Genre-Kino

Für eine Handvoll Lire

Sandalenfilm, Spaghetti-Western, Horrorfilm, Sex- und Polizeifilm, Kannibalen- und Zombie-Schocker sowie der Giallo: Eine rasante Geschichte des italienischen Genrekinos.

Die Kinowelt wird von den Großproduktionen Hollywoods dominiert. Immer und überall? O nein, es gab einmal eine Zeit, wo einige sympathisch-rückständige Individuen ein pralles, buntes Genrekino aus dem Boden stampften, das der Traumfabrik Alpträume bescherte, und es entstanden viele aufregende Produktionen, die aus der finanziellen Not eine Tugend machten. Die Low Budget-Situation setzte eine Experimentierfreude frei, wie sie eben nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Es gibt keinen Urwald in der Umgebung? Fahren wir doch einfach in den Stadtpark! Wir brauchen eine Wüste? Auf in die Kiesgrube!

Das So-tun-als-ob in diesen Filmen wird manchen, der gewohnt ist, gigantischen Dinosauriern und exakt programmierten Terminatoren bei der Arbeit zuzuschauen, leicht fassungslos zurücklassen. Doch dafür besitzt das italienische Genrekino ein Überraschungsmoment, den Charme des Zufälligen, wie man ihn in den teuren und generalstabsmäßig durchgeplanten Produkten aus Hollywood nie finden wird. Es ist eine besondere Form von Unschuld, die die Schmalspur-Filmer aus Italien so sympathisch macht.

Dabei fing alles mit Hollywood an. In den späten Fünfzigern spielte die italienische Filmindustrie - nach ihrer Blüteperiode zur Stummfilmzeit - keine große Rolle mehr. Neben zahllosen Komödien und Melodramen, die nur innerhalb des heimischen Marktes funktionierten, entstanden zwar die Werke von Künstlern wie Vittorio de Sica, Roberto Rossellini und anderen. Doch so sehr Cineasten rund um den Globus die Werke des italienischen Neorealismus auch zu schätzen wussten - das breite Publikum im Ausland machte einen großen Bogen um die Filme, die häufig nicht synchronisiert waren und nur mit Untertiteln gezeigt wurden.

Dann kamen die Produzenten aus Hollywood - und Cinecittá war über diese Besucher mehr als glücklich. Devisen flossen, Kostümbildner und Heere von Statisten und Nebendarstellern fanden Beschäftigung. Denn die Amerikaner waren gekommen, um Kostüm- oder Antikenfilme zu drehen.

Die einflussreichste dieser Produktionen war Robert Wises »Helen of Troy« von 1955. Wise gründete sogar eine eigene Schule für Stuntleute und Spezialeffekte-Künstler. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte man sich diese Fachkräfte meist vom Zirkus oder aus Kleinkunst-Zirkeln geholt. Die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Spezialisten brachte Zirkusleute wie die Zamperlas oder die dell'Acquas darauf, ihre Künste nunmehr ausschließlich in den Dienst der Filmstudios zu stellen. Dass ihre Talente bald darauf wirklich gefragt waren, lag im Wesentlichen an der Firma Galatea, die viel Geld in ein Revival der Sandalenfilme aus der Stummfilmzeit investierte.

»Le fatiche di Ercole« mit Steve Reeves in der Hauptrolle wurde ein Riesenerfolg und sorgte für eine Flut ähnlicher Filme, in denen sich US-amerikanische Bodybuilder mit griechischen Göttern, italienischen Pappmachésäulen und überdimensionierten Kampf-Echsen herumbalgten. Rasch wurden die Helden vergangener Tage - Herkules, Maciste, Ursus etc. - wieder hervorgekramt. Nach Steve Reeves gelangten auch Darsteller wie Mark Forest, Gordon Mitchell, Mickey Hargitay und zahllose andere ins Rampenlicht. Von 1957 bis etwa 1964 florierte das italienische Kino wieder, und zwar nicht nur in Italien - die Filme hatten auch in Übersee gewaltigen Erfolg und reetablierten Cinecittá als Filmproduktionsstätte von internationalem Rang.

