Marco Beltrami vom Centro Sociale in Imperia

»Die linke Jugendkultur ist stärker als die rechte«

Sucht man in Italien nach Linken, die noch auf der Straße aktiv sind, stößt man schnell auf die Centri Sociali. Vor zehn Jahren besetzten auch im ligurischen Imperia Jugendliche ein Haus und gründeten das autonome Zentrum »la talpa e l'orologio« (»Der Maulwurf und die Uhr«). Bis heute dabei ist Marco Beltrami.

Wie ist das Centro Sociale »la talpa e l'orologio« entstanden?

Die erste Besetzung fand 1990 statt. Nach drei Räumungen verschiedener Gebäude wurden wir schließlich in Ruhe gelassen. Am Anfang waren wir eine Gruppe Jugendlicher, die einen Ort brauchte, um Konzerte zu organisieren. Wir dachten nicht im Geringsten daran, Politik auf überregionaler Ebene zu machen.

Wie sieht der Alltag hier im Zentrum aus?

Wir organisieren Konzerte, Feste, machen die Kneipe. Schüler aus Imperia veranstalten jedes Jahr einen Markt für Schulbücher. In den letzten Jahren haben wir uns viel mit den Problemen der Biotechnologie beschäftigt. Zudem haben wir eine Art Kooperative für biologische Lebensmittel aufgebaut. Schließlich leben in dieser Gegend viele Bauern, die auf eine natürliche Landwirtschaft umgesattelt haben. Einmal die Woche veranstalten wir im Haus einen Markt für diese Produkte. Drei Jahre lang haben zudem 30 Immigranten aus Tunesien im Haus gewohnt.

Seit wann spielen die Centri Sociali in Italien eine Rolle?

Zwischen Mitte der achtziger und Mitte der neunziger Jahre gab es eine sprunghafte Zunahme der Centri Sociali. Und ihre Zahl nimmt noch immer zu. Heute gibt es bestimmt 200 solcher Zentren. Sie entsprechen den Bedürfnissen der Aktivisten in den Regionen und folgen verschiedenen Modellen. Deshalb haben sie nicht immer etwas miteinander zu tun.

Kontakte zwischen einzelnen Zentren bestehen aber trotzdem?

Ja, vor vier Jahren haben sich die ältesten Centri Sociali zusammengeschlossen. Dazu gehören das Leoncavallo in Mailand, einige Centri Sociali in Rom, in Ligurien und Venetien. Wir haben dieses relativ lose Netzwerk Carta di Milano genannt, einfach, weil wir uns in Mailand getroffen haben. Zum ersten Mal präsentierten sich die Centri Sociali damit als ein gemeinsames politisches Subjekt.

Es ist aber nicht gelungen, alle Zentren zusammen zu bringen. Die Notwendigkeit, Politik in einem weiteren Feld als der eigenen unmittelbaren Umgebung zu machen, spürt man nicht immer sofort. Zudem gibt es orthodoxere Centri Sociali, deren Aktivisten sich eher als Autonome betrachten. Die Centri Sociali in Turin zum Beispiel. Die verhalten sich uns gegenüber ziemlich feindselig. Und dann gibt es auch noch die Squatter. Sie besetzen einfach Häuser, ohne dass dahinter ein politisches Ziel steckt.

Welche Rolle spielen denn die Centri Sociali in der Linken Italiens?

In diesem Sommer gab es in Italien drei große Mobilisierungen: gegen die OSZE-Versammlung in Bologna, gegen die Balkankonferenz in Ancona und die Biotechnologie-Messe in Genua. Die Centri Sociali beteiligten sich mit verschiedenen Formen des zivilen Ungehorsams an diesen Aktionen.

Immerhin: Mit einer spektakulären Aktion habt Ihr Euch im Frühjahr gegen die Übergangslager für Flüchtlinge eingesetzt ...

... ja, damals durfte niemand, auch keine Journalisten, die Lager betreten. Wir haben dann landesweit Demonstrationen organisiert. In Mailand waren wir 500 Leute und hatten ungefähr 500 Polizisten vor uns. Da wir nicht mit Stöcken gegen Stöcke vorgehen wollten, haben wir diese Technik mit den Autoreifen entwickelt: Wir stülpten uns aufgeblasene Reifen über und banden diese aneinander. So konnten wir die Polizisten vor uns herschieben. Sie haben gegen die Reifen geprügelt und konnten uns nicht aufhalten. Die Aktion war ein großer Erfolg: Letztlich durften Fernsehsender in dem Lager filmen. Am nächsten Tag wurde das Lager geschlossen.

Hat sich die Methode mit den Autoreifen als Demonstrationstechnik durchgesetzt?

