Regierungskriminalität in Bulgarien

Die Schätze der Eliten

In Bulgarien häufen sich die Korruptionsskandale. Die gesamte politische Klasse ist darin verwickelt.

Eine Reihe von Skandalen und machtinternen Intrigen erschüttert zur Zeit die bulgarische Regierung. Ein gefeuerter Minister, General Bogomil Bonew, beschuldigt seine ehemaligen Regierungskollegen der Korruption - und den Ministerpräsidenten, nichts dagegen zu unternehmen. Ein Staatsanwalt erschießt sich. In seinem Abschiedsbrief hatte er zuvor seinen Vorgesetzten, den Generalstaatsanwalt Nikola Filtschew, zum Rücktritt aufgefordert.

Der bekannte Schriftsteller Rumen Leonidow lässt in einer Radiosendung verlauten, die einzige Rettung für Bulgarien sei ein Putsch der Armee, der einzigen staatlichen Instanz, die ihre Glaubwürdigkeit behalten hätte. Andere meinen, der Zar solle, als neutrale und glaubwürdige Figur, aus dem spanischen Exil zurückkehren und die Präsidentschaft übernehmen.

Keine Frage, die regierende Union der Demokratischen Kräfte (SDS) befindet sich in einer schweren Krise. Die SDS war im April 1997 mit dem Anspruch angetreten, das Land vor der »ex-kommunistischen Diebesbande« zu retten und die Wirtschaft zu sanieren. Und zumindest ein Teil davon ist ihr gelungen. Wie Stanley Fisher, stellvertretender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), bei seiner Stippvisite vergangene Woche anerkennend bemerkte, sind die makroökonomischen Bemühungen der »blauen« Regierung erfolgreich. Durch eine strikte Kreditkontrolle und die Anbindung der Landeswährung an die D-Mark wurde die Hyperinflation besiegt, und auch das Bankensystem ist mittlerweile wieder halbwegs stabilisiert.

Dass die makroökonomischen Daten »stimmen«, hat wenig mit einer Verbesserung der ökonomischen Lage der Bevölkerung zu tun. Die Arbeitslosenquote nimmt zu, die Preise steigen, während die Löhne seit geraumer Zeit stagnieren. Dennoch ist für viele Bulgarinnen und Bulgaren, die im Alltag unter den Folgen der Inflation zu leiden hatten, die wirtschaftliche Konsolidierung ein erster Schritt hin zur ersehnten »Normalität« und zu westlichen Standards.

Doch wirtschaftliche Krisenzeiten verlangen nicht nur Opfer, sondern eröffnen auch traumhafte Möglichkeiten. Zum Beispiel für jene, die zur richtigen Zeit am richtigen Hebel sitzen. Als die blaue (»demokratische«) Regierung an die Macht kam, begann sie sofort, den Filz um die Sozialistische Partei zu zerstören und selbst neue Verbindungen aufzubauen.

Mit einigem Erfolg, wie die Enthüllungen der letzten Monate zeigen. Generalstaatsanwalt Filtschew erklärte zwar vergangene Woche, seine Behörde kümmere sich nicht um das Parteibuch der Verdächtigen. Eine Aussage, die nicht einmal in seiner eigenen Behörde als glaubwürdig gilt. Denn gleichzeitig gab Filtschew zu verstehen, dass sich alle bisher eingeleiteten Verfahren ausschließlich auf die Zeit zwischen 1994 und 1996 beziehen - also nur auf die Amtszeit der Sozialistischen Partei. Seit dem Antritt der Regierung Kostow scheint es für den obersten Staatsanwalt demnach keine Verfehlungen mehr zu geben.

Der Volksmund will das anders wissen. Der ehemalige liberale Vize-Premier und Industrie-Minister Alexandar Bozhkow wurde berühmt als »Mister zehn Prozent«, benannt nach der Summe, die er angeblich bei jedem Privatisierungsdeal kassierte. Als Ende letzten Jahres der Druck auf die Regierung stieg, war Bozhkow einer jener Minister, die Kostow bei einer zaghaften Kabinetts-Reform im Dezember feuerte - um ihn anschließend zum Verantwortlichen der Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union zu ernennen.

