Polit-Justiz in Österreich

Rechts und Ordnung

Nach anfänglichem Zögern gehen Polizei und Justiz in Österreich zunehmend gegen die linke Opposition vor. Vordenkerin der Polit-Justiz ist die FPÖ.

Für gewöhnlich erschaudern österreichische Journalisten, wenn das Telefon läutet und am anderen Ende der Leitung ein höflich-bestimmtes »Grüß' Sie, Böhmdorfer« zu hören ist. Jahrelang war der heutige Justizminister Dieter Böhmdorfer Anwalt des Ex-FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider und als solcher auch mit dem blauen Kreuzzug gegen Österreichs Medien befasst. Wann immer sich Haider von der liberalen Presse angegriffen fühlte, setzte Böhmdorfers Kanzlei Klage-Androhungen ab - und nicht selten war sie damit erfolgreich.

Doch vorige Woche gab sich der freiheitliche Justizminister gegenüber seinen ehemaligen Gegnern recht einfühlsam: Persönlich informierte er die Innenpolitik-Ressorts der wichtigsten österreichischen Medien, dass jetzt gegen den deutschen Regisseur Christoph Schlingensief wegen Verstoßes gegen den Paragrafen 3g ermittelt werde. Bei jenem Paragrafen handelt es sich um eine durchaus ernste Sache - ist es doch der Abschnitt des österreichischen Strafgesetzes, der nationalsozialistische Wiederbetätigung ahndet.

Ins Visier der österreichischen Justiz war Schlingensief geraten, weil er im Rahmen einer Aktion gegen die neue Regierung und deren Asylpolitik ein Transparent an seinen Demo-Container in der Mitte Wiens gehängt hatte, das die Aufschrift »Unsere Ehre heißt Treue« trägt. Die Idee mit dem Spruch der SS hatte Schlingensief, weil einige Tage zuvor ein Parteikollege Böhmdorfers, der niederösterreichische FPÖ-Chef Ernest Windholz, bei einer Ehrung verdienter FPÖ-Mannen den Spruch ebenfalls verwendet hatte.

Während Schlingensief schon einen Tag nach dem Medien-Rundruf des Justizministers Besuch von zwei »sehr freundlichen Herren« (O-Ton Schlingensief) der österreichischen Staatspolizei erhielt, beruft sich FPÖ-Chef Wildholz einfach auf seine Unwissenheit: »Ich habe mich nie für Zeitgeschichte interessiert«, irrlichterte er, um sich damit Ermittlungen vom Leib zu halten. Bisher liegt lediglich eine Sachverhaltsdarstellung der Sicherheitsdirektion aus der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten vor.

Law and Order nach politischem Gutdünken scheint die neue Maxime der rechtsgerichteten österreichischen Bundesregierung zu sein, wenn sie gegen die Opposition vorgeht - was zu Beginn der Proteste gegen die Regierung durchaus anders war. Im Februar, als Wolfgang Schüssel sein Kabinett gerade zusammengestellt hatte und regelmäßig durch unterirdische Gänge an seinen Arbeitsplatz im Bundeskanzleramt gelangen musste, schien sich zwischen Behörden und Demonstranten zumindest ein kritischer Dialog aufzubauen. ÖVP-Innenminister Ernst Strasser galt als liberaler Politiker, der immer wieder betonte, Demonstrationen seien das gute Recht jedes Bürgers.

Trotzdem konnte schon damals jeder ins Fadenkreuz der gewendeten political correctness kommen, der mit den Demonstranten auch nur leise sympathisierte. Selbst dem Wiener Polizei-General Franz Schnabl blieb das nicht erspart: Nachdem der bekennende Sozialdemokrat seine demonstrierende Tochter von einer Protestkundgebung abgeholt hatte, wurde er von einigen Vertretern der regierenden FPÖ zum Objekt einer aggressiven Verleumdungskampagne gemacht.

