Christoph Schlingensief

»Tötet Europa!«

Obdachlose, Arbeitslose, Plan- und Heimatlose, Regine Hildebrandt, Rudi Dutschke, die Zirkusfamilie Sperling und Helmut Kohl: Der Theatermacher Christoph Schlingensief hat sich schon um viele Leute gekümmert. Jetzt sind dran: Haider/Wien/Österreich/Europa/Alle.

Du hast gefragt, ob ich am Pfingstsonntag beim Start Deiner Wiener Aktion eine Rede im Haider-Sound halten kann. Worum gehts?

Es geht um die unglaubliche Möglichkeit, das Unmögliche bis an den Rand des Möglichen durchzuspielen. Schluss mit Spekulation, Schluss mit Erwartung, Schluss mit dieser beschissenen Distanzierung durch Skepsis. Nein, ganz im Gegenteil. Haider widerlegen geht nicht. Haider durchspielen geht. Und zwar bis an die Kante. Jede Forschungsstätte kämpft für die Erhaltung ihrer Testlabors. Nur die Kunst begnügt sich mit Abstraktion. Da kommt dann gar nichts mehr bei raus. Entweder winselt der kleine Yorkshireterrier bei Lanc(tm)me, wenn man ihm Lippenstift ins Auge schmiert oder nicht. Ein Bild mit Hund und daneben ein anderes mit einem Lippenstift bringt gar nichts. Man muss beide Seiten schon aufeinandersetzen. Das ist Sex. Haiders Vorschläge zur Lösung von »Überfremdungsproblemen« können nicht abstrakt widerlegt werden. Das muss ganz praktisch mal durchgespielt werden, und zwar für ganz Europa.

Ein Container mitten in Wien, mitten im europäischen Filmdorf für faschistische Filmprojekte. Zwölf Asylbewerber, Flüchtlinge, Gefährdete im Container. Sieben Tage lang. Und der gemeine Österreicher kann jeden Tag per Internet und Ted-Telefon zwei von ihnen rauswählen und aus dem Land schmeißen. Am Abend werden die Abgeschobenen im Gitterauto weggefahren und abgeschoben. Mit allen Konsequenzen. Das ist Realpolitik im Haiderschen Sinne. Also so eine Art populistische Selbstvernichtung. Das, was Österreich im Moment als Hauptdarsteller so interessant macht. Österreich ist ein Yorkshireterrier und wir sind der Lippenstift. Ab sofort wird nur noch getestet. Arbeitstitel momentan: TÖTET EUROPA - Erste österreichische Konzentrationswoche. Und alle weiteren Informationen findet man - vorausgesetzt, die Adresse wird genehmigt - demnächst unter: www.auslaender-raus.at

Die Wiener Behörden sind ganz dafür?

Natürlich mit umgekehrtem Düsenantrieb. Je mehr sie sich für das Projekt entscheiden, desto mehr arbeiten sie dagegen. Und umgekehrt. Das ist das wirklich Neue an dieser neuen Form von Kunst. Man muss sie nicht mehr deuten, sondern sie widerlegt sich selbst. Sozusagen Konträrfarben. Subtraktiv. Je mehr kommt, desto weniger Farbe bleibt übrig. Das Rechte und Linke in einem Vorgang. Jetzt entsteht Vakuum und Wien implodiert. Ja, ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass Europa implodiert. Und die Wiener Behörden sind schuld.

Wer liefert Dir die Ausländer? Oder sind es Darsteller?

Nein, natürlich keine Darsteller. Es bedarf einer Härte, die diese Schwätzer zu verantworten haben. Die Fluchtwege sind versiegelt oder landen im eigenen Körper. Wir arbeiten mit Schleppern zusammen, die diese Leute auf die Gefahr hinweisen und ihnen Geld bieten. Pro Tag kann jeder von ihnen 500 Mark verdienen. Wird er rausgewählt, ist seine Einnahmequelle geschlossen. Österreich braucht beschmutzte Bilder. Europa freut sich über Bilder, die Österreich schlecht machen. Wir liefern diese Bilder.

Welche Behörde setzt die Entscheidung der Passanten um?

Das läuft illegal. Wir versuchen, jeden Asylbewerber so weit zu schützen, dass wir seine Identität verschleiern und den Kontakt zu ihm unterbinden. Im Internet kann man die Originallebensläufe dieser Leute lesen. Die Fotos sind manipuliert. Derjenige, der abgeschoben wird, wird mit einem ausgeklügelten System abtauchen können.

Willst Du beweisen, dass RTL die direkte Demokratie eingeführt hat?

Warum sollte ich mich auf so einen unwichtigen Beweis einlassen? Die angebliche Transparenz dieser Show hat allerhöchstens klargemacht, dass Transparenz der Tod von Authentizität ist. Jede Partei, die von Transparenz spricht, ist unauthentisch und somit nur Konserve. Chance 2000 hat Maßstäbe gesetzt. Leider kommt keiner außer Rainald Goetz auf die Idee, darauf hinzuweisen. Die Messlatte für politisches Theater ist sehr hoch. Da fallen so Veranstaltungen wie Schaubühne oder Peymann oder neuerdings auch die Unterhaltungsfabrik Volksbühne reihenweise durch. Theater hat immer nur die nächste Premiere vor Augen. Da gibt es kein Gedächtnis. Und genau deshalb werde ich mich ab sofort nicht mehr als Erfinder der Chance-Idee verleugnen. Wir waren nie pädagogisch. Das war unser Vorteil, und deshalb wurde uns daraus oftmals ein Strick gedreht. Aber wie man sieht: ohne Erfolg. »Big Brother« ist die billige Imitation unseres Theaterhotels: »Hotel Prora« im Prater der Volksbühne in Berlin.

