierte und andere Besucher der Schwarzwaldhalle

Burkhardt

Er musste 500 Eier hinlegen, nur um dabei zu sein. Das tut weh, denn das Geschäft ist auch so schon hart genug. »Bei der PDS oder SPD wär das umsonst gewesen«, regt sich der etwas angegraute Fünfzigjährige auf. Hinter Burkhardt hängt geballte Kampfgeschichte. Politisch korrekte Messages von vorgestern bis heute, gedruckt auf einfarbige Oberhemden. Da ist natürlich Che - und der ist immer noch ein Verkaufshit. Burkhardt ist resigniert: Alles in allem läuft so ein Stand mit Alternativ-Kram »längst nicht mehr so wie früher«.

Vor ihm auf dem Tapeziertisch türmt sich neben Atomkraft-Nein-Danke-Shirts auch jüngeres Material mit Anti-Castor-Sprüchen. »X - Wir stellen uns quer.« Dazwischen ein paar praktische Accessoires für den alternativen Alltag, etwa Ökowaschpulver oder bequeme Hanfkleidung, 100 Prozent Natur, ungebleicht, im topaktuellen Beige. Doch aus seiner reichhaltigen Parteitags-Erfahrung weiß Burkhardt, dass sich das »grüne Sortiment« heutzutage besser bei den Genossinnen und Genossen der PDS verkauft.

»So wie die Inhalte verschwinden, nimmt auch die Nachfrage nach diesen T-Shirts ab«, lautet Burkhardts Markt-Analyse. Sein Blick schweift auf den Verkaufstisch schräg gegenüber. Dort, am offiziellen Stand der Partei, gibt es Grünzeug in vielen Schattierungen: Schirmmützen oder aus grobem Holz geschnitzte Sonnenblumensticker. Zwölf Mark und 50 Pfennig das Stück. Burkhardt hat die Preise gesenkt: ein T-Shirt für 24, vier für 74 Mark - »Drei bezahlen, vier mitnehmen«. Bertolt Brecht ist auch dabei: »Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.«

Folklore

Wer rein will, muss sich zunächst durch ein Spalier von Protestierenden kämpfen. Trillerpfeifen, Pfiffe, Parolen: »Grüne raus!« Von Biblis und Obrigheim sind die Kolleginnen und Kollegen aus den nahe gelegenen Betrieben an diesem Freitag nach Karlsruhe gereist. Schießlich gilt es, gegen die »Multi-Kulti-Extremisten, die Totengräber Deutschlands« mobil zu machen. Entsprechende Konzepte kursieren bereits unter den Beschäftigten der Atom-Industrie, wie auf großen Transparenten nachzulesen ist: »Wir machen es den Grünen nach und prügeln uns in den Bundestag, ziehen alle Schlagregister und werden selbst Umweltminister.«

Mit eigenen Forderungen haben sich auch vereinzelte Intellektuelle zwischen die Proleten geschlichen. Etwa die Frauen für den Frieden. Und natürlich die Gesellschaft für bedrohte Völker, die dem Außenminister den nächsten humanitären Einsatz schmackhaft machen will. »Ist Genozid in Tschetschenien leichter zu ertragen als im Kosovo, Herr Fischer?« Doch die Frage geht im Lärm der kämpfenden Kollegen vom Kernkraftwerk Obrigheim unter.

»Wenigstens sind sie nicht so schrecklich laut wie die gestern«, findet ein Delegierter um die vierzig. »Die gestern« sind weg, am Samstag- früh sind andere da, Aktivisten und Aktivistinnen aus der Anti-AKW-Bewegung, mobilisiert vom Aktionsbündnis Menschenteppich. Ein Stofflappen kündigt es an: »Wir lassen uns kein Ü für ein X vormachen!« Auf dem Boden liegend, in weißen Overalls gekleidet, wollen etwa 30 von ihnen die grünen Parteigänger daran hindern, in die Halle zu kommen. Im Hintergrund: gelbe Atom-Müll-Fässer, Sirenen und klassische Musik, die die Vision vom Weltuntergang nachhaltig in die Gehörgänge drückt. »Mir wär's zu kalt«, sagt eine Blondine, während sie zwischen den weißen Körpern zum Haupttor balanciert. Fritz Kuhn, Rezzo Schlauch und Gunda Röstel nehmen den Nebeneingang.