Doch während die Regierungsmannschaft in der Bevölkerung laut Umfragen seit 1997 stetig an Vertrauen verliert, konnte Ministerpräsident Iwan Kostow bislang sein Image als Saubermann aufrechterhalten. Damit scheint es nun vorbei zu sein. Die Beschuldigung von Bonew, der Regierungschef würde die korrupten Geschäfte seiner Freunde decken, hat Kostow schlagartig in die Schusslinie gebracht.

Die Angriffe kommen dabei weniger von der ex-kommunistischen Opposition, die mit den zahlreichen Korruptionsgeschichten der »demokratischen« Regierung das Leben schwer machen könnte. Die Ex-Kommunisten hatten zwar einen Misstrauensantrag im Parlament unterstützt und großspurig weitere Enthüllungen angekündigt, dann aber doch nur die bereits aus den Medien bekannten Fälle zitiert. Die Sozialistische Partei konnte schließlich selbst nie genau erklären, wer zu Beginn der neunziger Jahre für jene Parallelfirmen verantwortlich war, die das Kapital von Staatsfirmen »privatisiert« und ins Ausland transferiert hatten.

Es bleibt daher den Parteigenossen von Ministerpräsident Iwan Kostow vorbehalten, die Medien ständig mit neuen Informationen über die dubiosen Praktiken der Regierung zu versorgen. Gleich mehrere Politiker der Regierungspartei Union der Demokratischen Kräfte (SDS) wendeten sich in den vergangenen Wochen besorgt an die Öffentlichkeit. Der Vizepräsident Bulgariens, Todor Kawaldzhiew, gab in einem langen Interview zu Protokoll, die obersten Ebenen der Regierungsmacht seien komplett korrupt. Seine Parteifreunde müssten endlich verstehen, dass in einer Demokratie eine Amtszeit vier Jahre dauert und nicht vierzig. Die Ungeduld der Bevölkerung sei seiner Ansicht nach jedoch nur auf die derzeitigen Amtsinhaber bezogen. Der Inhalt des Regierungsprogramms - vor allem der baldige Nato- und EU-Beitritt - würde hingegen weiterhin breite Unterstützung finden.

Diese Äußerungen sind durchaus typisch für die öffentliche Diskussion. Die Korruption wird als ein spezifisch bulgarisches Problem betrachtet und mit dem moralischen Verfall der politischen Klasse erklärt. Die Politiker lassen es an Patriotismus fehlen, heißt es. Sie vergessen das Volk und denken nur daran, sich selber zu bereichern. Und gefährden dabei den Beitritt zu den westlichen - und hoffentlich zivilisierenden - Institutionen, indem sie deren demokratische Standards nicht erfüllen.

Die meisten BulgarInnen ahnen jedoch, dass die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, unter denen Sozialisten wie Demokraten riesige Vermögen akkumulieren konnten, erst von internationalen Institutionen wie der Weltbank, dem IWF und der EU durchgesetzt wurden. So ist beispielsweise ein großer Teil der aktiven Korruption auf westliche Firmen zurückzuführen, die sich bei internationalen Ausschreibungen regelmäßig dieses Mittels bedienen.

Diese Erkenntnis lässt sich aber kaum in eine Strategie umsetzen. Die bulgarische Wirtschaft ist bereits erfolgreich abgewickelt worden und bietet den Freigesetzten scheinbar nur eine fatale Wahl: Entweder sie beteiligen sich am Kampf um die wenigen technologisch anspruchsvollen Jobs. Oder sie finden sich als Selbstversorger in einer Subsistenzwirtschaft wieder. Der Weg jenseits von Vormoderne und kapitalistischer Modernisierung ist derzeit nur schwer zu finden.

Der Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere, in der sich wachsende Teile der bulgarischen Bevölkerung befinden, wird daher auch weiterhin unter Anweisung »internationaler Experten« stattfinden - also genau denjenigen, deren Modernisierungsforderungen eben zu dieser Situation geführt haben. Die aktuelle Krise zeigt aber ebenso, dass der Druck auf die Regierung nicht nur von Nato und EU kommt, sondern vermehrt auch von jenen Teilen der Bevölkerung, die sich bei der marktwirtschaftlichen Neuordnung um ihre Zukunft betrogen sehen.