Als die Beamten festgestellt haben, dass wir mit den Reifen überall hinkommen, reagierten sie mit einer Drohung: Wenn ihr mit den »gommoni« auf die Straße geht, verwenden wir Panzerwagen. Daher haben wir die Schildkröten-Methode von der Polizei übernommen, mit einer Reihe von Schilden vor und einer über uns. So haben wir alle drei Zufahrtsstraßen zum Zentrum der Stadt blockiert.

Überall in Europa mobilisieren linke Gruppen zu Aktionen gegen das geplante IWF-Treffen Ende September in Prag. Wie sieht es mit den Vorbereitungen in Italien aus?

Wir organisieren einen Global Action Express-Zug nach Prag. Mit der italienischen Regierung haben wir ausgehandelt, dass ein Zug zur Verfügung gestellt wird, mit dem man für 50 000 Lire zu den Aktionen reisen kann. Der Deal wurde möglich, weil wir vor zwei Jahren mit 5 000 Leuten einen Zug besetzt haben und damit durch halb Europa gefahren sind, um zu den Protestaktionen gegen den EU-Gipfel in Amsterdam zu gelangen.

Von der Stadtverwaltung wird »La talpa« inzwischen in Ruhe gelassen. Habt Ihr Probleme mit Nazis?

Nein, die Naziskin-Szene in Italien ist sehr klein. Allerdings gibt es viele rechte Gruppierungen, die immer mehr Zulauf finden und sich vor allem gegen die Migration wenden. Gefährlich erscheint mir die Forza nuova, die erst vor ein paar Jahren und mit viel Geld gegründet wurde, sich aber immer weiter über ganz Italien ausbreitet. Forza nuova gelingt es, Naziskins, alte Faschisten, die sich in der Alleanza nazionale nicht mehr zu Hause fühlen, und den katholischen antimodernistischen Integralismus zu vereinen. Mit den Katholiken stimmen die Faschisten in Fragen wie Abtreibung und Homosexualität überein.

Kann man denn von einer rechten Hegemonie unter den Jugendlichen sprechen, wie sie beispielsweise im Osten Deutschlands existiert?

Um die Jugendlichen zu erreichen, versucht die Rechte, sich in den Fußballstadien stark zu machen. Mit Erfolg: Dort hat sich faschistisches Denken einigermaßen festgesetzt. Doch die linke Jugendkultur ist stärker, schon rein zahlenmäßig. Selbst in den rechten Hochburgen im Norden, wie etwa in Verona, gibt es mehr linke als rechte Jugendliche. Natürlich infiltrieren Rechte die Jugendkultur, aber das ist kaum mit den deutschen Dimensionen vergleichbar.

Und wie sieht es in Imperia aus?

Imperia war schon immer eine konservative Stadt. Als sich die Christdemokratische Partei Anfang der neunziger Jahre auflöste, wechselte die Partei in der Stadt einfach den Namen. Von einem Tag auf den anderen hieß sie plötzlich Forza Italia. Und die hat hier 45 Prozent der Stimmen, genauso wie früher die Democrazia cristiana.

In Ligurien dominiert die Landwirtschaft, die Industrie konzentriert sich in Genua. Gibt es dennoch eine Arbeiterbewegung in der Region?

Tatsächlich gibt es einen enormen Gegensatz zwischen den ligurischen Provinzen und Genua. Genua war immer eine der wichtigsten Industriestädte. Die dortige Arbeiterbewegung war derartig stark, dass sie beispielsweise 1960 die nationale Regierung stürzte. Die christdemokratische Tambroni-Regierung hatte damals eine öffentliche Versammlung der Faschisten in Genua erlaubt. Die Arbeiter gingen auf die Straße. Ehemalige Partisanen nahmen sogar ihre Gewehre mit.

Wie war diese Arbeiterbewegung organisiert? Gibt es Comitati di base, also Basiskomitees außerhalb der offiziellen Gewerkschaften?

In Genua konnte die Kommunistische Partei bei Wahlen regelmäßig mit sehr hohen Prozentzahlen rechnen. Doch zugleich hat die KP die Stadt gegenüber Bewegungen verschlossen, die sich außerhalb ihrer Tradition verstanden. Deshalb findet man hier keine Cobas, keine Comitati di base. Allerdings ist der linke Flügel in den Gewerkschaften sehr radikal. Mit dem sind wir auch verbunden.

Im Rest Liguriens ist die Situation ganz anders: Hier spielen vor allem der Tourismus, die Landwirtschaft und der Handel eine Rolle. Entsprechend haben hier immer die konservativen Kräfte vorgeherrscht. Die Linke profitierte von der Immigration aus Süditalien. In Ventimiglia und San Remo gibt es eine lange Tradition von Arbeitsimmigranten aus Kalabrien, die dort an den Kämpfen der Bauern teilgenommen hatten und diese Tradition mitbrachten.