Bertelsmann plant Zensur im Netz

Feister Filter

Unterstützt vom deutschen Bundeskriminalamt will Bertelsmann das Internet von umstrittenen Seiten freihalten.
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Andy Müller-Maguhn ist sauer. »Schon die Idee, rechtsextreme Gewalt durch Filterung rechtsextremer Parolen zu bekämpfen, ist für jeden halbwegs vernunftbegabten Menschen als sinnfrei zu erkennen«, wettert der Sprecher des Hamburger Chaos Computer Clubs (CCC). Nazis verschwänden doch nicht dadurch, dass man sie ausblendet.

Die zur Zeit massenhaft propagierte Idee, rechtsextreme Inhalte aus dem Internet einfach herauszufiltern, erinnert tatsächlich an die Vogel-Strauß-Methode. Dass dadurch zugleich der freie Kommunikationsraum, den das Internet bislang darstellt, erheblich eingeschränktwird, scheint den Befürwortern egal zu sein. Oder ist es gar das eigentliche Ziel dieser Kampagne? Offensichtlich müssen nun, nach der Kinderporno-Hysterie, die Nazi-Aktivitäten als Argument für Zensur im Netz herhalten.

Die Filter-Freunde sehen das natürlich anders. Etwa die Bertelsmann-Stiftung, die am 8. September in Gütersloh das Projekt Icra (Internet Content Rating Association) vorstellte. Dahinter steckt angeblich eine Nonprofit-Organisation, der neben Bertelsmann weitere schwergewichtige Firmen wie AOL, Microsoft, IBM und T-Online angehören.

Das Icra-System funktioniert so: Jeder, der eine Seite ins Internet stellen möchte, muss den Inhalt seiner Seite selbst klassifizieren. Für eine Seite, die beispielsweise eine Reportage über eine Hooligan-Prügelei bei einem Fußballspiel beinhaltet, gibt der User dann in der Kategorie Nacktheit den Wert null ein, weil keine sexuell anzüglichen Bemerkungen und Bilder auf der Seite vorkommen. Für Gewalt gibt er den Wert vier an, weil er ein Foto veröffentlichen möchte, auf dem ein aufgeschlagener Kopf zu sehen ist. Eltern können nun einstellen, dass z.B. keine Seiten mit Sex-Wert zwei und Gewalt-Wert drei angezeigt werden. Dann würden Sohn oder Tochter die Hooligan-Seite also gar nicht zu Gesicht bekommen, ja wüssten vermutlich nicht einmal von ihrer Existenz.

Marcel Machill, Projektleiter bei Bertelsmann, erklärte gegenüber Jungle World: »Wir sind keine Moral-Apostel, aber Eltern können so das Risiko, dass ihre Kinder auf schädliche Seiten stoßen, minimieren.« Gleichzeitig verhindere man auf diese Weise staatliche Zensur im Internet, weil es den Eltern überlassen bleibe, die Filtersysteme zu aktivieren.

Woher Machill die Gewissheit nimmt, dass Nazi-Seiten speziell auf Kinder eine schädliche Wirkung haben, nicht aber auf Erwachsene, bleibt sein Geheimnis.Ebenfalls nicht beantwortet wird die Frage nach öffentlichen Internet-Terminals in Universitäten, Schulen und Bibliotheken: Wer soll dort die Filter ein- und ausschalten?

Das System ist darauf angewiesen, dass Internet-Anbieter ihre Seiten selbst klassifizieren. Bisher ist nur ein Bruchteil der weltweiten Internetseiten Icra-gerecht eingestuft worden. Nicht klassifizierte Seiten werden jedoch - wenn das die Eltern oder die Betreiber eines Terminals so einstellen - gar nicht mehr angezeigt. Das Internet-Angebot würde erheblich zusammenschrumpfen.