Irgendwann ebbte das Interesse an den wippenden Säulen und knallharten Brettbäuchen dann ab. Auch der großzügige Einbau von phantastischen Elementen - etwa aus dem Fundus des seit 1960 sehr populären Horrorfilms gotischen Musters - konnte an den sinkenden Einspielergebnisse nichts ändern. Etwas Neues musste her.

1964 war es die Firma Jolly, die mit dem billig produzierten Western »Per un pugno di dollari« die nächste Erfolgswelle auslöste. Der Spaghetti-Western verwendete die Motive des amerikanischsten aller Genres und setzte sie nach eigenem Gusto neu zusammen. Es waren ein paar Genies, deren Werke die Machart des neuen Genres bestimmen sollten: Sergio Leone, Sergio Corbucci und Sergio Sollima gaben die Standards des Spaghettiwesterns vor.

Diesen Filmen fehlten die moralisierenden Tendenzen des US-Westerns; Django, Ringo und Sabata schlugen sich durch eine Welt ohne Werte. Dass diese Filme in einem katholischen Land entstanden sind, zeigt sich jedoch an der Vielfalt religiöser Motive, mit denen der Anti-Held auf seinen meist ziellosen Odysseen - aus dem Nichts kommend, in das Nichts verschwindend - konfrontiert wird.

Zumeist ist die Familie zersplittert und muss wieder zusammengeführt und versöhnt werden. Manchmal trifft eine heile Famile auf eine zerrüttete, wobei die erste nicht unbedingt den Sieg davonträgt. Auch Bezugnahmen auf die griechische Tragödie kommen häufig vor. Die Formen, die die Western annehmen konnten, waren sehr unterschiedlich: Während die Filme Leones intelligent die Mythen der US-amerikanischen Geschichte dekonstruieren, zeichnen die Meisterwerke von Sollima, Questi und Corbucci abgründige Psychoporträts.

Ein besonders gelungenes Beispiel ist Corbuccis »Django«, der seinen Hauptdarsteller Franco Nero zu einem internationalen Star machte, indem er einen grimmig-ironischen Anti-Helden präsentiert, wie er auf der Leinwand noch nie zuvor gesehen worden war. Django ist im Krieg gewesen und musste das große Töten miterleben. Nun landet er in einer Kleinstadt, legt sich mit einem sadistischen Landbaron, dem Ku-Klux-Klan und heuchlerischen Priestern an und befreit mehr zufällig als gewollt die unterdrückten Mexikaner. Mit stoischer Ruhe zieht er seine Sache durch und reitet nach einer symbolischen Kreuzigung weiter in Richtung Nirgendwo. Ohne Bigotterie wird der klassische Westernheld ad absurdum geführt und in seiner ganzen Lächerlichkeit gezeigt. Humor besitzt Django auch: Er - dessen Name auf den berühmten Gitarristen Django Reinhardt anspielt - zieht ständig einen Sarg hinter sich her.

Hollywood kam nicht umhin, dem Spaghetti-Western Tribut zu zollen und begann, viele Motive zu kopieren. Clint Eastwood etwa drehte später seine eigenen düsteren Pferdeopern in den Staaten. Zahllose Koproduktionen mit Nachbarländern wie Spanien, Frankreich oder Deutschland kurbelten die Produktion weiter an. Nie ging es dem italienischen Film besser als zu dieser Zeit.

Der Horrorfilm hatte sich währenddessen eine eigene Nische geschaffen. Filmemacher wie Mario Bava oder Riccardo Freda - beides Veteranen aus dem Kostümfilm-Lager - gingen mit ihren Verfilmungen gotischer Schauerfantasien so weit, wie dies die Zensur erlaubte: Da gab es grimmige Schlossherren, die ihre unwilligen Mündel in düsteren Kellerverliesen foltern ließen, viktorianische Gentlemen, die von nekrophilen Gelüsten übermannt wurden und finstere Zauberwälder, in denen sich immer wieder die Kutscher verirrten.

Ausgelöst wurde dieser Trend durch Mario Bavas meisterlichen »La maschera del demonio«, in dem sich die Hexe Asa an ihrer Familie rächt, weil die sie einst an die Inquisition verraten hatte. Ähnlich wie im Western dominierte bei den Gruselfilmen das pittoreske Spektakel, die drall ausgestattete Alptraumwelt, die die Innenwelt der Figuren bildwirksam spiegelte. Dabei spielten riskanter Sex und ästhetisierte Gewalt eine wichtige Rolle, was den Jugendschützern Sorgen bereitete.

