Ein Besuch auf der Popkomm

Conditio popana

Die Kölner Popkomm bietet das komplette Bestiarium der Musikindustrie auf. Ein Spaziergang über das Gelände in neun Begriffen.

Zuversicht

Die Musikindustrie lebt in Angst. Seit sieben Jahren gehen die Umsätze zurück, und nun gibt es auch noch diese ganzen Online-Unwägbarkeiten. Über deren Chancen lassen sich die Verantwortlichen zwar schon seit Jahren aus, nun scheinen sie aber in Form von Programmen wie Napster und Gnutella, mit denen sich Millionen von Kids umsonst Musik aus dem Netz herunterladen, die gesamte Branche existenziell zu bedrohen. Da ist es an der Zeit, einmal klare Worte zu sprechen. »Ich liebe die Musik, ich liebe die Herausforderung, und ich beneide Sie alle. Sie haben wunderbare Jahre vor sich.« Mit diesen Worten beschloss Thomas Middelhoff, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG und einer der mächtigsten Männer der Medienbranche, seinen Auftaktvortrag zu dem die Popkomm begleitenden Kongress.

Glimmer

»Digitaler Alltag« ist der erste Tag überschrieben. Den Alltag der Popkomm dominieren die Internet-Firmen jetzt schon. Überall stehen Terminals herum, an denen man irgendwie Musik herunterladen kann, sich Informationen dazuholen, gleichzeitig aber auch CDs bestellen und trotzdem den ganzen Rest umsonst bekommen kann. Letztes Jahr gab es all diese Firmen noch nicht, das nächste Jahr werden auch nur die wenigsten erleben. Da wird Venture-Kapital verbraten, dass es eine Freude ist. Und gibt es etwas Popmäßigeres als das Geld anderer Leute aus dem Fenster zu werfen, gut auszusehen, sich im Erfolg zu sonnen und für ein paar Tage begehrt und mächtig zu sein? Gibt es nicht, deshalb strahlen die Internet-Firmen und glimmern. Jede Messe-Hostess von Mitteleuropa, die bereit ist, sich einen Cowboyhut aufzusetzen, scheint nach Köln gebucht worden zu sein. Nackte Mädchen mit bemaltem Oberkörper, Mädchen in Badeanzügen, Mädchen in engen Trikots, mitunter auch einmal ein Junge. Allesamt haben sie die Webadresse ihrer Firma an prominenter Stelle auf dem Körper und laufen durch die Korridore, um Flyer zu verteilen, oder stehen neben den Bildschirmen ihrer Stände.

Szene

Als erstes packt dich die Popkomm, schüttelt dich durch und schlägt dich drei Mal gegen die Wand. Wir brauchen dich nicht. Du bist nichts. Du blickst nichts. Das hier ist zu groß für dich. Du wirst dein Glück nicht finden, denn du bist naiv. Die Popkomm bietet das ganze Bestiarium gegenkultureller Existenzmodelle auf, du kannst ihnen nicht entkommen. Nicht etwa in so simplen Ausführungen wie Raver, HipHopper, Schwermetaller, Punk und Gruftie, sondern in ausschweifender Ausdifferenzierung. Jedes Kleidungsstück, jede Tätowierung, jedes Fußwippen und Kopfnicken, jeder Blick auf einen Stand, jedes Abwägen, ob du dies noch mitnehmen musst oder ob das nicht schon lange abgegessen ist, trägt Bedeutung. Und manchmal, in besonders erschreckenden Momenten, die einen auf die Grundlagen der eigenen Daseinsbedingungen zurückwerfen, einen verwirren und doch klüger entlassen, manchmal läuft dir dein eigenes Modell über den Weg.

Das sind dann die Momente, wo einen die ganze Veranstaltung wieder in sich aufnimmt, nachdem sie einen mit der Zerstörung aller Gewissheiten begrüßt, einen durch die Gänge geschleudert hat, vorbei an allen möglichen Ständen, von Firmen, die man noch nie gesehen hat, die aber hier sind, weil man selbst hier ist, die etwas von einem wollen und von denen man auch etwas will, oder eben nicht, wie die zahllosen Promoter, vor deren Anrufen jeder Journalist in Furcht lebt und die hier zu treffen nicht allzu unwahrscheinlich ist.

