Vor den Wahlen in Jugoslawien

Serbien in Scherbien

In Abwandlung eines alten Witzes über die Demoskopie könnte man die jugoslawischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen unter folgendes Motto stellen: Glaube nur den Zahlen, die du selbst gefälscht hast. Denn auch wenn der aussichtsreichste Herausforderer Slobodan Milosevics zehn Tage vor den Wahlen mit 20 Prozent führt, rechnet in Belgrad, Nis oder Novi Sad niemand damit, dass der konservativ-nationalistische Vojislav Kostunica die Nachfolge des amtierenden Präsidenten jemals antreten wird. Allenfalls den Sprung in die Stichwahl traut man dem Kandidaten der 19 Parteien starken Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) und Chef der antikommunistischen Demokratischen Partei Serbiens (DSS) zu. Nur bei den ebenfalls am 24. September abgehaltenen Abstimmungen in den serbischen Kommunen rechnet die Opposition mit Erfolgen.

Noch zu deutlich sind die Erinnerungen an die von Milosevics Sozialistischer Partei (SPS) erst nach monatelangen Demonstrationen anerkannten Kommunalwahlen 1996; zu durchschaubar sein jüngstes Verfassungsmanöver, ohne das ihm eine zweite Amtszeit verwehrt bliebe: Im Bündnis mit den Fraktionen der Jugoslawischen Linken (JUL) seiner Frau Mirjana Markovic und der faschistischen Radikalen Partei (SRS) von Vojislav Seselj setzte Milosevic im Juli durch, dass der Präsident künftig per Plebiszit bestimmt wird. Der Einfluss der montenegrinischen Abgeordneten im Bundesparlament wurde auf ein Minimum reduziert.

Von gesamtjugoslawischen Wahlen sprechen lässt sich nicht nur deshalb lediglich formal. Da die Uno-Protektoratsverwaltung im Kosovo eine eigene Abstimmung für Oktober anberaumt und der Präsident Montenegros, Milo Djukanovic, schon vor Monaten seinen Boykott verkündet hat, dürfte das nationale Votum außerhalb Serbiens eher einer Volkszählung gleichen: Wer wählt, wählt serbisch - und das werden in den montenegrinischen wie in den Wahllokalen im Kosovo fast ausschließlich Anhänger Milosevics sein. Der muss die Urnen dann eigentlich nur noch nach Serbien bringen - und gegebenenfalls auffüllen lassen. Die eigens aus Libyen, China und Nordkorea eingeladenen Beobachter werden ihm die Legitimität der Ergebnisse sicherlich gerne bestätigen.

Nicht nach sonderlich anderen Kriterien übrigens als die für die Wahlen in den Balkan-Protektoraten Bosnien und Kosovo zuständige OSZE, die Milosevic zur Beobachtung nicht zuließ: Als vor zwei Jahren über die Zusammensetzung des bosnischen Parlaments neu entschieden wurde, kamen die OSZE-Observatoren auf eine Wahlbeteiligung von 102 Prozent - und erkannten die Abstimmung an. Wie in Sarajevo, so in Belgrad: Nicht so sehr um die Wahrung demokratischer Gepflogenheiten geht es den für die Auswertung der Zahlen Zuständigen, sondern um den Erhalt der jugoslawischen Nachfolgestaaten. Denn so wenig gesichert die territoriale Integrität Bosniens fünf Jahre nach Ende des Krieges in dem zweigeteilten Staat ist, so schlecht bestellt ist es 15 Monate nach dem Stopp des Nato-Bombardements um den jugoslawischen Gesamtstaat.

Daher steht für Milosevic am Wahltag neben der Sicherung seines eigenen Postens die Revision der Oppositions-Erfolge in den serbischen Kommunen vor vier Jahren an erster Stelle. Nach der Ankündigung der EU-Außenminister, die Wahlen nur im Falle seiner Niederlage anzuerkennen, geht es in Jugoslawien ums Ganze: Montenegros Djukanovic kann nun niemand mehr plausibel von einer Sezession abbringen. Und um das Kosovo dauerhaft außerhalb Serbiens zu halten, brauchen die inzwischen parteilich organisierten Nachfolger der albanischen Befreiungsarmee UCK die Wahlen im Oktober nicht einmal zu fälschen, garantieren ihnen das doch die internationalen Protektoren selbst. So bliebe dem Mann, der vor übber zehn Jahren antrat, ein Großserbien zu schaffen, als letzte Bastion seiner Macht nur noch die Serbische Republik.