Presidential Debates in den USA

Kuss vom Kandidaten

Open the presidential debate, fordern ein paar Leute, die vom Fernsehduell zwischen republikanischem und demokratischem Kandidaten genug haben.

You know what the funniest thing about Europe is? - What? - It's the little differences. A lotta the same shit we got here, they got there, but there they're a little different.« Was Vincent seinem Kumpel Jules in »Pulp Fiction« erzählt, gilt auch umgekehrt: Eigentlich ist es in den USA auch nicht anders als in Europa - bis auf ein paar kleine Unterschiede. Du kannst im derzeit laufenden Präsidentschaftswahlkampf zu einem beliebigen Streitgespräch der Kandidaten gehen und da sind immer nur zwei, die so verschieden sind wie SPD und CDU: der Vize-Präsident Al Gore und der Gouverneur von Texas, George W. Bush.

Sieben Parteien haben es geschafft, ihren Kandidaten in genügend Bundesstaaten auf den Stimmzettel zu bekommen, sodass jeder der sieben - theoretisch - die Stimmenmehrheit für sich gewinnen könnte. Praktisch aber sind fünf von ihnen bereits erledigt, bevor es richtig losgegangen ist. Auf den großen Bühnen des Wahlkampfs - das sind die Talkshows, Expertenrunden, Nachrichtensendungen - sind diese fünf Außenseiter gar nicht mehr präsent, und das Highlight des Wahlkampfs - die »Presidential Debates« - ist den Kandidaten der beiden großen Parteien vorbehalten. Für die Medienleute ist das business as usual, für die Mehrheit des Publikums auch. Wer will schon die No-Names sehen?

Ein paar Kritiker jedoch gibt es noch, die das mediengestützte Zweiparteiensystem gerne aufmischen würden. So wurden die Wahlparteitage beider Parteien von Demonstranten und vom mittlerweile obligatorischen unabhängigen Pressezentrum begleitet. Ende September demonstrierten 1 000 Menschen in San Francisco, wo die National Association of Broadcasters (NAB) das Jahrestreffen der Radioindustrie ausrichtete.

Sie verlangten eine »Demokratisierung der Medien«, wie sie die NAB verhindere, indem sie die Lizensierung kleiner, nicht-kommerzieller Stationen systematisch hintertreibt. Die NAB hatte auch durchgesetzt, dass die Sender im Wahlkampf keine kostenlose Werbezeit zur Verfügung stellen müssen, und damit die Außenseiterparteien aus dem medialen Wahlkampf katapultiert.

Zwei für Amerika - reicht das? Die beiden großen Parteien sagen: ja! Schon im Wahlkampf von 1996 waren sich Republikaner und Demokraten einig, dass ein dritter Diskutant nur stören würde. Bei einer Podiumsdiskussion im Harvard Institute of Politics im Februar nach den Wahlen erklärte Clintons Top-Berater George Stephanopoulos: »Wir wollten nicht, dass die Leute aufmerksam werden (...). Wir wollten, dass die Streitgespräche ein Null-Event sind.«

Damals erwischte es den Kandidaten der rechten Reform Party, Ross Perot, dessen Beteiligung an den Diskussionen 1992 für ein Publikum von durchschnittlich 90 Millionen gesorgt hatte. Perot wurde zur medialen Debatte nicht wieder zugelassen. Die Zuschauerzahlen sanken um mehr als die Hälfte. Die Fernsehsender, denen es natürlich freigestanden hätte, ihre eigenen kontroversen Streitgespräche zu veranstalten, spielten das Spiel der großen Parteien mit und verzichteten sogar auf die Werbeeinnahmen, die ihnen ein größeres Publikum beschert hätte. Was ihnen nicht besonders schwerfiel, da sie das neue Telekommunikationsgesetz von 1996, das ihnen erlaubt, kleinere Radiostationen aufzukaufen, bereits in der Tasche hatten. Zuvor durfte jeder Eigentümer in jeder Stadt nur zwei Radiostationen besitzen, jetzt sind es acht.

Für dieses Jahr hat die Kommission, die die direkten Gegenüberstellungen der Kandidaten ausrichtet, eine elegantere Lösung gefunden. Sie lässt jetzt alle Kandidaten zu, die in den Umfragen mindestens 15 Prozent der Stimmen für sich gewonnen haben. Faktisch ändert sich damit nichts, denn diese Hürde nimmt nicht einmal der Kandidat der Grünen, Ralph Nader, der wegen seiner Popularität als Verbraucherschützer und dank massiven Wahlkampfeinsatzes seit Monaten bei drei bis acht Prozent und damit an dritter Stelle liegt.

Wenn Nader, so seine Unterstützer, an den Streitgesprächen teilnehmen dürfte, wäre der Bann, den ihm die Medien auferlegt haben, gebrochen. Statt mühsam die »wesentlichen Unterschiede« (New York Times) zwischen den beiden Kandidaten in den Bereichen Abtreibung, Sozialversicherung oder Erziehung herauszustellen, kämen auch die Themen des Grünen in die Schlagzeilen: Todesstrafe, Mindestlohn, internationaler Handel, Drogenkrieg in Kolumbien, Sanktionen gegen Irak, Umweltschutz - Themen, bei denen sich Gore und Bush einig sind.

Mit ihrem Anliegen konnten die Open-Debate-Aktivisten bei den großen Networks bisher allerdings noch nicht landen. Die US-Medien setzen auf den bewährten Showdown und verlassen sich auf die Dramaturgie des Duells Mann gegen Mann. Überraschungen wie bei den Gouverneurswahlen 1998 in Minnesota - wo der unabhängige Kandidat Jesse Ventura an den Diskussionsveranstaltungen teilnehmen konnte, obwohl er in den Umfragen anfangs nur bei zehn Prozent lag, worauf er an den beiden Mitbewerbern vorbeizog - sind bei den Präsidentschaftswahlen ohnehin nicht zu erwarten. Und wenn ein aussichtsreicher Kandidat so ganz und gar nicht medientauglich ist - wie der jetzige Vizepräsident Al Gore - helfen die Profis gerne nach.

Im Sommer musste Gore mit ersten Lockerungsübungen beginnen, und er war schon im August locker genug, um seine Gattin vor laufenden Kameras verhältnismäßig stürmisch zu küssen. Einen Kuss vom Kandidaten gab es auch für Oprah Winfrey, allerdings musste die Talkshow-Queen ihn erst dazu auffordern: »No kiss? I was hoping for something like ...«, hieß es, nachdem Gore sie sehr förmlich begrüßt hatte. Dieser besann sich auf seine guten Vorsätze und küsste. Eins zu Null für Bush - er war wenige Tage später in der Show zu Gast und küsste die Talkmasterin unaufgefordert auf die Wange. Die New Yorker Daily News und auch die Qualitätszeitung Washington Post platzierten das Kuss-Bild auf der Titelseite.

Kommen zwischendurch doch einmal die Sachfragen auf den Tisch, wundert sich niemand, wenn die großen Kandidaten gar nicht antworten. Bei einer Wahlveranstaltung von Al Gore in Iowa Ende September erzählte die 79jährige Rentnerin Winifred Skinner, dass sie jeden Tag mehrere Stunden damit verbringe, leere Dosen auf der Straße aufzusammeln, um sich von den fünf Cents Pfand pro Stück ihre Medikamente zu kaufen. Die Szene wurde von allen drei Networks in den Hauptnachrichten übertragen, aber eine Antwort gab der Präsidentschaftskandidat Frau Skinner nicht. Stattdessen umarmte und küsste er sie.