In »La maschera« spielte die Hauptdarstellerin Barbara Steele nicht nur die lüsterne Hexe, sondern auch deren liebliche Nachfahrin Katja, die die Hexe mit ihrer ausgesuchten Bosheit zu verderben trachtet. Die Konfrontation einer kreuzbraven Heldin mit ihrem geilen Gegenstück ist eine der schauerromantischen Literatur entliehene Figurenkonstellation, die vom Genrekino häufig adaptiert wurde. Die katholisch geprägte Interpretation von sexueller Aggressivität als etwas Dämonischem wurde dabei immer wieder unterlaufen, indem die sexualisierten Figuren im Vergleich zu ihren grundgütigen Gegenspielerinnen als die ungleich interessanteren und aufregenderen dargestellt wurden.

In den sogenannten Gialli wurde die Ästhetisierung des Psychologischen noch weiter getrieben. Der Giallo ist eine spezifisch italienische Form des Thrillers; hier sind die innere Logik und die Glaubwürdigkeit der Handlung völlig nebensächlich, entscheidend sind die mehr oder weniger eindrucksvoll gestalteten Angsttableaus. In Italien werden zwar alle möglichen Subgenres des Thrillers mit dem Begriff Giallo belegt, international verbindet man damit allerdings nur diese auf den Angst-Effekt setzende Spielart.

In der von Mario Bava begründeten Tradition des Giallo stehen bis heute Regisseure wie Dario Argento und Lamberto Bava. Der Verzicht auf plausible Charakterentwicklung und die dezidierte Künstlichkeit dieser Spannungsfilme hat das Publikum gespalten: Während die einen mit den Produkten wenig oder gar nichts anfangen können, verehren die anderen Regisseure wie Argento oder Bava abgöttisch.

Nicht ganz unwichtig innerhalb des italienischen Genrekinos ist der Sexfilm. Zwar existierte bis zum Ende der Sechziger kaum so etwas wie ein eigenständiges Sex-Genre, aber die laxeren Zensurbestimmungen und nicht zuletzt der Erfolg von Pier Paolo Pasolinis bahnbrechenden Adaptionen von Klassikern der erotischen Literatur führten zu einer Flut von flugs heruntergekurbelten Kostümfilmen ohne Kostüme, bei denen Boccaccios »Decamerone« genauso gefleddert wurde wie Geoffrey Chaucers »Canterbury Tales« und die »Geschichten aus 1001 Nacht«.

Parallel zu den spekulativen Erotikstreifen entstand eine sozialkritische Sexfilm-Variante im Gefolge von Filmen wie »Malizia« des Alt-Marxisten Samperis. In diesen Produktionen dominierte das Vergnügen an der Demontage der bürgerlichen Familie, und für das subversive Element sorgte zumeist eine sexuell befreite Jungdame, die plötzlich auftauchte, um dann reihum die Männer und Frauen des Familienverbundes zum moralisch verwerflichen Beischlaf zu verführen. Viele dieser Filme vollführten einen tollkühnen Spagat zwischen der offensichtlichen Absicht - Titten und Ärsche zu zeigen - und den hehren Ambitionen des Drehbuchschreibers: Denn die mussten im allgemeinen Gewühle meistens dran glauben.

Ende der Siebziger wurde das Publikum dann noch mit einer weiteren Variante des italienischen Sexfilms malträtiert: mit »Teens«-Filmen und ähnlichen Pubertätsgrotesken. Weitere Spielarten waren die Nonnenfilme (»Nunsploitation«) oder die widerwärtigen »Nazipornos«, die Mitte der Siebziger gehäuft gedreht wurden. In den Achzigern verschwand der Genre-Sexfilm, um der Erotik der 0190-Welt Platz zu machen: Schöne Darsteller, deren Haut beim Liebesakt ein gummiartiges Quietschen von sich zu geben schien, waren jetzt gefragt.

