»Die Stille nach dem Schuss«

Es ist vorbei, bye, bye

Volker Schlöndorff nimmt die RAF-Geschichte locker. »Die Stille nach dem Schuss« bewährt sich als deutsche Komödie.

Widerstand heißt Angriff: Von den Siebzigern bis in die Neunziger existierte die Rote Armee Fraktion (RAF) und ein paar weitere linke Gruppen, die sich dem Kampf in den deutschen Metropolen verschrieben hatten. Weil das kapitalistische System unter Führung der USA für Mord und Ausbeutung in der Peripherie stand - so die Theorie der modernen Guerilla -, musste der linke bewaffnete Widerstand in dessen Zentren aktiv werden. Die Aktionen der RAF veränderten das Klima des Landes, es gab Tote.

Auf Banküberfälle, Entführungen und Exekutionen von Geiseln reagierte der Staat so, wie es sich heute mancher angesichts rechter Schläger wünscht. Die Polizei war rund um die Uhr im Einsatz, pausenlos wurden Urlauber auf der Autobahn kontrolliert, MG im Anschlag. Das Bundeskriminalamt bekam in kurzer Zeit einen um ein Vielfaches erhöhten Etat bewilligt (von 16 auf 200 Millionen Mark), überall fanden sich Spuren der neuen Alltagskultur: An jeder Ecke hingen Fahndungsplakate, Schüler malten sich das RAF-Symbol aufs Schulmäppchen und kannten die Namen der Gesuchten auswendig. Wissenschaftler schrieben etliche Seiten zum Thema Terrorismus voll, auf denen allesamt dasselbe stand: Terrorismus soll man besser sein lassen.

Sicherheitskräfte äußerten hinter vorgehaltener Hand immer wieder Bewunderung für den militärischen Aspekt des Unternehmens RAF, so in Bezug auf das Attentat auf den Bankier Alfred Herrhausen oder den Sprengstoff-Anschlag auf einen Sendemast des BKA in Heimerzheim bei Bonn. Wer wann wo aber was gemacht hatte, darüber gab es mehrere Versionen. Schließlich glaubten nicht wenige, der Verfassungsschutz habe die roten Kämpfer unterwandert. Dazu kamen obskure Sondergesetze und die offizielle Informationspolitik - ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Bei der Festnahme eines RAF-Mitglieds soll sich der Protagonist, obwohl schon schwer getroffen, im Sturz auf ein Eisenbahngleis einen Kopfschuss verpasst haben, nicht vorher und nicht nachher! Schöne Grüße vom Fitnessclub. In Parteien organisierte Kommunisten konnten am militanten Vorpreschen der RAF keinen Geschmack finden; Lenin habe den individuellen Terror ohne Massenpartei abgelehnt. Die Biografien der Beteiligten in der RAF sind so unterschiedlich, dass sie sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen lassen; doch zunächst wurden sie im offiziellen Meinungsbild vor allem als »Studenten« (in jenen Jahren ein Schimpfwort) identifiziert.

Wenn sich Leute mit ultraradikalen Ansichten anschicken, diese auch umzusetzen, sind die Kameras nicht weit. Da müssen die verwirrenden politischen Verhältnisse natürlich ein bisschen reduziert werden, sonst wird's dem Zuschauer langweilig. Weil einige Mitglieder selbst beim Film waren - wie Holger Meins -, identifizierte mancher Regisseur das radikale Leben mit dem radikalen Film.

Heute könnte man sagen, dass die Entwicklung dieser Leute zum Kriegerischen hin der Biografie eines durchschnittlichen Bundestagsabgeordneten gleicht. Man denke an Otto Schily. In der Verfilmung von Stefan Austs Buch »Stammheim« sagt Schily: »Vielleicht ist es notwendig, an die Bilder zu erinnern, die hier über das Fernsehen gegangen sind« - und meinte im Jahre 1976 den Vietnamkrieg. Dass 23 Jahre später die Bundesregierung ihren Jugoslawien-Feldzug ebenfalls mit Verweis auf »die Bilder« begründet - na bitte. Krieg und Bild liegen nah beieinander. Die Geschichte muss ins Bild gesetzt werden, sonst haben wir ja nichts davon. Dafür gibt es ausgewiesene Spezialisten wie Volker Schlöndorff (»Die Blechtrommel«).

Angenommen, man möchte heute einem durchschnittlichen 15jährigen erklären, was die Rote Armee Fraktion war, hier ein Vorschlag: Andi (3) hat beschlossen, nie erwachsen zu werden. Statt dessen haut er mächtig auf die Pauke und kann sogar das (Panzer-) Glas in einer deutschen Bank zersingen! So oder so ähnlich muss der Ansatz gewesen sein zu Schlöndorffs Film »Die Stille nach dem Schuss«. Unter dem Motto »Alles ist so gewesen. Nichts ist genauso gewesen« haben sich der Regisseur und sein Drehbuchautor Wolfgang Kohlhasse die Lebensläufe derjenigen RAF-Mitglieder zur Brust genommen, die ihre aktive Karriere nicht im Westknast oder im Kugelhagel beendeten, sondern, wie Inge Viett, bis 1989 undercover in der DDR ein so genanntes normales Leben führten.