Zukunft

Messen handeln von dem, was da kommen wird. Egal, welche Branche, egal, welche Jahreszeit. Die Popkomm ganz besonders. Schließlich ist gerade hier alles in Bewegung. Doch während die Internetfirmen mehr oder weniger stark mit ihrer eigenen Hochstapelei kokettieren, gibt es einen Stand, der es Ernst meint mit der Zukunft. Er ist von Sony.

Es geht um den neuen Walkman. Als der Walkman Anfang der Achtziger auf den Markt kam, wurde er noch - neben der Einführung des Privatfernsehens - als Auftakt zur Umwertung aller Werte und als deutlichstes Zeichen für den nahenden Untergang des Abendlandes angesehen, und nun versteckt sich der Update dieses bahnbrechenden Unterhaltungsindustrie-Gadgets am Rande der Messe neben der Treppe.

Der Walkman hat ein neues Logo verpasst bekommen. Etwa so, als hätte Paul Verhoeven es sich für einen SF-Film entwerfen lassen, der im Jahre 2015 spielt. Dann fällt auf, dass der Stand vor allem aus Computern besteht. Schaut man genauer hin, sieht man den Walkman immer noch nicht - er ist schließlich so klein wie eine Streichholzschachtel. Das liegt am Memorystick, einem kleinen Chip, auf den man die Musik draufladen kann, am besten aus dem Internet. Wer es aber ganz konventionell digital mag, kann auch eine CD benutzen. Weil es ein Chip ist und der nicht abgetastet werden muss, springt die Musik beim Joggen nicht mehr.

Soso, denkt man sich, tritt einen Schritt zurück und bemerkt auf einmal, dass auf großen Fernsehmonitoren ein Werbefilm läuft, der etwa das Budget einer mittleren Hollywood-B-Produktion gehabt haben muss. Der Memorystick und sein Auftritt als Trägermedium für den Walkman ist nur der Auftakt der kompletten Vermemorystickisierung der Welt.

Ein Plattenmanager bekommt Aufnahmen auf Memorysticks zugesandt, er überspielt sie. Auf einem anderen Memorystick hat er das Memo für eine Sitzung. Während der Sitzung bekommt er weitere Memorysticks zugesteckt, und weil der ganze Laden so sehr auf progressive Technik setzt, scheint er besonders gut zu laufen, denn der Manager steigt ins Auto, um ein Gelände zu besichtigen, wo er die neue Firmenzentrale bauen will. Das Navigationssytem ist in seinem Memorystickplayer. Dann steigt er aus und filmt das Gelände mit einer Digitalkamera, die die Aufnahmen auf einem Memorystick speichert. Dann trifft er sich mit seiner Frau, per Memorystick laden sie sich schnell noch Musik aus einer Ladestation, bevor sie zu ihren Eltern fahren, mit denen sie ein Fest feiern, wo zu dieser Musik getanzt wird, während ein Onkel filmt - gespeichert auf einem Memorystick. Diesen Stick schiebt er dann in einen Drucker und Papierausdrucke kommen heraus, die dann in Mahagoni gerahmt an die Wand gehängt werden.

Geschäft

Einer der keine Angst hat, ist Stefan Postel von RealNetworks, die Firma, die den RealPlayer entwickelt hat, ein Programm, das fast jeder nutzt, der sich Musik aus dem Netz herunterlädt. Für ihn ist die Lage klar. Die Konsumenten sind unglücklich darüber, alles umsonst zu bekommen, weil sie lieber für Downloads bezahlen würden als die Künstler zu bestehlen, sie können aber nicht bezahlen, weil das alles noch nicht sicher und schnell genug ist. Die Industrie ist unglücklich, weil die Konsumenten nicht glücklich sind. Aber »es gibt eine Zukunft und Berechtigung der Musikindustrie«. Dann, wenn eine Win-Win-Situation herbeigeführt werde, sprich, wenn man für Downloads bezahlen dürfe. »Die Leute sehnen sich danach zu bezahlen.« Es müssten eindeutige Copyright-Regelungen geschaffen werden, vor allem in Asien und in den ehemals kommunistischen Ländern. Da müsse man eine Vorwärtsstrategie fahren, um die westlichen Vorstellungen von geistigem Eigentum durchzusetzen.

Gender

Die Panels der Popkomm scheinen ein Überrest aus der Zeit zu sein, als die Popkomm noch eine Veranstaltung war, wo sich Leute aus dem so genannten Underground trafen und sich dann auf Diskussionsveranstaltungen über wichtige Themen stritten. Irgendwann kamen diese Leute nur noch als Gäste und nicht mehr als Verantwortliche, doch die Panels blieben. Nun sind sie allesamt schlecht vorbereitet, aber meistens geht es ja ohnehin ums Geschäft und nicht um die großen Fragen der Conditio humana, wie sonst im Pop.