Genrekino ist Kino fürs Publikum und reagiert daher unmittelbar auf Stimmungen, Moden und Zeitgeist. Der aufklärerische Geist von 1968 etwa schuf ein gesellschaftliches Klima, das sich für die Vampire und Geister der Gruselfilme als eher ungünstig erwies, und die neoromantischen Spukfiguren mussten von neuen Dämonen und Dämonen-Jägern abgelöst werden. Die Auseinandersetzungen zwischen Staat und linken Staatsfeinden, die Entführungsfälle und die allgegenwärtige Korruption ließen ein Klima der Paranoia enstehen; das aufgekratzte Publikum wusste zu dieser Zeit nicht nur die großen gesellschaftskritischen Mafiastreifen von Francesco Rosi und Damiano Damiani zu schätzen, sondern es entstand ein ganz neues Genre: der Polizeifilm.

Im Poliziesco wurde stellvertretend für den bibbernden Zuschauer der allgegenwärtigen Gewalt ein Superbulle entgegengestellt. Mit schimmerndem Schnäuzer und poliertem Goldkettchen rammte dieser mit den Gesetzen äußerst selbstherrlich umgehende Gesetzeshüter jeden Verbrecher, der seinen Weg kreuzte, in den Boden. Der ungerührte poliziotto ließ die Fäuste sprechen - wo er auftauchte, wuchs kein Gras mehr. Dass die Charakterzeichnung des Superbullen von den Drehbuchautoren und Regisseuren nicht immer sonderlich ernst gemeint war - Namen wie Commissario Ferro oder Belli sind ein deutlicher Hinweis -, entging vielen Kritikern, die den Filmen eine faschistische Gesinnung vorwarfen. Allerdings: Maurizio Merli - der big Superbulle forever - soll dem Vernehmen nach tatsächlich keinerlei ironische Distanz zu seiner Rolle gehabt haben; trotzdem entspringt die rasante Comic-Strip-Welt dieser Filme keiner exklusiv autoritären Phantasie, sondern besitzt durchaus anarchische Qualitäten. Merli, Fabio Testi oder Luc Merenda donnerten im Rhythmus pulsierender Film-Musik ausgelassen durch »Napoli Violenta«, »Roma Violenta« oder »Milano Violenta«.

Auch der Horrorfilm veränderte sich in den Siebzigern, aus dem oft wissenschaftlich-ethnologisch verbrämten Kannibalenfilm entstand das große Erfolgsgenre der No-Future-Zeit: der Zombie-Schocker. Waren die Vampire und Dämonen der früheren Horrorstreifen meist Vertreter der Aristokratie gewesen, so schlurfte nun der untote Vertreter der allgegenwärtigen Unterschicht durch eine Welt, die dem Untergang geweiht war. Die Körper wurden jetzt nicht mehr nur von den scharfen Zähnen eines lüsternen Vampirs bedroht, sondern von der totalen Vernichtung. Die »Body In Pieces«-Phantasie wurde in endlosen Wiederholungen aus- und plattgewalzt, bis auch dem letzten Zuschauer klar war, dass Zombies eigentlich überall sind.

In den Achtzigern - das Fernsehen bot inzwischen eine Rundumversorgung in Sachen Action, Sex & Crime an - verabschiedete sich das Genrekino. Es wurde zunehmend schwerer für die Regisseure, ihre Filme ohne Finanzierung und somit ohne Einflussnahme der Fernsehanstalten zu realisieren. Die immer spärlicher werdenden Genre-Produktionen passten sich dann auch bald der Ästhetik der MTV-Musikvideos an und präsentierten schöne dumme Menschen in einer schönen dummen Welt. Die Subventionierungspolitik der Regierung tat ein Übriges, um die Vielfalt und Kreativität, die sich ehemals in den Genres ausgetobt hatte, einzuschränken. Zwar finden große Filmemacher wie Nanni Moretti und Roberto Benigni bis heute ihre Zuschauer, aber sie arbeiten unter völlig anderen Rahmenbedingungen, und auf einen erfolgreichen Kunstfilm kommen 50, die untergehen. Viele Genrefilme wurden als Abschreibungsprodukt für die Steuer entworfen. Doch je mehr Einfluss Leute wie Silvio Berlusconi auf die Filmwirtschaft erhalten, umso bitterer sehen die Ergebnisse aus. Pittoresk sind die Ruinen von Cinecittá noch immer, aber es haben Raben und Elstern darauf Platz genommen.