Päsidentschaftswahlen in Russland

Wahlsieg ohne Werbung

Wladimir Putin, Russlands aussichtsreichster Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen, präsentiert sich als Unabhängiger. Die einzigen, die seinen Sieg verhindern können, sind tote Soldaten.

Auf Werbung zur russischen Präsidentenwahl verzichtet der Interimspräsident und chancenreichste Kandidat Wladimir Putin gänzlich. So bleibt es den anderen elf Mitstreitern um den Präsidentensessel vorbehalten, sich durch kurze Werbespots im Fernsehen als potenzielle Jelzin-Nachfolger zu präsentieren.

Boris Jelzin war zehn Jahre an der Macht. Nun werben alle Kandidaten damit, Russland »neu auferstehen« lassen zu wollen. Und dazu braucht jeder von ihnen die oberste Befehlsgewalt über das Militär, die nach Artikel 87 der russischen Verfassung dem Staatspräsidenten zufällt.

Nach allen Umfragen hat aber nur einer Chancen auf den Sieg: Wladimir Putin. Die Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta ließ in den letzten Tagen immer wieder russische Politologen und Journalisten zu Wort kommen. Alle sagten einen überragenden Sieg Putins voraus. Differenzen gab es nur bei den Zahlen: Zwischen 44 und 60 Prozent werden Putin im ersten Wahlgang bei den Präsidentschaftswahlen am kommenden Wochenende zugetraut.

Bei diesen Erwartungen kann Putin tatsächlich auf Eigenwerbung verzichten. Zumal er in den Tele- und Printmedien ohnehin - nicht zuletzt durch den Tschetschenien-Krieg - dauerpräsent ist: Hier nimmt der künftige Präsident eine Parade ab, dort hält er eine Rede vor Kriegsveteranen. Hinzu kommen Bilder, die den ehemaligen Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB im Kinderheim oder bei einer Seniorenveranstaltung zeigen.

Damit das Image so gut bleibt, hilft das Presseministerium ab und zu mit kleinen Drohungen nach. Wie die Tageszeitung Segodnja letzte Woche berichtete, wurden z.B. regelmäßig Zeitungen und Fernsehsender gewarnt, tschetschenische Bandenführer in ihren Beiträgen zu Wort kommen zu lassen. Dies würde als Verstoß gegen das Gesetz »Über die Bekämpfung des Terrorismus« angesehen und entsprechend geahndet.

Der Verzicht Putins auf Wahlwerbung lässt sich aber auch als Versuch interpretieren, im Wahlkampf den Eindruck eines engen Zusammenhangs zwischen der Oligarchie - so werden die einflussreichsten Medien- und Wirtschaftstycoons in Russland genannt - und der politischen Führung zu vermeiden. Schon vor rund zwei Wochen hatte der Interimspräsident angekündigt, die politische und wirtschaftliche Korruption durch eine radikale »Säuberung« zu beenden.

Segodnja nennt sogar Namen: Unter anderen sollen die Stellvertreter der mächtigen Präsidentenadministration Igor Schabdursow und Denis Molschanow sofort nach der Wahl gefeuert werden. Das Schicksal ihres Chefs, Alexander Woloschin, der als direkter Mittelsmann des Oligarchen Boris Beresowski gilt, ist allerdings ungewiss. Denn, so spekuliert die Zeitung weiter, bei der Masse an zu erwartenden vakanten Stellen würden die »Vertrauten Putins aus Petersburg und aus dem Umfeld des FSB« nicht ausreichen.

So laviert Putin zwischen den alten Politstrukturen und seinem Versuch eines Neuanfangs. Dafür spricht auch, dass sich Putin noch nicht zur Besetzung des künftigen Kabinetts geäußert hat. Ein Neuanfang muss jedoch nicht zwangsläufig mit völlig neuem Personal begonnen werden. Schließlich war es der Chef-Privatisierer Russlands, Anatoli Tschubais, der Putin von Petersburg nach Moskau holte, ihm den Job als Sekretär des Präsidialamtes vermachte und ihm so zu seiner weiteren Karriere verhalf.

Auch ist Putins Popularität nicht zuletzt auf den von Boris Beresowski und Roman Abramowitsch finanzierten letzten Duma-Wahlkampf und das bei der Parlamentswahl erfolgreiche Kreml-Marketingprodukt Jedinstwo zurückzuführen. Hinzu kommt Putins Erlass - der nach Meinung von Kritikern verfassungswidrig ist -, dass Boris Jelzin ohne Strafverfolgung seine Rente genießen kann. So wird die Gesetzeswillkür der Jelzin-Regierung weitergeführt. Erbe verpflichtet.