Jürgen

Jürgen Trittin hat heiße Zeiten erlebt. Damals, vor 25 Jahren, als in Wyhl erfolgreich die erste Platzbesetzung stattfand, und dann, als »wir vergeblich zu Zehntausenden mit Bauhelmen an die Zäune von Brokdorf und Grohnde zwei Jahre später gezogen sind«. Der Umweltminister strengt sich mit seiner Rede mächtig an. Die Kameras halten es fest: Man sieht dem Mann an, dass es an diesem Samstag um viel geht. Wird die Mehrheit der 750 Delegierten die Atom-Politik des Bundesvorstandes tolerieren? Wird man akzeptieren, dass er, der ungeduldige Trittin, 14 Monate nach den ersten Gesprächen der rot-grünen Regierung mit der Industrie, mit leeren Händen dasteht?

Noch eine Woche vor dieser Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) hatte er sich gegen weitere Verzögerungen bei den Konsensverhandlungen mit den Betreibern ausgesprochen. Dann, wenige Tage später, kam die Wende. Inzwischen ist sich die gesamte Parteispitze einig: Von Ultimaten an die Energie-Unternehmen will man nichts wissen. Kein Wort darüber, wann die Zeit reif sein könnte für eine so genannte Dissens-Lösung - für ein Ausstiegsgesetz also, das die Betreiber juristisch zum Abschalten der AKW zwingen könnte. »Der Ausstieg darf nicht länger verzögert werden«, steht folgerichtig unverbindlich im Papier des Vorstands. Und: Es gilt eine Gesamtlaufzeit von »höchstens 30 Jahren nach Genehmigung der Inbetriebnahme«. Von Ausnahmen wie Stade und Obrigheim einmal abgesehen.

Dagegen stehen die Landesverbände aus Berlin und Niedersachsen. Auch einige kleinere Gliederungen haben sich dem Protest angeschlossen. Sie fordern, dass mehr als zwei AKW noch in dieser Legislaturperiode stillgelegt werden. Das wäre »für uns das sichtbare Zeichen für einen glaubwürdigen Ausstieg«. Über ein kurzfristiges Aus für die Atom-Meiler, wie es unlängst zu den grünen Basics zählte, spricht auch von ihnen niemand mehr.

Und so wartet man vergeblich auf den großen Show-Down am »Schicksalstag für die Grünen«, wie er vorab in jedem zweiten Zeitungsartikel angekündigt worden war. Für Widerspruch sind die Gastredner zuständig: Etwa der konservative Atom-Kritiker Franz Alt, der nicht auf den Konsens setzt und die Kernenergie lieber mit Alternativen wirtschaftlich niederkonkurrieren will. Oder Jochen Flasbarth vom Naturschutzbund: »Niemand kann von der Umweltschutzbewegung erwarten, dass wir diesem Konsens zustimmen.« Doch der Beifall, den die beiden ernten, täuscht: Mit jener 30-plus-X-Regelung hat man sich hier im grünen Biotop längst arrangiert. Und für übrig gebliebene Skeptiker hat »unser Jürgen« die Verantwortlichen benannt: die Sozialdemokraten. »Der Einstieg in die so genannte friedliche Nutzung der Atomkraft, Biblis, Kalkar, Wiederaufbereitung, HTR: Das alles waren SPD-Projekte.« Dagegen stehen »wir« - also die Grünen und die Anti-AKW-Bewegung.

Das ist Balsam für grüne Seelen. Beifall zollen ihm selbst Jugendliche, die Transparente für den sofortigen Ausstieg hochhalten. Freund und Feind lassen sich kaum noch trennen. Und dann die letzten Sätze, das Signal an den gemeinsamen Feind: »Schluss mit den Verzögerungen, Schluss mit dem Zeitschinden. Entweder kommt es zu einem Verhandlungsergebnis, oder diese Regierung kommt ihrem Wählerauftrag im Dissens mit der Industrie nach.« Standing Ovations, rhythmisches Klatschen, die Delegierten hüpfen auf den Tischen. Nach vier Stunden wird der Vorschlag des Bundesvorstandes angenommen. Jürgen darf mit den Atom-Industriellen weiter verhandeln - ohne Ultimatum. Hatte jemand eigentlich jemals etwas anderes gefordert?

