Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

Mitbestimmen für den Standort

Durch die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes werden in Deutschland die Betriebsräte gestärkt - und der Flächentarifvertrag wird geschwächt.

Geht nach der Sommerpause der Streit weiter? Immerhin, die Ankündigung Uwe Mazuras, des Sprechers der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), ließ zunächst Zoff im Bündnis für Arbeit erwarten. »Das wird ein Knackpunkt«, sagte Mazura Mitte August und meinte die Diskussion über eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG), für die sich Gewerkschafter seit langem stark machen.

Um sein liebstes Projekt nicht mit weiterer Unbill zu belasten, schlug Kanzler Gerhard Schröder vor, die Erneuerung nicht im Bündnis für Arbeit zu verhandeln. So hatte sich das auch DGB-Chef Dieter Schulte vorgestellt. Er will den Unternehmern kein Mitspracherecht in der Angelegenheit zugestehen. Schließlich wird in dem Gesetz das Mitspracherecht der Belegschaft mit Hilfe von Betriebsräten geregelt. Die Arbeitgeber wollen freilich nicht auf ihren Einfluss bei der BetrVG-Reform verzichten.

Mittlerweile haben sich die Wogen wieder geglättet. Ein Deal mit anderen Projekten der Regierung wie etwa der Rentenreform könnte nun den Weg für Gespräche über das BetrVG frei machen. Dass eine Reform des Gesetzes notwendig ist, das zuletzt 1973 überarbeitet wurde, darüber herrscht zumindest innerhalb der Gewerkschaften Einigkeit. Schließlich hat es »dramatische Veränderungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft gegeben, von denen auch die Betriebe betroffen sind«, wie DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer ihren Einsatz für die Erneuerung des Gesetzes begründet. »So genannte Normalarbeitsverhältnisse nehmen ab, dafür gibt es immer häufiger befristete Beschäftigung, Werkverträge, Leih- und Heimarbeit, außerdem Scheinselbständige und arbeitnehmerähnliche Selbständige.«

Für eine Gewerkschafterin wie Engelen-Kefer steht das BetrVG in guter Tradition. Nach dem Ersten Weltkrieg kämpfte die Betriebsrätebewegung für Enteignung und demokratische Kontrolle der Wirtschaft durch die Arbeitenden. Damals speiste die SPD-Regierung die Bewegung mit dem Betriebsrätegesetz ab. Die Reaktion ließ nicht auf sich warten: Zehntausende demonstrierten auf Berlins Straßen gegen das Gesetz, das »Wirtschaftsdemokratie« versprach und nur der »Sozialpartnerschaft« einen juristischen Rahmen schuf.

Mit derselben Taktik reagierte die Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg auf Forderungen nach Sozialisierung der Grundstoffindustrien und Kontrolle der Wirtschaft. Wieder galt es, gegen radikale Positionen anzugehen. Heraus kamen nach heftigen Kämpfen die so genannte »paritätische Mitbestimmung« und das BetrVG von 1952. Das Gesetz wurde jedoch nicht gegen die Unternehmer, sondern mit deren ausdrücklichem Einverständnis beschlossen. Der wirtschaftliche Erfolg sollte diese Haltung bestätigen. Die mit dem Betriebsverfassungsgesetz verbundene Mitbestimmung durch Betriebsräte gilt seither als Eckpfeiler des rheinischen Kapitalismus. »Die Arbeitgeber sollten froh sein, dass Arbeitnehmer und Gewerkschaften über die Betriebsverfassung Verantwortung übernehmen«, resümiert Engelen-Kefer. »Das hat dem Standort Deutschland in den letzten Jahrzehnten sehr viel genutzt.« Zumindest in den Chefetagen der Großbetriebe sieht man das auch so: 80 Prozent der Arbeitgeber halten die Betriebsräte für wichtig.

Seit dem ersten Betriebsrätegesetz sind also die Grundlagen klar, auf denen die Einbindung mit Hilfe der Mitbestimmung funktioniert: Autoritäre und hierarchische Strukturen garantieren Einflussnahme auf betrieblicher Ebene und begrenzen die Aktivitäten gleichzeitig auf den Betrieb. Zudem legt das BetrVG Betriebsräte auf das jeweilige »Unternehmenswohl« und die Friedenspflicht fest.

Damit dies so bleibt, haben sich die jetzigen Regierungsparteien in der Koalitionsvereinbarung auf eine Reform geeinigt, die das Gesetz lediglich an die Veränderungen der Arbeitswelt anpassen soll, also an die Zentralisierung von Unternehmensmacht bei gleichzeitiger Dezentralisierung der Arbeitsprozesse und ihrer Organisation. Diese Verschiebungen sowie das so genannte Outsourcing, die Aufspaltung ganzer Unternehmen, hat in vielen Bereichen zu einem Einflussverlust der Betriebsräte geführt. Deshalb fordert der DGB nun, dass die Mitbestimmungspflicht auf Personal- und Wirtschaftsfragen ausgeweitet wird.

Gleichzeitig erleben wir eine Erosion des Flächentarifvertrags und eine Zunahme von Öffnungsklauseln im Branchentarif. Betriebsinterne Bündnisse für Arbeit und Standortsicherungsvereinbarungen verlagern immer mehr Entscheidungen von den Gewerkschaften auf Betriebsräte. Die wiederum spüren die Zwänge der Standortkonkurrenz unmitelbar an der Basis und sind schon deshalb schneller bereit, beispielsweise auf Lohnerhöhungen zu verzichten.

