HipHopper Jovanotti

Offen für alles

Die neue CD des HipHop-Stars Jovanotti ist wie ein Tag am Strand von Forte del Marmi oder ein Spaziergang durch Mailand.

Da gibt es an vorderster Stelle die Spaghetti-Funk-Posse der Rapper und DJs von Articolo 31. Sie sagen, sie seien »gegen das System, den Polizeistaat und die Regierung« - damit schaffen es ihre CDs bis in die oberen Ränge der Charts. Neben der Obrigkeit hassen sie einen Mann allerdings besonders, denn »er ist kein richtiger HipHopper«. Gemeint ist Jovanotti. Und Jovanotti ist noch erfolgreicher als Articolo 31. Dabei sieht er weder aus wie ein Italiener noch wie ein HipHopper. Singen könne er auch nicht, meinen manche - und seine Raps seien ein wenig gelispelt.

HipHop lebt, wie jeder popkulturelle Style, von seiner Authentizität - der vermeintlichen Echtheit des Undergrounds, der gefaketen des Mainstreams. Jovanottis Methode könnte man reflektierte Nicht-Authentizität nennen - er verzichtet musikalisch (und auch sonst) auf die strikte Abgrenzung gegenüber anderen Stilen und Szenen. Er vereinnahmt, wo er nur kann. Er sucht sich das Beste raus und macht daraus gute Musik. Genau das macht ihn zur Angriffsfläche für die breit gestreute und gewachsene italienische HipHop-Szene.

Im Gegensatz zum deutschen HipHop ist die italienische Rap-Musik aber alles andere als zahm und harmlos. Politik ist für sie kein Gegensatz zur Jugendkultur, sondern selbstverständlicher Bestandteil von Jugend in Bewegung. Der HipHop aus Mailand und Nord-Italien - wie z.B. die Crews Otierre und Sottotono - setzt auf einen rabiateren Stil, fast schon ähnlich dem des amerikansichen Gangsta-Rap.

Dafür sind die römischen (AK 47, Ice One) und sizilianischen Combos (99 Posse, Nuovi Briganti) umso offener politisch. Neben revolutionärem Text-Repertoire bevorzugen sie, wie auch der Bologna-Rapper Neffa, den Mix mit RaggaMuffin und Reggae. Eine Besonderheit des italienischen HipHop ist auch der Bezug auf ländliche und regionale Dialekte oder der Einsatz traditioneller Instrumente.

Während sich also diese künstlerisch reiche und differenzierte Szene in den letzten zehn Jahren herausbildete, war Jovanotti alias Lorenzo Cherubini noch als VJ bei MTV beschäftigt. Sein Debüt-Album »Go Jovanotti Go« kam 1988 heraus. Es war, wie auch die ersten Versuche der Fantastischen Vier in Deutschland, eine ziemlich uncoole Kopie des US-HipHop. Die Posen wurden kopiert, die Raps in der jeweiligen Landessprache vorgetragen. Umso beachtenswerter aber ist die Entwicklung, die Jovanotti machte. Sein Habitus wurde unaufdringlicher, seine Lyrics bescheidener - und seine Musik eigenständiger.

Mit dem Liebeslied »Serenata Rap« wurde er vor einigen Jahren auch außerhalb Italiens bekannt. In der Schweiz ist er Dauergast auf Festivals und im TV. In Deutschland ist er - wie der gesamte italienische HipHop, aber nicht nur der - so gut wie unbekannt.

Vor einem Jahr erschien Jovanottis neueste CD »Capo Horn«. Sie ist das konsequente künstlerische Ergebnis eines im besten Sinne unvoreingenommenen Musikers. »Capo Horn« enthält die Liebeslieder, die man von Jovanotti (und, nun ja, von italienischer Musik) gewohnt ist, genauso wie experimentelle Stücke oder Disco-Tracks. Diese Mischung stellte für die Italo-HipHop-Szene aber wieder mal eine Provokation dar. Anstatt ihn für seine Radikalität zu loben, wird er nun des Öfteren als »Schlagersänger« tituliert.

Dabei tut Jovanotti eigentlich nur das, was im italienischen HipHop üblich ist und was dort gerne mit dem Begriff stiloso beschrieben wird: Er bemüht sich um einen unverwechselbaren Stil. Auch dass Jovanotti mit exotischen und ungewohnten Zitaten arbeitet, ist für den italienischen HipHop nicht ungewöhnlich. Schließlich sind auch auf den Platten von Articolo 31 Klezmer-Samples zu finden. Anleihen beim Ska, bei orientalischer oder folkloristischer Musik gehören zum guten Ton. Die demonstrative Abwendung des original Italo-HipHop vom Star Jovanotti ist wohl mehr einer Marketing-Strategie als einem künstlerisch begründetem Ansinnen geschuldet. In Deutschland kennt man solche Streitereien zur Genüge - wenn auch auf einem musikalisch niedrigeren Niveau.

Die italienischen Künstler wechseln dabei regelmäßig die Fronten. Während Jovanotti auf »Capo Horn« wunderschöne Gedichte wie »Per Te« vorträgt und mit »Funky Beat-O« dem US-amerikanischen Beat seine Reverenz erweist, predigen linksradikale Mainstream-Rapper wie Articolo 31 schon mal den Zusammenhalt der bella familia gegen die fortschreitende Individualisierung der Gesellschaft oder bedienen sich chauvinistischer Töne, wenn sie etwa TV-Moderatoren als cazzi und Nachrichtenansagerinnen als puttane beschimpfen

Jovanotti dagegen spielt auf obligatorischen Rock-gegen-Rechts-Konzerten und betont in Interviews seine Verachtung für den Neo-Rechten Silvio Berlusconi - was nicht ganz ohne Risiko ist, wenn man bedenkt, dass viele der großen TV-Kanäle dem Medienzaren gehören.

Nicht so genau hinhören sollte man allerdings, wenn Jovanotti anfängt, sich über Umwelt, Ganzheit und anderen Öko-Quatsch auszulassen. Nicht zufällig hieß seine vorletzte CD »L'albero« (»Der Baum«). Ernsthafte Sorge über seinen geistigen Zustand braucht man sich aber nicht zu machen, spätestens, wenn man »Capo Horn« einmal durchgehört hat, sind alle Einwände verflogen. Die CD ist wie ein Tag am Strand von Forte del Marmi oder ein Spaziergang durch Mailand. Nicht perfekt, aber grandios. Aufregend, aber entspannend.

Eigentlich liegt dem typischen, also untypischen Jovanotti-Sound nur eine ganz simple Idee zu Grunde - notiert auf der autostrada Milano-Bologna, marzo 1998: »C'è una grande idea che ancora non si sa un ídea che cambierà questa città che ci transformerà e che ci farà vibrare un´idea che ancora non si può capire non si può vedere.« (»Es gibt eine große Idee, die man jetzt noch nicht kennt, eine Idee, die diese Stadt verändern wird, die uns verändern wird und uns vibrieren lassen wird. Eine Idee, die man jetzt noch nicht verstehen und noch nicht erkennen kann.«) Hören kann man sie schon.

Jovanotti: »Lorenzo 1999 - Capo Horn«. Mercury
Articolo 31: »Perche si«. BMG
Div.: »Parole italiane«. Trikont