Die anarchosyndikalistische SAC und ihre Demonstration am 1. Mai in Stockholm

Erfolgreich mobilisiert

Am 1. Mai demonstrierte die schwedische syndikalistische Gewerkschaft SAC unabhängig von den sozialdemokratischen und linken Parteien im Zentrum Stockholms.

Stockholm. Der Auftaktort der syndikalistischen Demonstration zum 1. Mai in Stockholm bot einen für linksradikale Veranstaltungen ungewöhnlichen Anblick: Die Rednerinnen standen in einer mit schwarz-roten Fahnen geschmückten Betonkanzel. Diese war von der sozialdemokratischen Stadtregierung gebaut worden, damit der tiefer gelegene Vorplatz des Hauptbahnhofs zwischen Einkaufsstraße und der verkehrsberuhigten sechsspurigen Hauptstraße, die fast nur noch von Straßenbahnen, Radfahrern und Lieferfahrzeugen befahren wird, besser für Demonstrationen genutzt werden kann.

Aufgerufen zur Demo hatte die Sveriges Arbetares Centralorganisation (SAC), die 1910 von Arbeitern gegründet worden war, die mit der Politik des Gewerkschaftsbunds unzufriedenen waren. Die SAC »ist eine der ganz wenigen Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeten syndikalistischen Gewerkschaften, die kontinuierlich bis heute arbeiten«, ohne Verbote oder Spaltungen, sagte SAC-Generalsekretär Gabriel Kuhn 2023 der deutschen Zeitung Analyse & Kritik.

Die Forderung einer Verkürzung der täglichen Lohnarbeitszeit mit der Begründung, dass die Produktivität seit Jahrzehnten immer weiter steige, stößt in Nordeuropa bei vielen auf Interesse.

Die 1.-Mai-Demonstration hat eine 100jährige Tradition. »Wir haben Demo-Fahnen von 1920«, erzählt SAC-Aktivist Elvin der Jungle World. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Sicherheitsmitarbeiter in der Stockholmer U-Bahn. Dem Demonstrationszug schlossen sich ungefähr 2.000 Menschen an, die gesittet nur auf einer Fahrbahn liefen und den entgegenkommenden Verkehr nicht behinderten. Einer kleinen Gruppe am Rand stehender rechter Gegendemonstranten, die Unterschriften sammelten für einen Austritt Schwedens aus der EU und Schilder mit Aufschriften wie »Sozialismus = böse« in Richtung der Syndikalisten schwenkten, schenkten die Demoteilnehmer wenig Beachtung. Thematisch war der Gaza-Krieg insgesamt weniger präsent als erwartet und bis auf wenige Ausnahmen hielten sich die Demonstranten an das von der SAC aufgelegte Nationalfahnenverbot.

Der Zug wurde von SAC-Aktivisten mit Bauarbeiterhelmen angeführt. Elvin berichtet, dass seine Organisation derzeit stark durch die Solidariska Byggare (Solidarische Bauarbeiter) und die neu gegründete Reinigungsgewerkschaft innerhalb der Stockholmer SAC wächst. Die Organisation stecke Ressourcen in Dolmetscher und die Organisation von migrantischen Arbeitern, für die sich die sozialdemokratischen Gewerkschaften nicht sonderlich interessierten. Deshalb sei 2023 das Bausyndikat in Stockholm von 389 auf 722 Mitglieder angewachsen. Das liege vor allem an Blockaden und Besuchen von »kriminellen Baufirmen«, die ihre Arbeiter nicht bezahlten.

Schwarz-rot durch Stockholm

Schwarz-rot durch Stockholm

Bild:
Fabian Kunow

Deren juristischen Kampf um vorenthaltene Löhne unterstützt die SAC – so wie bei der Putzkraft Chilo. Sie arbeitete für ein Subunternehmen einer Putzfirma als Reinigungskraft im Haushalt der ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Chilo wurde von der Polizei festgenommen, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis hatte, nachdem sie in Anderssons Haus versehentlich einen Alarm ausgelöst hatte. Vor kurzem erstritt Chilo vor Gericht, vertreten durch die Stockholmer SAC, den Anspruch auf ihren Lohn.

In der Debatte darüber in den schwedischen Medien sei es eher um ein »Sicherheitsrisiko« für Andersson gegangen, das mit einem unkontrollierten Subunternehmertum und einer »illegalen« Migrantin im Haus einhergehe, als um den Skandal, dass das Subunternehmen illegalisierte Arbeitskräfte ausbeutete und als Reinigungshilfen anbot, so Elvin. Nur die Stockholmer Syndikalisten zeigten Interesse daran, Chilo gegen ihren Arbeitgeber zu vertreten.

Der traditionelle 1.-Mai-Marsch der sozialistischen Vänsterpartiet mobilisierte über 20.000 Demonstrant:innen

Kaum ein Steinwurf entfernt vom Endpunkt der syndikalistischen Demonstration am Stortorget in der Altstadt lief der traditionelle 1.-Mai-Marsch der sozialistischen Vänsterpartiet (Linkspartei). Sie konnte in Stockholm über 20.000 Demonstrant:innen mobilisieren, die sozialdemokratische Sveriges socialdemokratiska arbetareparti (SAP) 6.000 Menschen. Beide Parteien gewinnen derzeit in Umfragen an Zustimmung und profitieren davon, dass die Politik der schwedischen Mitte-rechts-Regierung unter Ministerpräsident Ulf Kristersson (Moderata samlingspartiet; Moderate Sammlungspartei) teils unbeliebt ist. Kristersson führt eine Minderheitsregierung, die von den rechtspopulistischen Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten) toleriert wird.

Die Vänsterpartiet hatte einen Nato-Beitritt kategorisch abgelehnt. 2021 hatte sie zudem ein Misstrauensvotum gegen den damaligen Ministerpräsidenten Stefan Löfven unterstützt, das von den Schwedendemokraten initiiert worden war, nachdem Löfvens sozialdemokratisch-grüne Minderheitsregierung eine Liberalisierung ihrer Mietmarktpolitik angekündigt hatte. Sowohl bei der Demonstration der Vänsterpartiet als auch bei den Syndikalisten der SAC konnte man die Parole hören: »Vi vill ha sex timmars arbetsdag!« (Wir wollen den Sechs-Arbeitsstunden-Tag!)

Die Forderung einer Verkürzung der täglichen Lohnarbeitszeit mit der Begründung, dass die Produktivität seit Jahrzehnten immer weiter steige, stößt in Nordeuropa bei vielen auf Interesse. In Schweden werden bereits seit 2015 stellenweise Sechsstundentage ohne Lohnkürzung erprobt, in Dänemark und Norwegen in einzelnen Gemeinden eine Viertagewoche mit 35 Stunden. Den umfangreichen Protesttag beendete eine kleine Demo der Stockholmer Anarchisten von rund 200 Personen. Dort galt offenbar kein Nationalfahnenverbot, denn den Demozug führte eine Palästina-Fahne als Fronttransparent.