Referendum in der Schweiz

82 Prozent Schweizer

In der Schweiz will eine Volksinitiative den Anteil der Ausländer begrenzen.

In den schicken Restaurants am Zürcher See sind sie ebenso unentbehrlich wie in den teuren Hotels von Davos oder Genf. Wie kaum ein anderes Land in Europa ist die Schweiz auf ausländische Saison- und Facharbeiter angewiesen. Ohne sie würde die Wirtschaft des Landes in kurzer Zeit zusammenbrechen. Dennoch gibt es immer wieder Versuche, den Anteil der Ausländer zu begrenzen.

Am 24. September ist es wieder so weit. An diesem Tag will die von einem überparteilichen Komitee getragene Initiative »Für eine Regelung der Zuwanderung« in einer Abstimmung den Ausländeranteil auf 18 Prozent beschränken. Die Initiative setzt dabei auf eine Zweiklassen-Migration. Einerseits soll mit ihr eine »Migrations-Elite« geschaffen werden. Qualifizierte Wissenschaftler, Spitzensportler oder Künstler sollen nicht mehr als »Ausländer« gelten. Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge, die sich seit mehr als einem Jahr in der Schweiz aufhalten, würden hingegen unter die 18 Prozent-Quote fallen. Die Initiatoren wollen damit schnellere Ausweisungen durchsetzen und zudem die »Zwangsmaßnahmen im Ausländerrecht« verschärfen. Durch die willkürliche Quote würde faktisch in vielen Fällen die Familien-Zusammenführung unmöglich.

Im Parlament wurde die Initiative verworfen, Anhänger fand das Begehren bislang nur bei der extremen Rechten wie den Schweizer Demokraten und der Freiheitspartei.

Um so dankbarer ist der kleine Kreis um den Aargauer FDP-Großrat und Initiator des 18-Prozent-Begehrens, Philipp Müller, für prominente Schützenhilfe aus dem Nachbarland. Gerne verweist die »Überfremdungsinitiative« auf den deutschen Innenminister Otto Schily. »Wir sind alle der Meinung, dass die Zuwanderung begrenzt werden muss«, hatte Schily kurz nach seinem Amtsantritt erklärt.

Ein sozialdemokratisches Regierungsmitglied, dem bereits ein Ausländer-Anteil von 9,1 Prozent zuviel ist, bietet für die Initiatoren der Schweizer Volksinitiative eine ideale Referenz. Schließlich sei der durchschnittliche Ausländer-Anteil in der Schweiz mehr als dreimal so hoch wie in der Europäischen Union. Dass dieser Vergleich wegen der restriktiven helvetischen Einbürgerungspolitik hinkt, wird dabei geflissentlich verschwiegen.

Das falsche Spiel mit den Zahlen ist das bevorzugte Terrain des Zahlenfetischisten Müller: »Überfremdung« und »Identitätsverlust« werden bei ihm zu scheinbar notwendigen Folgen einer statistischen Entwicklung. Um Rassismus-Vorwürfen zu entgegnen, schlägt Müller scheinheilig vor, gleichzeitig mit der Einwanderungsbegrenzung die Integration der bereits in der Schweiz lebenden Ausländern zu fördern.

Eindeutiger tritt da der Zentralsekretär der Schweizer Demokraten, Rudolf Keller, auf. Mit dem Slogan »Einwanderungsbegrenzung - ein Menschenrecht« preist er die Initiative als probates Mittel gegen »Ausländerghettos«. Dort werde der Drogenhandel organisiert und an den Schulen, in denen die »Einwanderer in der Mehrzahl« seien, herrsche ein »alltäglicher Terror«.

Solche Dinge hört die Basis der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gern. Umfragen zeigen, dass die SVP-Basis der Initiative mehrheitlich zustimmt, obwohl die Parteispitze die Volksabstimmung nicht unterstützt: Rudolf Blochers Züricher Parteiflügel hat bereits Anfang Juli die Nein-Parole beschlossen, und auch der Zentralvorstand lehnt die Initiative ab - der Parteipräsident Ueli Maurer sitzt sogar im bürgerlichen Gegenkomitee »Nein zur starren 18-Prozent-Initiative«.

