Roland Claus, Fraktionsvorsitzender der PDS im Bundestag

»2006 minus x«

Die Mehrheit war überwältigend. Mit über 90 Prozent wählten die PDS-Delegierten am Wochenende Gabriele Zimmer an die Spitze ihrer Partei. In Cottbus kündigte die neue Vorsitzende an, die Kooperation mit der SPD auf allen Ebenen auszubauen. Als Probelauf für eine Regierungsbeteiligung auch auf Bundesebene, die in der Partei kaum noch auf Ablehnung stößt, gilt das 1994 gestartete »Magdeburger Modell«. Parlamentarischer Geschäftsführer der sachsen-anhaltinischen Landtagsfraktion war damals Roland Claus, der die Tolerierung der SPD durch die PDS in die Wege leitete. Anfang des Monats wurde der 56jährige als Nachfolger Gregor Gysis zum Vorsitzenden der Bundestagsfraktion gewählt.

Der erste Parteitag in Westdeutschland war ein Fiasko für die PDS-Führung. In Münster lehnten im April mehr als zwei Drittel der Delegierten den Vorstandsantrag ab, Uno-Kampfeinsätzen im Einzelfall die Zustimmung zu erteilen. Diesmal zog sich die PDS in den östlichsten Zipfel der Republik zurück. War's das mit der Westausdehnung?

Keineswegs. Auch wenn wir in Münster nicht die Nachrichten produziert haben, die wir uns gewünscht hätten, werden wir in den alten Ländern selbstverständlich wieder Parteitage abhalten.

Von Westausdehnung hat in Cottbus niemand mehr gesprochen.

Das ist auch der falsche Begriff. Dahinter steht doch die Idee, die Kultur des Ostens dem Westen überzustülpen. Das aber wäre das Gegenstück zu dem, was wir im Vereinigungsprozess erleben - wo es auch nicht funktioniert hat. Es ist aber sicherlich richtig, dass wir mehr bundesweite Themen in den Mittelpunkt unserer Politik stellen müssen, gerade um die jüngeren und unbefangenen Leute zu gewinnen, die nicht mehr direkt vom Kalten Krieg beeinflusst sind.

Sie sind seit längerem als dezidierter Befürworter von PDS-Regierungsbeteiligungen auch auf Bundesebene bekannt. Warum haben Sie es so eilig mit der Teilhabe an der Macht?

Das ist eine Debatte, die uns gerade in letzter Zeit vor allem von den Medien aufgedrängt wurde, obwohl realistische Optionen für eine SPD-PDS-Koalition im Bundestag vor 2002 überhaupt nicht existieren. Ich bin trotzdem der festen Überzeugung, dass gesellschaftliche Mehrheiten für eine Mitte-Links-Politik nicht auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden dürfen. Deshalb nenne ich als Zieldatum, bis zu dem eine rot-rote Regierung in Berlin konkrete Konturen annehmen könnte, das Jahr 2006 minus x. Zunächst aber geht es darum, den gesellschaftlichen Druck auf Rot-Grün zu verstärken. Dazu muss die PDS auf einen Mix aus Gestaltung, Kompromiss und Verweigerung setzen. Meine größte Sorge allerdings ist, dass sich außerparlamentarische Opposition nicht wie bislang im linken und alternativen Bereich festmacht, sondern auf der anderen Seite.

Was wollen Sie eigentlich in einer rot-roten Regierung? Man muss sich doch nur anschauen, wie die PDS die Steuerreform monatelang als unsozial kritisiert hat und dann im Bundesrat dem rot-grünen Entwurf doch zustimmte, um zu erkennen, dass es der Partei nicht mal mehr um sozialdemokratische Positionen geht.

Wir haben dieser Steuerreform bundespolitisch eine klare Absage erteilt.

Im Bundesrat stimmte die rot-rote Regierung Mecklenburg-Vorpommerns dem Vorhaben zu.

Auch dort hing der Erfolg der Reform nicht allein an unseren Stimmen, und was wir für das Land erreicht haben, ist nicht wenig. Es gibt aber keinen Grund, diese Entscheidung in einen Triumph umzuwandeln.

Geht die PDS bei der Rentenreform denselben Weg: Ablehnung im Bundestag, Zustimmung im Bundesrat?

Eher nicht. Leider ist die SPD noch nicht so weit, sich inhaltlich in zwei oder drei Punkten auf die PDS einzulassen, wofür wir uns im Gegenzug der Stimme enthalten könnten.

Das würden Sie sich wünschen?

Von Wünschen kann keine Rede sein, Politik ist nun mal so. Man kann nicht nur vor seine Wählerinnen und Wähler treten und sagen, Leute, wir waren nicht schuld. Unsere Anhänger erwarten von uns, dass wir etwas verändern in ihrem Leben.

