Der Hobbykoch von Eschborn

Die edelste Tugend? »Ehrlichkeit.« Seine größte Schwäche? »Ungeduld« - die steile Polit-Karriere eines deutschen Biedermannes.

Warum stammen eigentlich so viele der übelsten Figuren in der Geschichte der CDU ausgerechnet aus dem kleinen Bundesland Hessen? Zwar wurde auch das ebenso kleine Schleswig-Holstein mit Barschel und Stoltenberg schon zweimal auffällig und Niedersachsen ließ sich jahrelang von Ernst Albrecht regieren, Hessen aber gebar Dregger, Wallmann, Kanther, Koch.

Mit den Hessen und der deutschen Politik verhält es sich ähnlich wie mit den Iren und der Weltliteratur: So wenige produzieren so viel, und man wünscht sich, in den kommenden zweihundert Jahren möglichst nichts mehr von ihnen zu hören.

Dieser vorläufig letzte Roland Koch unterscheidet sich von hundert anderen Politikern, deren Biographien im Munzinger-Archiv versammelt sind, allein durch seine besondere Strebsamkeit.

Jawohl, auch er trat seiner Partei in einem Alter bei, in dem normale Menschen sich um den ersten Sexualpartner bemühen. Nach dem Abitur und dem Grundwehrdienst studierte auch er Jura an der seinem Geburtsort nächstgelegenen Universität, damit Mutti weiterhin die Wäsche machen konnte. Auch er gründete eine Anwaltskanzlei in Sichtweite seines Elternhauses, und spätestens als er im Kreistag saß, weckte auch dieses knospende politische Talent die Aufmerksamkeit der höheren Ortsamtierenden.

Landtagsmandat, Ministeramt respektive Fraktionsvorsitz waren fortan auch für ihn kaum noch zu vermeiden. Auch er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Auch er schrieb drei überflüssige Bücher, die niemand liest: »Vision 21« heißen sie, »Chancengesellschaft« und »Aktive Bürgergesellschaft«. Darauf hatte die Welt gewartet, aber auch darauf musste erst einmal jemand kommen.

Es ist nicht sein grausiges Spießertum, das ihn unter hundert Bewerbern um die Nachfolge Dreggers und Kanthers auszeichnete. Wer hinter dieser geschmackvollen Brille nicht für fünf Pfennig Geist oder Humor erwartet, wird von Kochs präsidialer Internetseite belehrt: »Im überfüllten Presseclub steht der Ministerpräsident Rede und Antwort. Zwischendrin ein Missgeschick: das Auto der Personenschützer rollt plötzlich von alleine los, der Fahrer traut seinen Augen nicht, spurtet los und erwischt die Bremse gerade noch so - als das Ereignis Koch berichtet wird, amüsiert sich dieser sehr darüber.« Was seine Freunde an ihm besonders schätzen, fragt ihn der obligate Fragebogen, und Roland Koch antwortet: »humorvolle Ernsthaftigkeit«. Auf die Frage nach seiner ärgsten Schwäche antwortet Koch, der »Ehrlichkeit« für die edelste Tugend hält, nicht etwa: dass ich so eine Riesenarschgeige bin. Sondern: »Ungeduld«.

Die Familie gewährt das höchste Glück, die Gattin muss er gelegentlich um Vergebung bitten, weil sein Amt dem Paar so wenig gemeinsame Muße gönnt, manchmal säuft er - sein schlimmstes Laster - trockenen Rotwein, aber gewiss nicht mehr als ein, zwei Gläser. Und wenn er eine Million im Lotto gewönne, was würde er tun? »Mit meiner Familie eine Reise nach Neuseeland unternehmen und den Rest sparen.« Welchen Beruf würde er am liebsten ausüben, wäre er nicht Ministerpräsident? Zuhälter? Direktor einer texanischen Strafanstalt? Oder möchte er ein Clown sein? Du ahnst es nicht: »Chirurg«.

Und der schönste Tag in seinem Leben? Beinahe wäre es aus ihm herausgeplappert, doch Roland Koch besann sich und versöhnte Ehrlichkeit und Karrieregeilheit auf Kosten der Logik: »Gott sei Dank gab es schon viel mehr als einen.« Und so fort. Wem schuldet er ewige Dankbarkeit? »Meinen Eltern.« Was denn wohl die politische Karriere vom Menschen Koch übriglasse, fragt sich die Zeit. Das Munzinger-Archiv gibt die Antwort: »Koch ist in seiner Freizeit Hobbykoch.«

Der Mann ist also jederzeit mit sich selbst identisch. Kann so etwas möglich sein? Hat nicht auch diese Seele irgendwo einen winzigen Sprung? Ist er nicht vielleicht doch manchmal in seiner Freizeit, wenn Frau und Kinder die Schwiegereltern besuchen, in Eschborn/Taunus der Hobbygöring?

