Knapp ein halbes Jahr lang waren Beschäftigte eines Recyclingunternehmens im Arbeitskampf

In Espenhain streikt niemand mehr

Knapp ein halbes Jahr lang hatten etwa 100 Beschäftigte des Recyclingunternehmens SRW Metalfloat nahe Leipzig die Arbeit niedergelegt. Nun ist der Streik zu Ende gegangen – mit dem Ergebnis, dass viele der vormals Streikenden nicht mehr in den Betrieb zurückkehren wollen.

Der lange Streik ist vorbei: 180 Tage lang hatten die Beschäftigten des Schrott­recyclingunternehmens SRW Metalfloat in Espenhain, 20 Kilometer südlich von Leipzig, die Arbeit niedergelegt. Sie kämpften für einen Tarifvertrag. Die Geschäftsführung der Muttergesellschaft Scholz Recycling weigerte sich aber, mit der IG Metall darüber zu verhandeln. Deshalb dauerte der Arbeitskampf so lange – und deshalb been­deten die Beschäftigten ihn am 13. Mai.

Die Arbeit beim Recyclingunternehmen ist schweißtreibend: Manche »Schrotter« bedienen Maschinen, andere fahren Stapler, viele sortieren von Hand Metallabfälle nach gut zwei Dutzend Metallsorten und Legierungen. Dabei stehen oder sitzen sie an einem Fließband in Sortierkabinen aus Blech. Im Winter ist es eiskalt und im Sommer kann es mehr als 40 Grad heiß werden. Laut ist es überall. Durch die Luft fliegt Metallstaub, die Sortierer hantieren mit gesundheitsgefährdendem Material. Und für diese Plackerei erhalten die Leute kaum mehr als den Mindestlohn. Viele gehen trotz Vollzeitarbeit mit weniger als 2.000 Euro netto nach Hause, rund 600 Euro weniger als Beschäftigte in vergleichbaren Betrieben.

Seit vergangenem Jahr kämpften sie in Espenhain für einen Tarifvertrag und forderten acht Prozent mehr Lohn, eine Erhöhung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds auf je 1.500 Euro und eine Senkung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 38 Stunden. Sondierungen mit dem SRW-Geschäftsführer Thomas Müller gab es bereits im Frühjahr 2023, danach einen ersten Verhandlungstermin. Dann übernahm die Mutterfirma Scholz Recycling mit Sitz im schwä­bischen Essingen die Verhandlungen. Seit 2016 gehört sie zur Chiho Environmental Group, einem global agierenden börsennotierten Schrottrecyclingunternehmen aus Hongkong. Im ­August 2023 verhandelte die IG Metall erstmals mit Scholz Recycling – ohne ­Ergebnis. Seitdem ging die Geschäftsführung auf kein Angebot der Gewerkschaft ein. Nach mehreren Warnstreiks traten über 100 Beschäftigte am 8. November schließlich in den unbefristeten Streik.

»Mit einem Arbeitgeber, der Gewerk­­­schaften, Mitbestimmung und Rechtssicherheit ablehnt, ist keine verantwortungsvolle sozial­partnerschaftliche Lösung möglich.« Michael Hecker, IG Metall Leipzig

Im Kern geht es in diesem Konflikt nicht um die moderate Lohnerhöhung, für die die »Schrotter« kämpfen. Da sind sich beide Seiten einig. Frank Elsner, Sprecher von Scholz Recycling, sagt der Jungle World: »Was das Entgelt, das Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie die Wochenarbeitszeit angeht, lagen wir im August 2023 nicht weit auseinander. Der Streitpunkt war der Tarifvertrag.« SRW Metalfloat besteht darauf, nicht mit der IG Metall, sondern mit dem Betriebsrat Löhne und Wochenarbeitszeit zu vereinbaren.

»Das entspricht nicht Recht und Gesetz in der Bundesrepu­blik«, erklärt Michael Hecker, Verhandlungsführer und Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig, im Gespräch mit der Jungle World. »Das Entgelt und die ­Wochenarbeitszeit können nicht mit dem Betriebsrat ver­ein­bart werden. Verbindlich ist nur ein Tarifvertrag zwischen Unternehmen und Gewerkschaft.« So steht es im Betriebsverfassungsgesetz. Im Zweifel kann man sich nur den in Tarifverträgen festgelegten Lohn einklagen – das wissen auch die »Schrotter«.

Endlich nach Tarif bezahlen

Je länger der Arbeitskampf dauerte, desto größer wurde das öffentliche In­teresse: Vor dem Werkstor stand bis Ostern ein Streikcontainer, der durchgängig von den Streikenden besetzt war. Die vom Rauch der Feuertonne schwarz gefärbte Fahne der IG Metall am Streikcontainer wurde zum Symbol für das Durchhaltevermögen der Beschäftigten. Allerlei Prominenz schaute bei der Streikversammlung vorbei, darunter die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner, die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), Gregor Gysi (Linkspartei), die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang und die beiden SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken.