Dass dieses Einbindungsmuster im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit bestens funktioniert, weiß auch Walter Riester. »Gerade die Institution Mitbestimmung erleichtert die Zustimmung der Belegschaften zu wirtschaftlich unvermeidlichen Einschnitten bis hin zu Beschäftigungsabbau«, erklärt der Arbeitsminister. Nahe liegend also, dass Unternehmer fordern, in der BetrVG-Reform die betriebliche Ebene und die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte in tarifpolitischen Angelegenheiten zu stärken.

Solchen Anliegen wird sich Schröder kaum entgegenstellen. Schließlich legt seine Regierung großen Wert auf unternehmerfreundliche Standortbedingungen und will allein deshalb die geplanten Erneuerungen gern im Bündnis für Arbeit auf Konsenstauglichkeit testen.

Konflikte mit den Gewerkschaften sind ebenfalls nicht zu erwarten. Die Vorstellungen der Arbeitgeber sind schon in den Entwurf eingeflossen, der gemeinsam von der unternehmernahen Bertelsmann- und der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung erarbeitet wurde.

Bezeichnend an den Empfehlungen dieser Stiftungskommission ist, dass die Mitbestimmung zur »Mitgestaltung« und »zu einem deutschen Standortvorteil« ausgebaut werden soll. Dabei geht es freilich kaum um durchsetzungsfähige Betriebsräte, die Arbeitnehmerinteressen oder gar betriebsdemokratische Ansätze vertreten. Im Gegenteil: Betriebsräte sollen dafür sorgen, dass Öffnungsklauseln in Tarifverträgen umgesetzt werden. Geht es nach dem Willen der Stiftungskommission, dann werden die Aufgaben der Betriebsräte um die »Berechtigung und Verpflichtung« ergänzt, »sich für Erhaltung und Förderung der Beschäftigung einzusetzen«. Was Betriebsräte schon jetzt auszeichnet, würde damit festgeschrieben und erweitert: die Entwicklung der Arbeitnehmer-Vertreter zu unternehmerisch denkenden Co-Managern der Kapitaleigner.

Diesen Vorschlag sieht auch ein DGB-eigenes Konzept vor. Dennoch kritisieren Arbeitgeber den Entwurf der Gewerkschaften als »kalte Enteignung der Unternehmer« und »Sprengstoff für die Bündnisgespräche« oder als einen Frontalangriff »gegen mehr Beschäftigung und gegen eine marktwirtschaftliche Ordnung«. Dies mag an einigen begrüßenswerten Punkten liegen. So etwa an der geplanten Ausweitung des Arbeitnehmerbegriffs, der auch Telearbeiter, Scheinselbständige sowie Leiharbeiter einbeziehen soll. Und die Neuinterpretation des Betriebsbegriffs, der bei Outsourcing-Maßnahmen den Schutz einer Betriebsvertretung enthalten soll, dürfte den Unternehmern ebenso missfallen wie der geplante stärkere Kündigungsschutz in Firmen ohne Betriebsrat sowie die bessere Zugangs- und Bewegungsmöglichkeiten von Gewerkschaften auf Betriebsgeländen. Letztlich könnte auch eine kleine stilistische Änderung für Unzufriedenheit sorgen. Die Verpflichtung zur »vertrauensvollen Zusammenarbeit zum Wohl des Betriebs« soll im Gesetz dem »Wohl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer« und der »Verwirklichung der Grundrechte« weichen.

Da jedoch auch der DGB-Entwurf die Einschränkung der Mitbestimmung auf die betriebliche Ebene nicht in Frage stellt, ist mit einem ernsthaften Veto der Unternehmer nicht zu rechnen. Unmutsäußerungen dürften eher strategisch motiviert sein. Mit der geplanten Erweiterung von Zuständigkeiten des Betriebsrates wird sogar akzeptiert, wogegen sich Gewerkschafter immer gewehrt haben: die Verbetrieblichung der Arbeits- und Tarifpolitik. Das unternehmerische Motto: »Ohne Stärkung des Betriebsrates keine Schwächung des Flächentarifvertrages.«

Dabei kann ein gestärkter, aber zum Korporatismus verpflichteter Betriebsrat kaum ungleiche Machtverteilung, Mängel in Tarifverträgen oder gewerkschaftliche Wettbewerbsorientierung ausgleichen. Die gewerkschaftliche Position zur Mitbestimmung ist also weit enfernt vom »Ziel der selbstbestimmten Teilhabe aller Erwerbstätigen und gezwungenermaßen Nichterwerbstätigen an der betrieblichen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und am gesellschaftlichen Reichtum«, wie es das »Plädoyer für eine Reform des BetrVG der Berliner Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler von links« fordert.

Auch von einer Verkürzung der Wahlperiode als einem Mittel gegen »Berufs-Betriebsräte« will man beim DGB nichts wissen, ganz zu schweigen von der Idee, den Betrieb als politischen Ort zu begreifen. Denn dafür müsste flächendeckend und politisch mobilisiert werden. Von den Gewerkschaften ist das nicht zu erwarten. Selbst dann nicht, wenn es um ihren eigenen Reformvorschlag geht. Schließlich sind fast alle DGB-Organisationen in den Entwurf des sozialpartnerschaftlichen Joint Venture der beiden Stiftungen eingebunden.