Antisemitismus der extremen Rechten

Walsers Kostümnazis

Militante Antisemiten stehen nicht außerhalb gesellschaftlicher Diskuse - sie profitieren von ihnen.

In der Süddeutschen Zeitung hat Richard Chaim Schneider jüngst die »Sonderbehandlung« der Juden als »ðFremdeÐ erster Klasse« kritisiert. Nicht ohne Grund zitierte er das Nazi-Wort »Sonderbehandlung«. Denn der »pompöse(n) Aufwertung der Juden« durch den Bundeskanzler stehe gegenüber, dass das offizielle Deutschland nicht mit gleichwertigen symbolischen Gesten beispielsweise auf den Mord an einem Afrikaner in Dessau reagiert habe. Gewiss, Schneider macht sich keine Illusionen über den offiziell zur Schau getragenen Anti-Antisemitismus. Dennoch lässt seine Intervention übersehen, dass sich die Mitte der Gesellschaft, etablierte Politik und Mainstream-Medien in der Frage des Antisemitismus weit mehr zu Schulden kommen lassen als unbeteiligtes Schweigen oder jenen besonderen Umgang mit jüdischen Repräsentanten, der eben deutlich macht, so Schneider, »wie wenig wir ðhierherÐ gehören«.

Dies zeigt sich gerade in den Ratschlägen zum Umgang mit der extremen Rechten in den Feuilletons. Michael Jeismann meinte in der FAZ, die Totschläger und Menschenhetzer nähmen NS-Ideologie »allenfalls rudimentär« zur Kenntnis und folgerte, es sei »das Nicht-Diskursive, das wir heute anschauen sollten, wo die Schläger und Brandstifter agieren«. Hier wird das Bild vom hirnlosen Nazi verbreitet, der ohne Wahrnehmung des aktuellen Geschehens, außerhalb des gesellschaftlichen Diskurses stehend und allenfalls minimal in einen ideologischen Diskurs verstrickt, quasi autistisch Gewaltakte verübt. So leicht und entlastend sich dies in einer »Zeitung für Deutschland« liest, so falsch ist es.

Nun darf man nicht im Umkehrschluss jeden rechten Propagandisten, der schwadronierend seine Alphabetisierung nachweist, gleich für einen hochintellektuellen Kopf halten. Aber eine einigermaßen regelmäßige Lektüre der rechtsextremen Publizistik und der Web-Seiten der militanten Kameraden zeigt, dass die extreme Rechte sehr schnell und mitunter propagandistisch geschickt auf jede antisemitische Zuckung im Medien-Mainstream reagiert. Wird im medienpolitischen Diskurs das Sagbarkeitsfeld in Sachen Antisemitismus ausgeweitet, sind die Nazis sofort da, um ihre Furchen zu ziehen.

Alle Debatten der letzten Jahre über den Umgang mit der deutschen Vergangenheit zeigen das. Hier wurden im Sog des »sekundären Antisemitismus«, demzufolge »die Juden« mittels Zwang zur Erinnerung an die Shoah Deutschland unter der Knute halten, antisemitische Ressentiments mobilisiert. Dies gilt für den Streit um Goldhagens Buch »Hitlers willige Vollstrecker«, die Debatte über die Ausstellung »Vernichtungskrieg« und für die Kontroverse zwischen Martin Walser und Ignatz Bubis. »Tabubrüche« wurden in Serie produziert. Was bis dahin mühsam, doch einigermaßen effektiv in der Latenz gehalten wurde, brach wieder durch, ohne gesellschaftlich sanktioniert zu werden. Den Tiefpunkt erreichte diese deutsche Debattenkultur mit Walser. Nach Bubis' Tod stellte Manfred Roeder in seinem Rundbrief Deutsche Bürgerinitiative erfreut fest, Bubis sei an Walser gestorben, und wünschte sich mehr Männer vom Schlage Walsers.

Genau auf dieser Schiene hofft die in Deutschland mittlerweile leicht in die Defensive geratene extreme Rechte wieder voranzukommen; Walser und der Hallenser CDU sei Dank. Beim Hamburger Nationalen Infotelefon (NIT), das von Kamerad André Goertz betrieben wird, war am 7. Oktober unter der Schlagzeile »Frechheit: Zentralrat fordert schon wieder Zensur« eine Meldung zu lesen. Mit »Zentralrat« ist selbstverständlich der »der Juden in Deutschland« gemeint. Die »Frechheit« besteht in Paul Spiegels kurz zuvor geäußerter Kritik am Vorschlag der Stadt Halle, Walser mit dem von den »Luther-Städten« verliehenen Preis »Das unerschrockene Wort« auszuzeichnen. »Diese Form der Heuchelei ist unglaublich: Während sie (jüdische Verbände und Gemeinden; A.S.) von anderen ständig Toleranz fordern, sind sie selbst mit Boykottdrohungen und Zensurforderungen schnell bei der Hand.« Der Bogen zu Norman Finkelsteins skandalösem Buch »The Holocaust Industry«, das seit Wochen auch in Blättern wie Freys National-Zeitung, der Jungen Freiheit und dem Ostpreußenblatt abgefeiert wird, ist schnell geschlagen: »Erst vor wenigen Wochen war der Zentralrat gegen die geplante deutschsprachige Ausgabe des Buches (...) zu Felde gezogen.« Auf der Linie der Walser-Feier Ende 1998 sieht das NIT »in dem Vorschlag Walsers eine verdiente Würdigung, weil Walser als einer der wenigen Persönlichkeiten der BRD mutig und unerschrocken Wahrheiten aussprach, die aufgrund des Zeitgeistes tabuisiert sind. Walser hatte ein Ende der übermäßigen Vergangenheitsbewältigung angeregt und von einer ðInstrumentalisierung von AuschwitzÐ zu gegenwärtigen Zwecken gesprochen.«

Als Rettungsanker dient Walser auch anderen rechten Publikationen. Die Junge Freiheit gibt sich in ihrer aktuellen Ausgabe einige Mühe, den antisemitischen Charakter antisemitischer Akte zu leugnen und sie der 68er-Kulturrevolution in die Schuhe zu schieben. Auch Walser findet wieder viel Zuspruch: Unter der Headline »Kritik, die nicht vergehen will«, die an Ernst Noltes Aufsatztitel im Historikerstreit anspielt, zitiert die JF ihn mit den Worten: »Leute, die Molotow-Cocktails schmeißen, kennen meine Texte nicht. Ich reiche nicht über das Feuilleton hinaus.« Woher Walser das wissen will, bleibt sein Geheimnis. Im FAZ-Gespräch mit Ignatz Bubis im Dezember 1998 hatte der Propagandist des »Wegsehens« die enthusiastische Reaktion der extremen Rechten auf seine Paulskirchen-Rede handstreichartig weggedacht: »Entschuldigung, nein, ich nehme das nicht zur Kenntnis. (...) Für mich existiert die Nationalzeitung nicht.«

Ähnlich simpel hatte Walser zuvor in einem Essay den (Neo-)Nazismus der militanten Nazis weggezaubert. Für ihn waren das lediglich »Jugendliche, die ihren Protest so krass wie möglich kostümieren« und erst von den Medien zu »Rechtsradikalen« gemacht würden. Walsers Einsichtslosigkeit bräuchte nicht weiter zu kümmern, wenn nur gesellschaftlich erkannt würde, dass sich die Nazis von heute mit Walser kostümieren.