Aber wie lange? Schon jetzt verfügt Putin über die Macht, sich gegen seine einstigen Gefährten zu stellen: Die Ankündigung des Presseministeriums, die automatische Verlängerung der Lizenzen des von Beresowski kontrollierten ersten russischen Fernsehsenders ORT zu verweigern, ist ein Ausdruck davon. Außerdem kann sich Putin im Parlament auf eine starke Mehrheit stützen. Seine Vorgänger Sergej Kirjenko und Jewgeni Primakow - ein ausgesprochener Gegner Beresowskis und noch zu den Duma-Wahlen Hauptrivale Putins - haben auf eine eigene Kandidatur verzichtet. Beide unterstützen den neuen starken Mann. Selbst der Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow hat seinen Widerstand gegen Putin aufgegeben.

All das sind Zeichen, die den Westen zufrieden stimmen und die Besorgnis eindämmen, dass die bis dahin mafia-ähnlich organisierte russische Wirtschaft,

besonders die Öl-Mogule, den Weltmarkt weiter destabilisieren könnten. In der jüngsten Ausgabe des US-Magazins Foreign Affairs heißt es zu den Oligarchen: »Sie bedrohen die lebenswichtigen Interessen der USA, da Amerikas Langzeitsicherheit am besten durch den Erfolg der russischen Umwandlung (in einen demokratischen Staat) gewährleistet werden kann.«

Gefordert wird, den russischen Magnaten kein Visum in den Westen zu geben, ihren Ölkompanien den Zugriff auf internationales Kapital zu verweigern und sie von Hilfsgeldern auszuschließen. In der Annahme, Putin könne sich von den Oligarchen trennen, nannte ihn US-Außenministerin Madeleine Albright nicht umsonst einen »Spitzenreformer«. Der erste westliche Besucher des Kremls seit dem Jelzin-Rücktritt, Tony Blair, sicherte Russland sogar »auf seinem neuen Weg jede erdenkliche Unterstützung zu.«

Ob Putin jedoch diesen neuen Kurs einschlagen wird und sich gegen die Oligarchen durchsetzen kann, wird sich erst nach dem kommenden Wahlsonntag entscheiden. Dass er dort gewinnen wird, ist für die Moskauer Medien keine Frage, sondern nur, ob er für einen Sieg in den zweiten Wahlgang muss.

Die einzigen Kandidaten, die neben Putin überhaupt gute Chancen haben, mehr als fünf Prozent zu erreichen, sind Grigori Jawlinski und Gennadi Sjuganow. Der Chef der kommunistischen Partei Russlands (KPRF) weist im Wahlkampf immer wieder auf den Ruin, die Korruption und den Ausverkauf des Landes in der Jelzin-Ära hin. Er setzt auf Nationalismus und fordert die »Reverstaatlichung der strategisch wichtigen Bodenschätze, der Energiesektoren und des Monopols der Alkoholproduktion« - eine Art neuer Weg zurück. Dass der KP-Vorsitzende damit Ernst machen könnte, glauben in Russland nur wenige. Schließlich wird die KPRF, wie die Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta berichtete, aus dem Umfeld des Chefprivatisierers Anatoli Tschubais und der Alba-Aljanz-Bank unterstützt.

Die Hoffnungen westlich orientierter Russen ruhen hingegen auf Jawlinski, dem Vorsitzenden der Jabloko-Partei. Er wird von den liberalen Medien wie dem TV-Kanal NTV protegiert. In einer politischen Klasse voller Korruption präsentiert auch er sich als einziger Saubermann. Um sein neoliberales Wahlprogramm umsetzen zu können, wäre eine radikale Steuerreform ebenso nötig wie weitere Privatisierungen. Jawlinski setzt sich für eine Beschränkung der Präsidentenvollmachten und eine Stärkung des Parlaments ein.

Auf die Oberhoheit über das Militär würde aber auch er nicht verzichten - zumal der Tschetschenienfeldzug noch in vollem Gange ist. Bisher sind nach offiziellen Meldungen des Stabes um Putin seit dem Beginn der Kampfhandlungen 1 628 Menschen umgekommen, 4 308 wurden verletzt. Sollte es in den nächsten Tagen weitere Todes- und Verletzten-Meldungen zu russischen Soldaten geben, so wäre das vermutlich die einzige Möglichkeit, einen Wahlsieg Putins schon im ersten Urnengang zu verhindern.