Agitation

Höchstens hundert sind gekommen. Viele sind lieber zur Platzbesetzung ins französische Bure gefahren, wo ein Endlager für Atom-Müll entstehen soll. Oder zu den Aktionstagen für politische Gefangene. Wirklich überzeugt ist aber auch Andreas Dinkelmeyer von der Aktion Menschenteppich nicht. »Die meisten haben die Grünen schon abgeschrieben.« Ob denn auf einem solchen Parteitag noch was zu holen ist? »Ich glaub's auch nicht so richtig.«

Im Saal versucht man sich trotzdem in Überzeugungsarbeit: Schilder mit den Ortsnamen von AKW-Standorten werden durch den Raum getragen. Ein bisschen spielt selbst die Parteitags-Regie mit: Vom Podium herunter darf Wolfgang Eisenberg sprechen. Leute wie ihn kennen die meisten hier nur noch von früher: Krankenpfleger und Nebenerwerbslandwirt, Vertreter der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg und der Bäuerlichen Notgemeinschaft, ein Anti-AKW-Kämpfer der ersten Stunde. Er musste seinen Hof allein lassen, um die 600 Kilometer hierher zu kommen. Und deshalb wird er reden, so lange er will.

Zum Beispiel über Trittin. Der habe bislang lediglich »die Bestandssicherung« der Atom-Meiler betrieben und dafür gesorgt, »dass die Abrisskosten der Atom-Industrie subventioniert werden«. Überhaupt ist man im Wendland über die rot-grüne Atom-Politik »befremdet und entsetzt«. Spätestens, als vier Nackte im Saal stehen, um eine Anti-AKW-Parabel Eisenbergs auf das Märchen »Des Kaisers neue Kleider« optisch zu unterstützen, wird Unbehagen in den Reihen der Delegierten spürbar. Ein namentlich nicht identifizierbares, ordentlich gekleidetes, etwa zwanzigjähriges Babyface schwingt sich aufs Podium: »Ihr solltet uns lieber mehr Wähler verschaffen.« Erleichterung. Beifall im Saal.

Wenig später beruhigt Jochen Stay, Vertreter der Aktion Menschenteppich, die aufgeregten grünen Gemüter. »Nehmt es mal als Ermutigung, dass es noch Menschen gibt, die euch zutrauen, dass ihr was gegen die Atom-Politik bewirken könnt.« Für Stay, der auch bei der Anti-Castor-Initiative x-tausendmal quer mitarbeitet, ist klar: Das grüne Ausstiegs-Szenario wird nicht dazu führen, »dass es bei den im Herbst anstehenden Castor-Transporten keinen Widerstand geben wird«. Im Saal will das jetzt kaum einer mehr hören.

Spagat

»Von allen Seiten kriegen wir Prügel«, beschreibt eine Delegierte das harte Los der Grünen. Der Forderung aus dem Menschenteppich - »einfach mit hinlegen« -, mag so recht niemand nachkommen. »Aus dem Alter bin ich raus.« Rüdiger Kurth, Delegierter aus Bad Homburg, ausgerüstet mit Atomkraft-Nein-Danke-Plakette und Megafon, übt sich im Spagat: »Wir solidarisieren uns.«

Drinnen am Rednerpult wird politisch argumentiert. Frau von Plottnitz zum Beispiel kennt das Thema Atom von allen Seiten: »Ich habe mit meinem Schlepper in Wackersdorf, Brokdorf und Gorleben gestanden.« Damit soll jetzt keineswegs Schluss sein. »Sobald der nächste Castor rollt, bin ich wieder dabei.« Außerparlamentarisch, versteht sich. Da wünscht sich die Delegierte, »dass möglichst viele hier im Saal dabei sein werden«. Und dann lässt sie ihr Realo-Ich ausrufen: »Unterstützt die Politik von Jürgen Trittin und stimmt seinem Antrag zu!«