Bist Du Populist?

Aber natürlich im umgekehrten Sinne. Über 90 Prozent der Bevölkerung kennt mich nicht oder findet mich scheiße. Das ist mein Kapital. Wäre es andersrum, hätte ich verloren.

Haiders Sound benutzen: Wer ist die Zielgruppe? Gegner? Sympathisanten?

Alle und somit Unterhaltung im höchsten Sinne. Unterhaltung aller mit sich selbst. Wer da anfängt zu sprechen, ist Autor und Verleger und Zuhörer zugleich. Wo gibt es das schon? Nur Sympathisanten sind gefährlich. Die kleben einfach nur dran. Genauso wie die Widerstandsbewegung in Österreich. Billige Oberflächenmaskerade. Viel interessanter sind die kleinen Privatunterhalter, die bereits ins Umfeld von Schüssel und Haider vorgedrungen sind und nicht nur vor der Türe rumbrüllen. Nein, diese Privatunterhalter sind mitten drin, und ein Fiasko wie in Enschede ist auch in Wien nicht mehr auszuschließen.

Haider und Schüssel befinden sich bereits seit sechs Wochen in Lebensgefahr. Keiner sollte sie umbringen, aber sie sollten wissen, dass sie extrem gefährdet sind, sich selber zu töten. Und diese Privatunterhalter, die sich jetzt hier bei uns melden, sind wirklich interessant. Das ist eine neue Form von Terrorismus. Viel besser als dieser Weltterrorismus ohne Selbsteinschätzung.

Zwischen Hotel Sacher und Oper: Warum gehst Du nicht gleich auf die Bühne? Du hättest den Schutzraum »Kunst«.

Schutzräume sind überall. Da muss man nicht den dümmsten aller Schutzräume wählen. Wir wollen direkt in den Sumpf. Da, wo Ausländer und österreichische FPÖler zusammen leben. Sacher und Oper sind Schutzräume für gelangweilte Kriegsveteranen. Die Freiheit der Kunst zu definieren, ist sicher das Wichtigste, was unsere Aktion in Graz und jetzt in Wien leisten kann. Das ist wirklich interessant, wie sich FPÖler da ihr kleines Museum vorstellen. Malen nach Zahlen.

Machst Du es nicht den Haider-Freunden zu leicht? Ist da nicht was dran, an der unzulässigen Verquickung von Politik und Kunst? Roberto Ohrt hat Dir in der Beute vorgeworfen, den Ausverkauf von Kunst zu betreiben.

Was soll das sein: Ausverkauf der Kunst? Wenn er damit die Menschheit meint, habe ich keine Probleme, wenn er aber die Erfindung der Kunst meint und somit das Monopol der Erfinder stützen will, gehört er genauso wie die Beute zu den Vorgestrigen. Die Beute hat ihre Absichten dermaßen verraten und ausgelutscht, dass sie Henryk M. Broder das Heft überlassen sollten. Das wäre sicher spannender.

Ich sehe keine Trennung mehr zwischen Kunst und Politik, Politik und Leben, Leben und Kunst. Das gehört ab sofort alles zusammen. Das transformiert sich von selbst. Und wer das behindert oder auf irgendwelche Schutzzonen und Monopoleinrichtungen verweist, ist verloren. Den Haider-Leuten macht man es nur dann leicht, wenn man sie vor sich betrachtet. Haider ist aber viel interessanter, wenn man sich in ihn hineinbewegt.

Phantasie dazu steht übrigens nicht mehr vor uns, sondern Phantasie ist der Bezugspunkt nach hinten. Wir reden von Phantasie und meinen eigentlich nur die unendlichen Möglichkeiten in uns, die wir im Guten wie im Schlechten ungenutzt zurückgelassen haben. Phantasie ist Vergangenheit. Darum sollte man sie nutzen, um zu wissen, was Haider meint, und warum das letzten Endes so tödlich ist.

Ich nehme mal an, es geht Dir um das Medienspektakel. Und das hat ja in der österreichischen Presse schon eingesetzt.

Die besten Projektionsflächen sind die, hinter denen Entscheidungen getroffen werden. Ob das nun oberflächlich spektakuliert oder nicht, ist ganz egal. Bei der Papstwahl ist egal, wer vor der Mauer der sixtinischen Kapelle irgendwas zu glauben sieht. Wahrheit findet im Verborgenen statt. Deshalb ist unserere Aktion eine Projektionsfläche der unendlichen Möglichkeiten. Und genau das wäre die erste Weltausstellung der Freiheit. Wir starren auf die Unfreiheit anderer und sind die ersten, die ausgewiesen werden. Das wäre sicher am interessantesten.