In Plattenbau und VEB und im Sommer nackend an der Ostsee. Das geht so: »Eigentum ist Diebstahl! Nieder mit dem Kapitalismus!« rufen das Terroristenliebchen Rita (Bibiana Beglau) und ihre Freunde, denn sie überfallen gerade eine Bank. Mit gemischtem Erfolg. Andi muss in den Bunker. Aber gemeinsam mit Klatte holen sie ihn wieder raus! Nach einer Gefangenenbefreiung, zwei, drei Toten und einer wilden Flucht, die sie an die zweitschönsten Plätze der Welt bringt, landen sie in Paris. Rita legt einen Polizisten um. Sie hauen alle nach Ostberlin ab, wo sie von der Stasi nett empfangen werden. Wer will, darf zu den Kanonenbrüdern im Nahen Osten, kann aber auch in der DDR ein Zuhause finden.

Der fürsorgliche MfS-Kollege Hull (Martin Wuttke) kann alles einrichten, die Biografie und die Wohnung. Rita entscheidet sich für das Leben im demokratischen Sozialismus. Sie geht im VEB schuften, findet Plattenbauten gut und hält flammende Reden aufs Kollektivleben. Warum jemand aus der DDR in den Westen abhaut, bleibt ihr ein Rätsel. Als nach der Erschießung ihres früheren Freundes ihr Fahndungsfoto über den Bildschirm flackert, tut eine weitere Veränderung Not. Aus Angst, sie könne erkannt werden, verpasst ihr Hull einen neuen Lebenslauf und eine neue Fabrik. Im Sommer lernt sie die Ostsee und einen netten Studenten kennen, will heiraten, Kinder und und und.

Das Aufbegehren bringt nichts ein, lässt uns Schlöndorff wissen, ansonsten würde Rita am Schluss nicht umgelegt. Von einem Vopo und durch die angeblich letzte MP-Salve, die in der DDR abgefeuert wurde - jedoch bereits im Auftrag des Westens, der der abtrünnigen Radikalinskis habhaft werden will. Der Schluss ist dramaturgisch zutiefst sinnvoll: Hätte sich ein Regiesseur ein besseres Filmende ausdenken können als den Tod? Siehe da, eine Reminiszenz ans Erzählkino. Ein Schuss Tragik und ein Schluss, nach dem nicht Stille herrscht, sondern nach dem die Zuschauer hinausgehen und denken: »Och, schade«, weil die Rita doch eine junge schöne Frau ist. Alles ist so gewesen. Nichts ist genauso gewesen. Das Schlussbild. »Thelma und Louise« hat übrigens denselben Schluss und wohl 80 Prozent aller Werke der Filmgeschichte auch.

Auf der Berlinale ist »Die Stille nach dem Schuss« das erste Mal in Deutschland gelaufen, und die Kommentatoren waren sich einig: ein furchtbarer Film. Tenor: »Volker Schlöndorff begibt sich mit der Lebensgeschichte der Terroristin Inge Viett auf schwieriges Terrain« (Cosmopolitan). Inge Viett, die anfangs an dem Projekt beteiligt war, dann aber ausstieg, regte sich völlig zu Recht auf. Der Film gaukle Authentizität vor, wo er lüge. Die Rita sei eine zusammengebackene Figur. Zudem sei das meiste aus ihrer Autobiografie geklaut (»wir haben also ein urheberrechtliches Problem«). Ist es nur das?

Heute sind andere links. Die »Stille nach dem Schuss« ist ein oberflächlicher Film mit einem vulgären, romantischen Blick auf die Revolte: Die Skizzierung der Hauptfiguren nimmt die erste Viertelstunde ein und hat große Ähnlichkeit mit der MTV-inspirierten Bildsprache von Katja von Garnier (»Bandits«). Die Protagonisten benehmen sich denn auch wie eine durchgeknallte Popgruppe, nicht wie in irgend einer Weise politisch Handelnde.

Den Rest des Films verbringen wir in der »Sonnenallee« eines Leander Haussmann (der außer dem Abbau von Arbeitnehmerrechten in seiner Zeit im Bochumer Schauspielhaus auch nichts ernst nimmt). Liebevoll und detailgetreu lässt Schlöndorff die radikale Rita zwischen Blümchentapeten und Betriebsfest zur Musik der Rockgruppe Silly hampeln. Dabei erweist sich der Regisseur als postmoderner Künstler: Das Klima einer ganzen Epoche in wenigen Schlagworten zusammenzufassen - das ist schon eine Leistung. Dieser Film richtet sich schließlich an ein breites Publikum, und was will das von einer Gruppe Menschen, die Texte mit dem Titel »schwein oder mensch« hervorgebracht hat, schon wissen.

So verfährt Defa-Abwickler Schlöndorff in seinem Film mit der Ideologie der Gruppe ähnlich selbstgerecht wie die RAF in ihren Texten. Wer sich jemals in radikal linken Kreisen aufgehalten, vielleicht noch das Buch »texte der raf« im Schrank stehen hat und sich über das stramme deutsche Denken und die schlechte Laune ein gewisses Maß an Selbstironie bewahren konnte, wird über dieses Puppenspiel herzlich lachen können: eine Komödie über's deutsche Umbringwesen, die ihr Thema nur oberflächlich angeht, so wie es zur Zeit modisch ist.

Wenn da nicht etwas gewesen wäre, nämlich die politischen Ereignisse, die historischen Realitäten, mit denen hier so unverfänglich, so witzig-ungewitzt umgegangen wird, dann hätte man vor der Stille nach dem Schluss eigentlich einen richtig guten Film gesehen.

»Die Stille nach dem Schuss«, BRD 2000. R: Volker Schlöndorff, D: Bibiana Beglau, Martin Wuttke, Nadja Uhl, Harald Schrott. Start: 14. September