Deutschland und der Nahe Osten

Tornados über Tel Aviv

Die Empörung deutscher Politiker und Journalisten über die Angriffe von Neonazis auf jüdische Einrichtungen in Deutschland war kaum verhallt, als deutsche Kommentatoren schon wussten, wer für die Übergriffe auf Menschen und Einrichtungen in und um Israel verantwortlich ist: Ariel Scharon. »Er trampelte auf dem Tempelberg herum, wo er nichts verloren hatte«, meinte ein Nahost-Experte der ARD und der Tagesspiegel beklagte sich über Scharons »herrisches Auftreten«. Folglich ist er der »Brandstifter« (Süddeutsche Zeitung) und ein »Terrorist« (Die Zeit). Verständnisvoll bemerkte die taz: »Den meisten PalästinenserInnen gilt schon seine Existenz als Provokation.«

Ist ein einzelner Jude erst zum Abschuss freigegeben, so kann sich das antisemitische Ressentiment entladen, ohne sich verdächtig zu machen. Wie zuvor Benjamin Netanyahu liefert Scharon die ideale Gelegenheit, das Ressentiment als Friedenswunsch erscheinen zu lassen. Wenn man die Kommentare um den Namen Scharons kürzt, wird der antisemitische Subtext erkennbar: Den meisten Palästinensern gilt die Existenz Israels als Provokation, die Juden haben auf dem Tempelberg nichts verloren, sie sind Terroristen und treten herrisch auf.

Der Likud-Vorsitzende hat es bewusst einkalkuliert, dass die Palästinenser seinen Besuch als Provokation auffassen würden. Das ist ebenso zu kritisieren wie die häufig mehr militaristisch denn politisch motivierten Reaktionen von Ehud Barak. Dass aber diese Provokation für Yassir Arafat ein willkommener Vorwand war, um seine Ablehnung der weitreichenden Zugeständnisse Baraks in Camp David vergessen zu machen, dass es eine Einheit seiner Fatah war, die in Jerusalem die Startschüsse abfeuerte - all das spielt für deutsche Medien keine Rolle. Die Palästinenser sind provoziert worden.

Gelegentlich ahnt man, dass der vierzigminütige Tempelberg-Besuch eine dürftige Erklärung ist. Kurzerhand wird allein Israel die Verantwortung dafür angelastet, dass weder der im Osloer Vertrag angepeilte israelische Truppenabzug im vorgesehenen Umfang stattfinden noch der Zeitplan für die Lösung der strittigen Fragen eingehalten werden konnte.

»Die Jugendlichen haben die Schnauze voll vom Verhandeln, sie wollen handeln«, kommentierte einfühlsam der ARD-Journalist Peter Mezger. In einem Land, das wegen ein paar RAF-Anschlägen in kollektive Hysterie verfiel, kommt niemand auf die Idee, dass auch die seit 1993 verstärkten Terroraktionen der Palästinenser ihren Anteil am aktuellen Desaster haben.

Als Jugoslawien das Recht abgesprochen wurde, sich gegen Terrorismus zu wehren, war es Ariel Scharon, der davor warnte, Israel könne das nächste Ziel einer »humanitären Intervention« werden. Noch verlangt zwar niemand einen Militärschlag gegen Israel, um nach dem Kosovo auch die Westbank von Juden zu säubern. Sollten sich aber die USA von Israel distanzieren, könnte sich in Deutschland der Ruf nach Frieden schnell in den Ruf nach einem Friedenseinsatz verwandeln. Auch hier könnte man sich auf die deutsche Geschichte berufen, auf eine »besondere deutsche Verantwortung für die Palästinenser«, die Helmut Schmidt schon während seiner Kanzlerschaft entdeckte.

Israel ist für die Juden in aller Welt das einzige verlässliche Refugium vor antisemitischen Attacken. Wer den Antisemitismus bekämpfen will, sollte diese Bedeutung Israels erkennen. Auch im Kriegsfall.