Nur einmal nicht. »Warum können Frauen nicht Gitarre spielen?« - eine Diskussionsveranstaltung darüber, warum Frauen in der Musikindustrie unterrepräsentiert sind, obwohl sich die Branche doch eigentlich in ihrem Selbstverständnis anders gebe als etwa der Werkzeugmaschinenbau. Also, warum können Frauen keine Gitarre spielen? Starring ein Manager von der Majorplattenfirma WEA, eine Musikerin von der Girlband Lemonbabies, der Chefredakteur von Eins Live, noch eine Musikjournalistin und eine Eins Live-Moderatorin.

Die fragt als erstes ihren Chef, warum es bei Eins Live keine Musikredakteurinnen gebe. Der antwortet, das könne er nicht sagen, er wisse nicht, warum er keine Frauen einstelle, aber er glaube, das müsse daran liegen, dass Frauen gar nicht Redakteurinnen werden wollten. Außerdem habe er noch eine Theorie, das könne damit zusammenhängen, dass Frauen ja auch keine Luftgitarre spielen würden.

Ja, sagt die Frau von den Lemonbabies. Das typisch weiblich Instrument sei schließlich auch die Stimme und nicht die Gitarre. Die sei eher Mittel zum Zweck. Schließlich gebe es keine Frau, die so cool Gitarre spielen könne wie ein Mann. Frauen wollen sogar am allerliebsten akustische Gitarren, sagt der Mann von der WEA. Frauen können schließlich auch besser mit Konflikten umgehen als Männer, sagt eine der Musikjournalistinnen.

»Ja«, sagt der Mann von der WEA, »die Musikindustrie schmort in ihrem eigenen Saft und es tauchen immer mehr Gurken auf.« - »Wir sind doch alle Menschen irgendwie und wollen gleich behandelt werden«, sagt die Frau von den Lemonbabies. - »Ich habe was gelernt, was ich vorher noch nicht wusste«, sagt der Mann von der WEA, »Männer und Frauen haben das gleiche Gehirn. Stand in der Welt.« - »Und ich dachte, das wird ein bisschen kontrovers, ich dachte, irgendjemand nimmt hier mal so eine Arschlochposition ein«, sagt die Moderatorin.

Erfolg

Neben anderem handelt Pop von Erfolg. Erst wenn etwas erfolgreich ist, ist es Pop. Ganz platt und unter Umgehung all der ganzen Meta-Ebenen, die in den letzten zwanzig Jahren die Verhältnisse verkompliziert haben und sie damit natürlich auch verschleiern. Zum Beispiel DJ Ötzi und »Anton aus Tirol«. Ösiploitaition. Der ganz harte Stoff. Lederhosen, Technobeats und Sounds von der Alm. DJ Ötzi widmete sich ein Panel - »From skislopes to international superstardom«. DJ Ötzi und wie seine Plattenfirma das Stück dazu gemacht hat, was es ist: Die erfolgreichste Single, die je die österreichischen Charts bespielt hat und die danach auch auf Deutschland übergriff, hier genauso erfolgreich war, dann in Holland und Belgien in die Charts kam und die jetzt auf Englisch auch für Großbritannien vorbereitet wird und irgendwann in den USA auf den Markt kommen soll.

»Österreich hat eine interessante Radiolandschaft«, sagt Christian Seitz von der Pro Sound GmbH, die Firma hinter »Anton aus Tirol«, »es gibt kein Privatradio, sondern nur Ö3, ein Sender, der mit dem Spruch 'Wir machen Hits' wirbt. Der hat die Platte kein einziges Mal gespielt.« Und weil jede Unterstützung fehlte, die Firma aber sicher war, einen Hit produziert zu haben, zogen sie von Disko zu Disko und machten Werbung für die Platte. »Gummistiefeldiskos« nennt Seitz die Läden. Dazu kamen ungezählte Auftritte. In Diskotheken, auf Feiern, in Fußballstadien, während der Pause. Ein Video wurde auch gedreht, doch weil es genauso stumpf war wie das Stück, bekam es ebensowenig Einsätze, wenn die Charts gezeigt wurde, wurde kein Ausschnitt aus dem Clip gezeigt, sondern das Cover der Platte. Es muss glaubwürdig sein, es muss stumpf sein, es muss peinlich sein. »DJ Ötzi singt selber«, sagt Seitz.

