Zensur in Griechenland

Satanische Möse

Beim traditionellen Picknick vor Beginn der Fastenzeit gab es in Griechenland heuer - neben der Lust auf Fleisch - nur ein Thema: die Fleischeslust. Alle Welt sprach über »M« - das heißt, auf Griechisch ausgesprochen »Muni« und steht umgangssprachlich für Vagina. »M« heißt auch der neue Roman von Mimis Androulakis, einem ehemaligen Abgeordneten der kommunistischen Partei KKE.

Ende Januar hatten christliche Fanatiker mit Bücherverbrennungen und tätlichen Angriffen auf öffentliche Lesungen einen Kreuzzug gegen das »blasphemische Werk« begonnen. Der Heilige Synod - das höchste Organ der orthodoxen Christen - gab am 7. März seinen Segen dazu: Das Buch sei » blasphemisch, respektlos, schändlich, und schmutzig« sowie - man höre - »unwissenschaftlich«. Der Synod belegte das Buch mit dem Kirchenbann.

Letzte Woche untersagte auch noch der Staatsanwalt am Oberlandesgericht Thessaloniki per Einstweiliger Verfügung den Verkauf des Buches und erhob Anklage gegen den Autor und seinen Verleger - wegen »Verunglimpfung der Religion und Beleidigung eines Religionsführers«. Inkriminiert werden insgesamt vier bis fünf Seiten des Buches, in denen Christus mit Maria Magdalena vögelt und sie schwängert und in denen, nach Ansicht der orthodoxen Fundamentalisten, das Kirchenoberhaupt Erzbischof Christodoulos verunglimpft wird.

Beim Prozess um die Einstweilige Verfügung mussten Justizbeamte eine tobende Menge von fanatischen Gläubigen - unter ihnen viele Mönche und Priester - aus dem Gerichtssaal drängen. Die Verhandlungen wurde aus gegebenen Umständen auf den 16. Mai vertagt. So lange bleibt das Buch in den sechs Präfekturen, für die das Oberlandesgericht Thessaloniki zuständig ist, aus dem Verkehr gezogen.

Während die liberale Öffentlichkeit teilweise ungewöhnlich scharf reagierte, reden die Parteien mit Blick auf die Parlamentswahlen am 8. April der eigenen Klientel das Wort. Außenminister Jorgos Papandreou von der sozialdemokratischen Pasok fühlt sich »an die Inquisition erinnert«, andere Parteimitglieder betonen dagegen, die Kirche habe »das Recht, ihren Glauben zu verteidigen«. Der liberale Flügel der rechten Oppositionspartei ND ruft zur Zurückhaltung auf, während sich die Parteirechte aktiv an den Angriffen auf Lesungen beteiligt.

Seit Christodoulos vor knapp vier Jahren sein Amt übernahm, mischt sich die Kirche wieder verstärkt in alle Bereiche des Lebens ein. Christodoulos ist omnipräsent und verkauft seine reaktionären Inhalte oft auf unkonventionelle und humorvolle Art. Auch jetzt belegte eine Umfrage, dass fast die Hälfte der Griechinnen und Griechen das Vorgehen der Kirche gegen Androulakis gutheißt. Dem hat der Trubel um sein Buch bisher eher genützt: 35 000 verkaufte Exemplare innerhalb von zwei Monaten; die zweite Auflage geht soeben in Druck.

Auch der letzte vergleichbare Fall gereicht ihm eher zur Ehre. Vor 45 Jahren wurde Nikos Kazantzakis' Roman »Die letzte Versuchung« mit dem Kirchenbann belegt. Kazantzakis wurde wegen des Romans sogar exkommuniziert und durfte nicht in geweihter Erde begraben werden. Seinem Ruhm hat es nicht geschadet - und ein wenig davon strahlt jetzt auch auf Androulakis ab.