An der Ehrlichkeit Kochs mag man zweifeln, nicht aber an seiner Geschwindigkeit. Innerhalb von Sekunden schnellte er aus jedem Amt ins nächsthöhere empor. Im Alter von 14 Jahren gründete er eine Ortsgruppe der Jungen Union. Sein Studium absolvierte er »in der kürzest zulässigen Zeit« (Roland Koch Online). Mit 19 Jahren saß er im Stadtparlament. Mit 21 war er bereits Vorsitzender der Erwachsenen-CDU im Main-Taunus-Kreis.

Mit 25 heiratete er Anke Schoel. Mit 29 wurde er erstmals in den hessischen Landtag gewählt. »Er engagierte sich aktiv in Menschenrechtsfragen, als er den Dalai Lama zum Missfallen des Bundes als erster« in ein deutsches Parlament einlud. Mit 32 war Koch Vorsitzender seiner Landtagsfraktion, mit 39 Landesvorsitzender der CDU. Mit süßen 41 stieg er zum hessischen Ministerpräsidenten auf. Das traurige Ende des 43jährigen Barschel schreckte ihn nicht.

Nun randaliert Koch an der rechten Seitenlinie der CDU. Den Stimmenzuwachs von fast zehn Prozentpunkten, der ihn ins Amt hievte, verdankt Koch einer ausländerfeindlichen Unterschiftenkampagne, die von ihm natürlich nicht so gemeint war, von seinen Wählern aber genauso verstanden wurde. Zur vollständigen Abschaffung des Asylrechts ist Koch jederzeit bereit. Solange sich dafür keine Mehrheit findet, müsse wenigstens das Asylbewerberleistungsgesetz »überarbeitet werden: Wir wollen, dass Asylbewerber während der gesamten Dauer des Verfahrens nur eingeschränkte Sozialleistungen erhalten.«

Im antifaschistischen Sommer stand Koch, selbst eine Gesinnungsglatze, treu zu Deutschland: »Unser Land ist kein rechtsradikales Land. Es gibt ein paar hundert Verwirrte, die leider die Schlagzeilen bestimmen. aber die Republik wankt nicht. Ich halte auch nichts davon, jeden Tag eine Krisenkonferenz abzuhalten.« Hundert Tote? Halb so wild.

Als mit dem Finanzskandal das Erbe seines Vorgängers Kanther über ihn kam, gelobte Koch »brutalstmögliche Aufklärung«. Die Lüge, bei der er sich ertappen ließ, nannte er einen »Fehler«. Fehler machen wir alle, und mancher Fehler, wenn man sich zu ihm bekennt, vergrößert die Glaubwürdigkeit. Der eine Generalsekretär und der andere Leiter der Staatskanzlei wurde entlassen, für den Ministerpräsidenten gab es nie einen Rücktrittsgrund. Als die Opposition das Wahlprüfungsgericht anrief, damit es sich mit der dubiosen Finanzierung des CDU-Wahlkampfes beschäftige, fiel Koch plötzlich ein, dieses Gericht kenne ja gar keine Berufungsinstanz. Ob das denn wohl verfassungskonform sei, müsse doch erst einmal, aber tunlichst nicht vorm Ende der Legislaturperiode, untersucht werden.

Immer wieder baut Koch sich vor einigen Dutzend Journalisten auf und sagt die Unwahrheit. Sie wissen, dass er lügt, und er weiß, dass sie es wissen. Um seine Selbstachtung braucht man sich dabei nicht zu sorgen. Denn einer wie er würde doch im Traum nicht dem bisschen Selbst eine so große Karriere opfern.

Noch immer gilt er als kommender Mann der CDU. Viele halten ihn für den brandheißen Favoriten im Rennen um die Kanzlerkandidatur. Wenn er diese Krise denn übersteht. Als aber herauskam, dass unter seinem Vorsitz ein Kassenbuch der hessischen CDU gefälscht worden war, forderte selbst die FAZ, die bisher fest entschlossen schien, ihm die brutalstmögliche Aufklärung zu glauben, seinen Kopf. Oder ersatzweise irgend etwas anderes: »Wenn der Begriff der politischen Verantwortung überhaupt einen Sinn haben soll, hätte der Vorsitzende zumindest aus jenen Verfehlungen die Konsequenzen ziehen müssen, die in seine Amtszeit fielen. Als Ministerpräsident hätte er deshalb nicht zurücktreten müssen.« Sondern als Schirmherr der Heppenheimer Festspiele.