Leibesübungen

Aufmunternde Worte: »Ich find, wir sind ne tolle Truppe.« Noch-Teamchefin Gunda Röstel leitet den sportlichen Teil der Drei-Tage-Session ein. Durch das Parteitags-Motto »Grüne Energie« ist die Latte ziemlich hoch gelegt. Macht nix. Zwar stellt Libero Trittin fest, dass es im Spitzen-Spiel gegen die Atom-Lobby keine dritte Halbzeit geben wird. Ohne Pause will er »das Elfmeterschießen« anpfeifen. Doch der grüne Quell der Energie hat noch längst nicht ausgesprudelt: »Lasst uns den Schwung der Gemeinsamkeit ausnutzen«, rät Manager Reinhard Bütikofer gleich im Anschluss an jene Trainingseinheit, die am Samstag unter dem Titel Atom-Ausstieg durchgezogen wird.

Damit das Team künftig besser im »immer härter werdenden Wettlauf mit anderen demokratischen Parteien« mithalten kann, empfiehlt Coach Röstel zunächst Lockerungs-Übungen in Sachen Trennung von Amt und Mandat. Doch davon will die Truppe nichts wissen: Mit 426 anstatt der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit von 487 Stimmen wird dieser Dauerrenner auf das nächste Trainingslager vertagt. Röstel muss nun noch eine Weile weitercoachen: Weil den Grünen das Geld fehlt, trifft man sich erst im September wieder, und nicht wie geplant im Mai.

Und noch eine schlechte Nachricht: Während Außenamts-Mitarbeiter Ludger Volmer deutlich abgemagert ist, hat Joseph Fischer wieder zugenommen. Was der Marathon-Mann nicht auf sich sitzen lassen will. Gerüchten zu Folge sondert er sich mitten im Training von der Truppe ab und läuft in der Innenstadt eine Extra-Runde um die Bundesanwaltschaft. Geheimtipp Daniel Cohn-Bendit darf ausnahmsweise gar nicht mitspielen - dicht hinter Fischer drückt er jedoch tapfer die Reservebank.

Szene

18.50 Uhr. Er kommt. Mit ihm drei elegante Gorillas. Vornehmes Lächeln, entspannte Zurückhaltung. Die Location wurde präpariert: Eine dicke, rote Kordel sorgt für die nötige Distanz. Szenen wie beim Kriegsparteitag in Bielefeld sollen sich hier nicht wiederholen. Und so nimmt Gesundheitsministerin Andrea Fischer schützend zwischen Außenminister Joseph Fischer und der Basis Platz. Davor: drei Reihen Fernsehkameras. Fotografen setzen sich den Delegierten ungeniert auf den Schoß. »Presseleute, schießt eure Bilder und dann verteilt euch im Saal«, mahnt das Präsidium.

Die Rechts-links-Debatte in der »Jugend-Presselounge« fällt aus, weil der Parteilinke Christian Simmert Änderungsanträge formulieren muss. Aus dem Streitgespräch wird eine One-Man-Show. Matthias Berninger - »29, verheiratet, ein Kind« - stellt sich und sein Leben als erfahrener Bundestagsabgeordneter vor: »Ich bin froh, die Frage: 'Wie fühlt man sich als jüngstes Bundestagsmitglied?' nicht mehr beantworten zu müssen.«

Vegetarisches

Mitteilungen am Rande. »Grüne essen natürlich gesund und genießen.« Damit das besser klappt, dürfen sich die Delegierten das passende Öko-Körbchen selbst aussuchen. Etwa den »Genießer-Korb ˆ la Rezzo«, den »Fundi-Korb für 100%ige« oder den eier- und käsefreien »Veganer-Warenkorb«. Den würde zweifellos Gastredner Franz Alt wählen, denn für ihn steht schon fest: »Atom-Konsens ist Nonsens. Schließlich gehen Vegetarier nicht zum Metzger, um dort ein Beratungsgespräch über fleischloses Essen zu führen.« Den Aufbruch in eine fleischfressende Zukunft der Grünen proklamiert ein Basis-Vertreter draußen vor den Toren: »Früher haben sie Kröten über die Straße getragen, heute schlucken sie sie.«