79 Bundestagsabgeordnete forderten in einem offenen Brief, die Beschäftigten endlich nach Tarif zu bezahlen. Teams zahlreicher Medien fuhren ins sächsische Espenhain. Selbst die New York Times berichtete. Gewerkschafter überbrachten Solidaritätsschreiben und Spenden an die Streikenden. Zum 100. Streiktag betonte Kathrin Kroll, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von SRW Metalfloat, wie wichtig die Unterstützung war: »Besonders die hohe Solidarität aus vielen Teilen der Republik macht uns sprachlos und stärkt uns den Rücken.«

Der letzte Akt in diesem langen Schauspiel begann am 6. Mai. Die »Schrotter« wollten den Streik unterbrechen und wieder an die Arbeit gehen. Im Gegenzug erwarteten sie von der Geschäftsführung, dass sie sich auf Gespräche über einen Tarifvertrag einlässt. Die aber reagierte ganz anders: Am Morgen fanden die Beschäftigten einen Aushang am Werkstor, der mitteilte, dass sie ausgesperrt werden. Das heißt, dass das Unternehmen die Beschäftigten nicht an die Arbeit gehen lässt – und ihnen keinen Lohn zahlt.

Selbst zur Ausssperrung griff das Unternehmen

Dieses Mittel des Arbeitskampfs wurde früher häufiger eingesetzt, um die Kosten eines Streiks für die Gewerkschaften in die Höhe zu treiben, weil sie mehr Leuten Streikgeld zahlen müssen – oder um den Konflikt zwischen streikenden Gewerkschaftsmitgliedern, die Streikgeld erhalten, und streik­brechenden Nichtmitgliedern, die kein Streikgeld, bei einer Aussperrung aber auch keinen Lohn mehr erhalten, zu verschärfen. Seit den achtziger Jahren sind Aussperrungen in der Bundesrepublik aber selten geworden.

SRW Metalfloat sperrte allerdings nicht alle Beschäftigten aus, sondern nur diejenigen, die Anfang Mai im Streik waren. Das Unternehmen begründete diesen Schritt damit, dass die Streikenden nicht kurzfristig wieder in den Betrieb integriert werden könnten. Deren Verhandlungsführer Hecker widerspricht im Gespräch mit der Jungle World: »Wir haben Vorschläge gemacht, wie der Wiedereinstieg der Kolleginnen und Kollegen reibungslos gelingen kann. Diese wurden ausgeschlagen. Das Unternehmen wollte die Eskala­tion.«

Vor sieben Jahren war Sachsen noch Schlusslicht unter den Bundesländern - für gerade mal 39 Prozent aller Beschäftigten galt ein Tarifvertrag. Mittlerweile sind es 43 Prozent. 

Am 13. Mai stimmten schließlich die streikenden »Schrotter« in einer Urabstimmung dafür, den Streik zu beenden. »Wir sind aus einer Position der Stärke in den Streik getreten und haben ihn aus einer Position der Stärke beendet«, sagt Hecker der Jungle World. Die Beschäftigten standen bis zum Ende zusammen. Dass der Streik dennoch beendet wurde, erklärt er so: »Mit einem Arbeitgeber, der Gewerkschaften, Mitbestimmung und Rechts­sicherheit ablehnt, ist keine verantwortungsvolle sozialpartnerschaftliche Lösung möglich.« Wie aber lassen sich Unternehmen in die Tarifbindung bringen, die Gewerkschaften prinzipiell nicht als Verhandlungspartner an­erkennen wollen? Darüber wird nicht nur die IG Metall noch mehr diskutieren müssen. Denn einige Unternehmen verhalten sich ähnlich gewerkschaftsfeindlich – Amazon, Tesla und Lieferando sind die bekanntesten Beispiele.

Und wie geht es für die »Schrotter« weiter? Das Unternehmen kündigte an, die Streikenden ab dem 21. Mai nach und nach wieder in den Betrieb einzugliedern. »Die Kolleginnen und Kollegen sind sehr gefasst. Sie wissen, was sie wert sind«, erzählt Hecker im Gespräch mit der Jungle World. Viele der vormals Streikenden wollen nicht mehr in den Betrieb zurückkehren, sondern in Betriebe mit Tarifbindung wechseln. Davon gibt es allmählich mehr. Vor sieben Jahren war Sachsen diesbezüglich noch Schlusslicht unter den Bundesländern, für gerade mal 39 Prozent aller Beschäftigten galt ein Tarifvertrag. Mittlerweile sind es 43 Prozent. Der Grund dafür: Beschäftigte, die gewerkschaftlich aktiv werden und streiken.