Die Frage ist nur wie? In einem Gespräch mit dem FDP-Generalsekretär Westerwelle haben Sie zuletzt sogar auf Gemeinsamkeiten zwischen FDP und PDS verwiesen. Wo sollen die denn liegen?

Die Bewahrung von Grund- und Freiheitsrechten ist ein urliberales Anliegen, das die PDS durchaus unterstützen kann. Abgesehen davon stimmen wir im Bundestag ziemlich oft miteinander ab.

Sie haben sich in den letzten Wochen mehrfach für eine Plattform aller demokratischen Parteien gegen den Rechtsextremismus stark gemacht. Andere in der PDS, die Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt etwa, betonen, dass man nicht gemeinsam mit denen demonstrieren sollte, die durch Sozialabbau und Äußerungen gegen Ausländer die Grundlagen für das Erstarken der Neonazis erst gelegt haben.

Ich bestreite gar nicht, dass das weiterhin kritisiert werden muss und habe auch keine Differenzen mit Angela Marquardt, wenn es darum geht, die Verantwortung der demokratischen Konservativen für gewisse Entwicklungen kenntlich zu machen. Ich denke nur, dass die Akzeptanz rechten Gedankenguts kein Randproblem, sondern schon so weit in der Gesellschaft verankert ist, dass es sich ohne breite Bündnisse nicht lösen lässt. Wir dürfen einfach nicht die Fehler von 1933 wiederholen, als das Kleinbürgertum kampflos der faschistischen Rechten überlassen wurde. Das geht nicht ohne die demokratische Rechte. Dass die CDU das noch nicht begriffen hat, ist eine andere Frage.

Gleichzeitig kommen Sie vielleicht schon nächstes Jahr in die Situation, in Brandenburg den jetzigen Innenminister und CDU-Rechtsaußen Schönbohm durch einen PDS-Kandidaten ersetzen zu müssen. Sie glauben doch selbst nicht, dass der unter Ministerpräsident Stolpe antirassistische und antifaschistische Politik wird machen können.

Politik ist nicht auf das Thema Kampf gegen Rechtsextremismus zu verkürzen. Es ist aber so wichtig, dass die CDU da unter Druck gesetzt werden muss, sich nicht einfach rauszuhalten.

Auch in der PDS ist eine Debatte über nationale Positionen innerhalb der Partei entbrannt. Zwar zog der Bundestagsabgeordnete Wolf seinen Vorwurf zurück, der Leitantrag des Vorstandes für Cottbus enthalte Versatzstücke eines »völkischen Antikapitalismus«. Muss die PDS sich nicht trotzdem erst einmal mit ihrem eigenen Nationalismus auseinander setzen?

Durch die unseligen Behauptungen der letzten Zeit ist diese Frage zu einem Reizthema geworden, über das man kaum noch diskutieren kann. Das Problem ist doch, dass man sich, um die Gesellschaft zu verändern, in sie hineinbegeben muss. Man gewinnt Menschen nicht für eine bessere Welt, indem man sie bekämpft oder verschreckt, sondern nur, indem man auf sie zugeht. Das berührt irgendwann auch die Frage, ob es Linke schaffen, sich über einen Sieg der deutschen Nationalmannschaft freuen zu können. Mir fällt das so schwer nicht.

In Sachsen hat sich Christine Ostrowski 1993 nicht über einen Sieg der Nationalmannschaft gefreut oder sich mit Offensivspielern der Nationalmannschaft getroffen. Sondern sie ist gemeinsam mit Funktionären der Nationalen Offensive zu der Einsicht gelangt, dass in ihren sozialen Forderungen keine Unterschiede festzustellen seien.

Das fand ich auch nicht gut. Es muss Grenzen geben, mit wem man spricht und mit wem nicht. Das fängt für mich bei der Jungen Freiheit an, weil dort auf raffinierte Weise rechtsextreme Gedanken salonfähig gemacht werden. Interviews dort gehören geächtet - sie liegen außerhalb jedes demokratischen Konsenses.

Einerseits war auf diesem Parteitag in jeder zweiten Rede vom »sozialistischen Profil« die Rede, das die PDS ausprägen müsse, andererseits verweigert sich die Partei einer Debatte über »völkischen Antikapitalismus« in den eigenen Reihen. Dabei sind doch gerade hier die Schnittmengen zwischen linken und rechten Globalisierungsgegnern so groß.

Das sind meines Erachtens keine Schnittmengen. Die Ablehnung ergibt sich schließlich in beiden Lagern aus grundsätzlich verschiedenen Motiven. Im Gegensatz zu den Rechten freuen wir uns etwa auf das gemeinsame Europa, wir weisen nur auf die Gefahren hin. Der Parteispitze daraus den Vorwurf zu drehen, sie vertrete einen völkischen Antikapitalismus, ist perfide. Letztlich ist es auf Seiten der Absender solcher Vorwürfe nichts anderes als ein taktischer Versuch, eigene Ziele innerhalb der Partei durchzusetzen.