Dass die Unterstützer des Projektes im Internet auch ihre eigenen kommerziellen Ziele verfolgen, kommt ihnen dabei natürlich zugute. Und mitmachen bei dem Projekt darf auch nicht jeder. »Mitreden darf, wer bezahlt«, lautet die Parole der Bertelsmann-Stiftung. 25 000 Dollar jährlich müssen investiert werden, um bei Icra mitmischen und damit auch über die Begriffe mitentscheiden zu dürfen, die klassifiziert werden sollen. So werden dort etwa die Kriterien Gewalt und Nacktheit sicher auftauchen, jedoch bestimmt nicht »Verführung zum Konsumrausch«.

Problematisch ist auch, dass das System nicht allein auf freiwilliger Selbstkontrolle der Inhalte-Anbieter basiert, sondern auch auf schlichter Zensur. So gibt es Negativlisten von Anbietern, die nicht mitmachen wollen beim angeblich freiwilligen Rating und die als problematisch gelten. Solche inkriminierten Webseiten würden - bei Anwendung eines Filters - ebenfalls aus dem Internet-Angebot entfernt.

Langfristig sollen Vertreter gesellschaftlicher Gruppen aus aller Welt, wie z.B. Kirchen, Gewerkschaften, Kinderschutzorganisationen und Medienaufsichtsbehörden Negativlisten beisteuern. Bisher sind es allerdings andere Institutionen. Etwa das deutsche Bundeskriminalamt (BKA). »Wir wollen Eltern helfen, ihre Kinder besser vor rechtsextremistischen Inhalten im Internet zu schützen, deshalb begrüßen wir die Initiative der Bertelsmann-Stiftung sehr«, begründet Leo Schuster vom BKA die Mitwirkung des Amtes.

Auch der Verfassungsschutz arbeitet mit der Stiftung zusammen. Die CDU hat eine Homepage zur Denunziation nazistischer Seiten geschaltet (»Projekt Gatekeeper«), auf der man auffällige Seiten melden kann. Die Ergebnisse sollen an Icra weitergeleitet werden. Das BKA hat bereits eine Negativliste zur Verfügung gestellt, angeblich mit Websites rechtsextremistischen Inhalts. Kontrollieren lässt sich das nicht. Einblick in die Listen der zensierten Seiten ist nicht vorgesehen. Da muss man schon dem BKA vertrauen, dass z.B. keine Antifa-Websites in der Negativliste »Rechtsextremismus« aufgeführt werden. Die Anwender oder deren Eltern können höchstens entscheiden, welche Negativlisten sie zum Filtern heranziehen wollen.

Für Andy Müller-Maguhn vom CCC ist das alles eine Farce. »Rechtsextremismus mit dem Verfassungsschutz zu bekämpfen kommt mir so vor, als wolle man einen Schwelbrand mit einem Kanister Benzin löschen«, erklärt der Ober-Hacker. Man müsse doch nur mal einen Blick auf die Kooperationspartner Bertelsmann und Verfassungsschutz werfen. Müller-Maguhn: »Die dem Medienhaus zugehörige Stiftung will schon seit Jahren das Internet als klinisch sauberen Distributionskanal für ihre Medienprodukte nutzen und schreckt nicht davor zurück, durch Filtermaßnahmen den Kulturraum Internet in einen familienfähigen Werbeprospekt zu verwandeln.«

Es scheint sich abzuzeichnen, dass die Einführung von Icra erst den Beginn einer umfassenden Zensur des Internets bedeutet. Denn nicht nur an öffentlichen Terminals besteht keine Selbstbestimmung der User. Auch am privaten Computer ist die Voraussetzung für das eigenständige Einstellen eines Filters, dass die Eltern der zu schützenden Kids überhaupt mit der erforderlichen Technik umgehen können. Eltern, die sich das nicht zutrauen, werden vermutlich eher auf Provider zurückgreifen, die von vornherein ein sauber gefiltertes Internet anbieten. Bleibt ein Trost: Tests haben bereits gezeigt, dass technisch etwas versierte Jugendliche nicht lange brauchen, um solche Filter auszutricksen.