Für die neoliberalen Standort-Nationalisten der SVP ist die Gefahr zu groß, sich mit dieser Initiative einen Wettbewerbsnachteil auf dem internationalen Arbeitsmarkt einzuhandeln. Für sie ist das feinmaschige Netz der rechtspopulistischen »Psychopolitik der Angst«, an dem sie normalerweise kräftig selbst mitstricken, dort zu wenig durchlässig, wo mit Ausländern potenzielle Gewinne winken.

Um diesem Kurs des maximalen Nutzenkalküls zu folgen, fehlen der Parteibasis schlicht die spezifischen ökonomischen Interessen. So erstaunt es kaum, dass die Delegierten-Versammlung der SVP Schweiz an der Parteispitze vorbei mit großer Mehrheit der Ja-Parole zustimmte. Blocher, der bezeichnenderweise die Teilnahme an einer Aktionärsversammlung dem Parteitreffen vorzog, meinte gegenüber dem Züricher Tages-Anzeiger, der Entscheid der Delegierten sei Ausdruck eines Aufbegehrens »gegen die verfehlte Ausländerpolitik des Parlaments und des Bundesrates«. Dies sei zwar verständlich, doch Probleme wie illegale Einwanderung und Asylrechtsmissbrauch ließen sich eben nicht mit einer Quote lösen.

Das Paradox seines neoliberalen Nationalismus möchte er offenbar fürs erste einmal ruhen lassen. Die Schweizer Wirtschaftsverbände verteidigen hingegen offensiv die »volkswirtschaftliche Unverzichtbarkeit von Ausländern« und bezeichnen die Initiative als »Eigengoal«.

Wie Blocher stören auch sie sich an der starren Ausländerquote. Der drohende Nachteil im globalen Standort-Wettbewerb ließ Wirtschaftsminister Pascal Couchepin sogar von einer »unpatriotischen Initiative« sprechen. Denn auch die Bundesregierung ist alles andere als glücklich über das Volksbegehren. So sieht Justizministerin Ruth Metzler die »humanitäre Tradition« der Schweiz in Gefahr. Und der Bundesrat warnt davor, die bilateralen Verträge mit der EU durch die Initiative in Frage zu stellen.

Nicht alle Gegner des Volksbegehrens wollen diesen Argumenten folgen. Die bürgerliche Kritik ist für die Sekretärin von Solidarité sans frontières, Anni Lanz, weniger ein Zeichen von Toleranz, sondern selbst Ausdruck einer »bornierten Herr-im-Haus-Mentalität«. Sie bilde den nationalistischen Hintergrund, auf dem die »Angst vor Ausländern« und der »Profit aus Ausländern« gegeneinander ausgespielt würden.

Angetreten mit dem Ziel, nicht nur die Initiative, sondern auch die Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz zu bekämpfen, verfügt die Kampagne des breiten linken Aktionskomitees »Appell für eine tolerante Schweiz« über wenig politische Prägnanz. Allgemeine Postulate wie »Offenheit bereichert« oder »Toleranz macht stark« überzeugen wenig; vom bürgerlichen Gegendiskurs über die »nützlichen Ausländer« setzen sie sich kaum ab.

So wird es schwierig, die ethischen Appelle mit einer weiterführenden politischen Strategie zu verbinden. Eine eigene Kampagne hat das Schweizerische Arbeiterhilfswerk lanciert. Unter dem Slogan »Schießt die 18-Prozent-Initiative zum Mond!« steht das Hilfswerk »Für Integration. Gegen Apartheid« ein. Symbolisch soll in der Nacht vor der Abstimmung in Zürich eine Rakete abgefeuert werden.

Doch auch wenn die Initiative abgelehnt werden sollte, worauf alle Umfragen hinweisen, gibt es für die Linke keinen Grund zu feiern. Die Forderungen der Initiative werden vermutlich dennoch Wirkung zeigen. Seit Ende der sechziger Jahre gab es bereits sieben Versuche, den Anteil der Ausländer in der Schweiz radikal zu begrenzen. Doch auch wenn bisher alle »Überfremdungsinitiativen« gescheitert sind, floss ihr Gedankengut stets in die Gesetzgebung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) ein.

Nicht anders ist es dieses Mal: Bereits am 5. Juli präsentierte das EJPD einen Entwurf für ein neues Ausländergesetz »als Antwort auf die 18-Prozent-Initiative«. Der Entwurf zielt grundsätzlich in dieselbe Richtung: Repression und Ausgrenzung von »nicht nützlichen Ausländern«. Nur ohne starre Quoten.