Musik aus den Centri Sociali

Public-Enemy-Erben

Jedes europäische Land scheint sich genau das am HipHop herauszusuchen, was ihm passt. In Deutschland ist HipHop vor allem eine Angelegenheit von Mittelschichtssöhnen mit Gymnasial-Hintergrund, die versuchen, einen möglichst originellen Stil zu entwickeln, sich also vor allem an dem Aspekt der Skills abarbeiten. In Frankreich funktioniert HipHop eher wie in den USA, als Musik der städtischen Migrantenkinder, und hat die volle Bandbreite von Gangsta-Rap bis zu HipHop mit lyrischem Anspruch in der Chanson-Nachfolge - das soziale Moment scheint also wichtig. England hat keinen HipHop, weil die Briten lieber was eigenes machen und mit Drum'n'Bass und 2 Step auch genug zu tun haben. All das gibt es auch in Italien, gleichzeitig ist es aber das einzige Land, wo bis heute in großer Breite das Public Enemy-Erbe gepflegt wird. HipHop als Stimme der Revolution, von Consciousness und Militanz.

Der italienische HipHop und Ragga haben ihre Wurzeln in der linken außerparlamentarischen Bewegung und in den centri sociali, den besetzten Zentren. Das begann während der Studenten- und Schülerbewegung in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, als die nach einem autonom-kommunistischen Radiosender in Rom benannten Onda Rossa Posse mit HipHop-Songs Demos und Besetzungen begleiteten. Andere besetzte Zentren taten es den römischen nach und entwickelten ähnliche Sound-Konzepte. In Süditalien hatte das einen starken Hang zu Reggae und Ragga, im Norden wurde HipHop gespielt. Viele Bands der ersten Generation sind nach den besetzten Zentren benannt, in denen sie enstanden: Lion Horse Posse (nach dem Leoncavallo in Mailand); Isola Posse Allstars (nach der Isola in Bologna); 99 Posse (nach der Officina 99 in Neapel).

In ihren Song-Texten, bei ihren Auftritten und wenn sie sich auf Demonstrationen mit ausführlichen Beiträgen zu Wort melden, lassen 99 Posse an politischer Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Sie unterstützen besetzte Zentren und Guerilla-Bewegungen, sprechen sich für militante Aktionen und Streiks aus und fordern eine soziale Grundsicherung. Ihre neuste CD, »La vida que vendrá« bewegt sich zwischen Ragga und Drum'n'Bass, es wird gerappt und gesungen, gegen humanitäre Einsätze und schlechte Arbeitsbedingungen.

Dabei werden 99 Posse von international bekannten Musikern wie General Levy begleitet, aber auch von unbekannten Neapolitanern wie Speaker Cenzou und Papa J. Und das ist noch nicht alles. Denn sie docken gleichzeitig an das große Archiv arbeiterbewegter und linksradikaler Sounds an und nehmen sich, was sie brauchen. Etwa eine moderne und tanzbare Version des Klassikers »El pueblo unido« ist da zu hören.

Das volle Public-Enemy-Programm eben. Als würden deutsche Hausbesetzer HipHop mit Texten gegen Mieterhöhungen und mit positivem Bezug auf die Revolutionären Zellen machen, hätten dazu Hanns Eisler-Coverversionen im Programm und würden Degenhardt sampeln. (Gibt es sogar, nennt sich Anarchist Academy und ist peinlicher Gymnasiastenquark.)

99 Posse: »La vida que vendrá«.