Moral

Doch ansonsten regiert die Angst. Alle fühlen sich überflüssig. Ein Panel widmet sich der Frage, ob die Digitalisierung etwa die Promotion überflüssig machen werde. Natürlich mühen sich alle Promoter und Journalisten auf dem Podium zu betonen, dass sie im Gegenteil so viel zu tun haben wie noch nie, und dass keine Rede davon sein könne, dass ihr Job bedroht sei, im Gegenteil, jetzt gehe die qualitativ hochwertige PR erst richtig los. Trotzdem konnte sich einer der Promoter auf die Frage, wann denn die ersten Alben zum Download für Radiosender bereitstünden, die Bemerkung nicht verkneifen, die seien doch heute schon zwei Wochen vor der Veröffentlichung bei Napster zu bekommen. Ansonsten wird aber alles besser. Jeder Künstler bekommt eine Homepage, die regelmäßig aktualisiert wird. Und die Bemusterung wird digitalisiert. Bald werden Dateien verschickt. Ein Punkt, der wiederum für Verunsicherung auf Seiten der Journalisten sorgte. Was, wir bekommen keine CDs mehr zugeschickt - »gilt das auch für den Printbereich?«

Genauso durcheinander sind die A+R-Leute. A+R steht für Artist and Repertoire, wer A+R macht, ist derjenige, der die Künstler entdeckt, betreut, aufbaut. Auch die A+ R-Leute fühlen sich überflüssig. Wenn bald jeder seine Stücke ins Netz stellen kann und sich dort jeder Hörer herunterlädt, was ihm gefällt, braucht sie ja gar keiner mehr. »Es muss eine ganz neue A+R-Kultur entwickelt werden«, sagt Markus Bruns von WEA.

Und die Journalisten - nun ja, Musikjournalisten, die nicht fünfmal im Jahr glauben, den Job wechseln zu müssen, weil sie das Gefühl haben, überflüssig zu sein, gibt es nicht.

Doch für alle derart mit Mühsal Beladenen gab es auch eine Veranstaltung. Das Wort zum Samstag aus dem Munde der größten moralischen Instanz, die das Musikgeschäft zu bieten hat. Henry Rollins, ehemaliger Sänger der Band Black Flag und die personifizierte Integrität, hielt einen Vortrag zum Thema »How to survive in the Music Industry«.

Rollins betritt die Bühne und liest allen die Leviten - irrsinniger Quatsch, aber doch erheiternd. Die Musikindustrie sei in einem miserablen Zustand und sie könne nur überleben - und damit natürlich sämtliche Leute im Publikum -, wenn sie endlich ihren »fuckin' job« machen würde. Also - Manager sollen aufhören, auf den kurzfristigen Erfolg zu achten und dafür lieber langfristig guten Bands eine Chance geben. A+R-Leute sollen endlich höhere Maßstäbe an die Bands anlegen, die sie betreuen und nicht mehr nach dem Aussehen gehen, sondern danach, ob das jetzt die Zukunft des Rock'n'Roll sei. Musiker sollten endlich aufhören zu glauben, es käme darauf an, berühmt zu werden und viel Geld zu verdienen. Sie sollten endlich in Proberäume gehen und so lange üben, bis sie spielen können. Und Journalisten, nun ja, die sollten nur noch schreiben, wenn sie auch wirklich Ahnung haben. Stehende Ovationen.

Pop

Bei Pop geht es um Musik. Zwar gibt es Leute, die behaupten, jetzt sei irgendwie alles Pop - Politik und Kunst und Literatur -, aber das ist Unfug. Pop ist Popmusik. Und sonst nichts. Außer Internet, das ist seit neuestem auch ein bisschen Pop, aber erst seit man Musik aus dem Netz herunterladen kann. Und wenn die ganze Napster-Hysterie ausgestanden ist, wenn sich bestimmte Standards durchgesetzt haben werden, wenn man herunterladen kann, was man haben will und die ganzen Gelder nicht mehr in Firmen fließen, die einen Punkt in ihrem Namen haben und die in dieser Saison ihr Geld für riesige Popkomm-Stände verpulvern, dann wird Pop wieder Popmusik sein. Und die ganzen Computerheinis werden wieder so langweilig sein wie vorher. Nächstes Jahr etwa.