Auch Schnabls durchaus besonnenes Vorgehen während der großen Anti-Regierungsdemo am 19. Februar und Aussprüche wie: »Viele Menschen haben einfach aus Besorgnis vor einer Polarisierung der Gesellschaft und aus Sorge um die Zukunft Österreichs demonstriert« werden von den neuen Regierenden nicht goutiert. Ein roter Polizei-General in einem schwarz-blau regierten Land darf eben nicht sein.

Schon bei der großen Protest-Demo machte sich der Polizeiapparat oder zumindest ein kleiner Teil davon kurz selbstständig: Vier deutsche Demonstranten wurden von Mitgliedern einer Polizei-Sondereinheit misshandelt und aufgefordert, das Land zu verlassen, weil sie sonst verhaftet würden.

Seitdem hat sich das Klima zwischen Polizei und Demonstranten gewandelt. Am 20. Mai kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Wiener Innenstadt. Damals demonstrierten Autonome gegen Polizeigewalt. Als die Polizisten versuchten, die Demonstranten einzukesseln, endete die Kommando-Aktion in einer veritablen Straßenschlacht.

Auslöser der Demo war eine Polizeiaktion gegen einen als Drogendealer Verdächtigten in der Nacht zuvor gewesen: Der 34jährige Imre B. wurde von einem Polizisten auf der Flucht erschossen - obwohl B. unbewaffnet war und lediglich versucht hatte, den Beamten daran zu hindern, die Autotüre aufzureißen.

Zwei Gründe sind wohl ausschlaggebend für derlei Krisenmanagement nach Django-Art: Erstens scheint das Nervenkostüm der Wiener Polizei nach Dutzenden Demonstrationen schon ordentlich in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Und zweitens wird den Uniformträgern von einigen ihrer Vorgesetzten und besonders von blauen Politikern bedeutet, dass oppositionelle Umtriebe den Rechtsstaat und besonders den rechten Staat untergraben.

Die freiheitliche Polizei-Gewerkschaft AUF fordert nach Angaben der Wiener Stadtzeitung Falter in Flugblättern sogar ein Volksbegehren gegen die Demonstrationen. Grund für die basisdemokratischen Plattitüden der blauen Polizisten: Das »österreichische Rechtssystem« werde von »gewissen linken Kreisen untergraben«.

Das Copyright für diese Argumentation liegt eindeutig beim einfachen FPÖ-Parteimitglied und Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Der hatte schon vor Wochen angeregt, sozialdemokratische und grüne Politiker könnten unter Berufung auf einen obskuren Paragrafen im österreichischen Strafgesetzbuch ins Gefängnis geworfen werden, wenn sie durch ihre Aussagen das Ansehen der Republik schädigten.

Justizminister Böhmdorfer distanzierte sich kaum von dieser Idee. Und der Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich, erkennt in dem Haider-Vorschlag nicht bloß die geniale Idee eines gegen die schlechten Meinungsumfragen für seine Partei verzweifelt ankämpfenden Politikers, sondern ein Grundproblem der österreichischen Gesellschaft seit der Machtübernahme der blau-schwarzen Regierung: »Das zeigt, dass man sich alle schönen Grundsätze und Menschenrechte an den Hut stecken kann, wenn man in großen Teilen der Gesellschaft eine illiberale und intolerante Gesinnung hat.«

Die evangelische Superintendentin des Burgenlands, Gertraud Knoll, musste das am eigenen Leib erfahren: Nach ihrer Rede auf der großen Anti-Regierungsdemo am 19. Februar schossen sich burgenländische FPÖ-Politiker auf die liberale Geistliche ein - und forderten sie zum Rücktritt auf. Wenige Wochen später folgten anonyme Drohungen. Inzwischen hat die Polizei der Prominenten geraten, die Stimmen ihrer Kinder aufzunehmen und Fingerabdrücke von ihnen anfertigen zu lassen: für den Fall einer Entführung.