Joseph

»Nun habt doch ein bisschen Solidarität für einen, der einen Fehler gemacht hat«, sagt Er und bittet um Vertrauen. »Da gibt es kein Drumherumreden: Es war falsch, dass es diese Entscheidung gegeben hat.« Aber es nütze halt nichts - den Radika-linski könne man im Auswärtigen Amt (AA) nicht spielen. »Bei allem Verständnis, meine Freundinnen und Freunde, das müsst ihr verstehen.« Immerhin sei die Kreditabsicherung der ukrainischen Reaktoren K2 und R4 verhindert worden. Und überhaupt: »Bei allem Frust, bei aller Enttäuschung«, durch den neuen Lagebericht des AA »ist ein entscheidender Schritt nach vorne für eine humanitäre Außenpolitik« gemacht worden. Wenig später verabschieden die Delegierten eine Erklärung : »Die Vergabe von Hermes-Bürgschaften muss transparent gestaltet werden.«

V-Anträge

Top Verschiedenes, V1, Fachbereich Außenpolitik. »Keine Panzerlieferungen in die Türkei.« Nein! Um es in den Worten der verteidigungspolitischen Sprecherin Angelika Beer auszudrücken: Da passt keine Tretmine zwischen Parteiführung und Basis. Man - und frau - ist sich einig: Solche Geschäfte lehnt die 14. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz ab. Sollte die Regierung Schröder dennoch darauf bestehen, dem von Ankara in Aussicht gestellten Kauf von 1 000 Leopard II des deutschen Rüstungskonzerns Krauss-Maffei zuzustimmen, hat das keine Konsequenzen. Mit 305 zu 296 Stimmen lehnen die Delegierten eine Ergänzung der Erklärung ab, nach der durch den Export dieser Panzer, auch in verminderter Stückzahl, »ein Fortbestand der Koalition nicht mehr vorstellbar ist«.

Grüne Energie

Erklärt Fritz Kuhn, Fraktionsvorsitzender der baden-württembergischen Grünen, zum Thema Kohl und Korruption: »Ja, wo leben wir denn eigentlich in dieser Republik.« Die wie Kuhn verhinderte Parteivorsitzende und Berliner Fraktionschefin Renate Künast findet: »Das Schlimmste war für mich die Doppelmoral.« Die Konsequenzen erläutert die Bundestags-Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller: »Wir wollen jetzt wieder in dieser Debatte endlich mehr Demokratie wagen.« Was offenbar nötig ist, denn, so Röstel, in Sachen Hermes-Bürgschaften sei die »Kommunikation nicht optimal verlaufen, aber in der Substanz, in der Substanz, sind wir auf dem richtigen Weg«. Außerdem ist es einfach »so wahnsinnig schwierig, grünes Profil immer wieder neu durchzukämpfen«, wie Verteidigungspolitikerin Angelika Beer nach den Koalitionsverhandlungen der letzten Wochen in Schleswig-Holstein feststellen musste.

Jubilare

Und dann gibt es ja noch die grüne Geschichte. 20 Jahre ist es her, dass sich diese Partei eben hier in Karlsruhe gegründet hat. Logisch, dass zum Jubiläum das eine oder andere historische Wort fällt. Etwa von der Vorstandssprecherin Antje Radcke: »Liebe Freundinnen und Freunde, wir können uns nicht aussuchen, ob wir eine Geschichte haben oder nicht, wir können nur entscheiden, wie wir damit umgehen.« Zusammen mit ihrer Kollegin Röstel verteilt sie in einem feierlichen Moment zwischen Atom- und Struktur-Debatte ein paar Blümchen an etwa 20 immer noch rüstige Gründungsmitglieder. Die zeigen sogleich ungebrochene Basisnähe und werfen, ohne zu zögern, die Sträuße unters Delegiertenvolk. Einer von ihnen - bei ihm stimmt noch heute vom schulterlangen grauen Haar, über Kapuzenshirt und Atomkraft-Sticker alles - tritt spontan ans Rednerpult. »Jetzt machen wir's wie vor 20 Jahren«, ruft er und skandiert mutig: »Weg mit dem Atom-Programm!« ins Mikrofon. Noch einmal, langsam, und jetzt alle: »Weeeg miiit deem Atooom-Prooograaamm!!« Doch im Saal mag keine rechte Mitbrüll-Stimmung aufkommen. Und so macht sich der tapfere Jubilar enttäuscht vom Acker: »Och, seid ihr langweilig.«