Residenzpflicht für Flüchtlinge

Reisen auf Kaution

Weil er von Nordthüringen nach Südthüringen gefahren ist, steht der Asylbewerber Cornelius Yufanyi vor Gericht.

Es gibt viele Wege, kriminell zu werden. Ein Einkauf im nächstgelegenen Supermarkt, ein Besuch bei den Verwandten oder ein Ausflug mit der Bundesbahn können für ein Bußgeld schon reichen. Voraussetzung: Der Aufenthalt in Deutschland ist nur durch einen laufenden Asylantrag gesichert.

Zu allem Übel gibt es neben der Polizei, die Asylbewerber bei jenen Verstößen ertappt, die Menschen mit deutschem Pass gar nicht begehen können, noch überaus eifrige Bürokraten, die erkunden, wo sich Flüchtlinge aufhalten dürfen und wo nicht. Einer von ihnen ist Manfred Schäfer, Sachgebietsleiter beim Ausländeramt im nordthüringischen Eichsfeld. Im Frühjahr hatte er dem Kameruner Cornelius Yufanyi verboten, den Landkreis zu verlassen, um an einem Flüchtlingskongress in Jena teilzunehmen (Jungle World, 19/00). Nach der so genannten Residenzpflicht habe er nur einmal im Monat das Recht auf eine Reise innerhalb Deutschlands, doch dieses Kontingent sei bereits ausgeschöpft.

Yufanyi reiste trotzdem und gab, in Jena angekommen, der Thüringer Allgemeinen ein Interview über eben jenes Reiseverbot, gegen das die Flüchtlinge auf dem Kongress protestiert hatten. Schäfer las das Interview, kopierte es und leitete es an die Polizei weiter - zum Beweis, dass Yufanyi sich unerlaubt in Jena aufhielt.

Als der Asylbewerber im Januar 1999 nach Deutschland kam, lernte er schon bald Flüchtlinge kennen, die sich gegen die menschenunwürdige Unterbringung wehrten. »Nach zwei Monaten merkte ich, dass ich einer Gruppe angehöre, die in Deutschland nicht gewünscht ist«, erzählt Yufanyi. Wenig später schloss er sich der Flüchtlingsorganisation »The Voice - Africa Forum« an, die gemeinsam mit der »Karawane - Für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen« den Kongress in Jena vorbereite.

Wie Yufanyi wurde unzähligen anderen Flüchtlingen, die Ende April nach Jena fahren wollten, die Reiseerlaubnis verweigert. Denn seit 1982 gilt für Asylsuchende mit laufendem Asylantrag eine Aufenthaltsbeschränkung nach dem Asylverfahrensgesetz - die so genannte Residenzpflicht. Den Bezirk, in dem sie gemeldet sind, dürfen sie nicht verlassen. Selbst Genehmigungen für kleine Reisen sind äußerst schwierig zu erhalten, zuweilen müssen die Flüchtlinge für ihre Spazierfahrt oder den Arztbesuch sogar bezahlen: Zwischen 15 und 20 Mark kostet eine Erlaubnis.

Noch teurer wird es, wenn sie ohne Genehmigung außerhalb des Landkreises ihres Ausländeramtes von der Polizei angetroffen werden. Das passiert schnell, da die Sondergesetze für Flüchtlinge der Polizei genügend Anlass geben, ausländisch aussehende Menschen auf Bahnhöfen oder Raststätten herauszupicken und zu kontrollieren. Wer erwischt wird, dem drohen Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr, Geldstrafen in Höhe von 5 000 Mark oder gleich der Ausweisungsbescheid.

Im nordthüringischen Worbis steht Yufanyi nun am 12. Oktober wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht vor Gericht. 600 Mark Strafe soll er zahlen, doch der Kameruner weigert sich, auch nur einen Pfennig für seine Bewegungsfreiheit auszugeben. Gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Ulrich Klinggräff will er den Prozess offensiv und politisch führen: »Wir wollen dem Gericht sagen, dass ich tatsächlich in Jena war und dass ich mich auch weiterhin in anderen Orten aufhalten möchte, ohne nach einer Erlaubnis fragen zu müssen.« Das Grundrecht auf politische Betätigung lasse er sich nicht nehmen: »In Kamerun wurde ich politisch verfolgt; es kann nicht sein, dass mich jetzt die Asylgesetze in Deutschland daran hindern, mich hier politisch zu engagieren.«

Yufanyi, der an der neunmonatigen Vorbereitung des Jenaer Kongresses im Frühjahr beteiligt war, vermutet beim Verfolgungswahn von Landrat Schäfer politische Hintergründe. Denn der verweigerte ihm nicht nur die Reiseerlaubnis, sondern beschuldigte ihn obendrein, den Landkreis bereits mehrmals ohne Genehmigung verlassen zu haben, um den Kongress vorzubereiten oder anderen politischen Aktivitäten nachzugehen.

Die vergangenen Monate haben ihm gezeigt, dass Verstöße gegen die Residenzpflicht besonders bei politisch Aktiven geahndet werden, die in verschiedene Asylunterkünfte reisen, um mit anderen Flüchtlingen Kontakt aufzunehmen. »Die Behörden suchen - wie in meinem Fall - nach Möglichkeiten, die Leute, die an der Spitze der Kampagne gegen Residenzpflicht stehen, zu bestrafen, um die anderen Flüchtlinge davon abzuhalten, ebenfalls offensiv mit den Geldstrafen umzugehen«, glaubt Yufanyi.

Bis vor den Europäischen Gerichtshof würde er gehen, sollten die deutschen Richter gegen ihn entscheiden - was wahrscheinlich ist. Hatte das Bundesverfassungsgericht doch bereits 1997 erklärt, dass die Residenzpflicht die Grundrechte von Asylbewerbern nicht verletze. Schließlich sei es das Ziel des Gesetzes, so die Karlsruher Richter, die Erreichbarkeit der Flüchtlinge und den Schutz der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten, was ohne strafrechtliche Ahndung eines Verstoßes nicht garantiert werden könnte.

Das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) sieht das ganz anders. Schon mehrfach appellierte es an deutsche Behörden und Gerichte, die Residenzpflicht zu überprüfen, weil sie mit internationalem Recht nicht vereinbar sei. Das Gesetz beschränke die innerstaatliche Bewegungsfreiheit und gefährde die freie Wahl des Wohnortes. Für das bürokratische Argument, damit »die Verschiebung von Sozialhilfelasten« vermeiden zu wollen, gebe es keinen sachlichen Grund.

Bei Appellen an die Behörden möchten es Yufanyi und »The Voice« aber nicht belassen. Sie rufen zu zivilem Ungehorsam gegen die Residenzpflicht auf, die sie als »Apartheid« begreifen. Yufanyi hofft, dass seine Weigerung, nach einer Reiseerlaubnis zu fragen und Bußgelder zu bezahlen, auch für andere Flüchtlinge eine Signalwirkung hat.