Xenophobie im 'Spiegel'

Warum früher alles besser war

Ariane Barth versorgt die Leser des Spiegel regelmäßig mit neuen Fortsetzungen eines völkisch grundierten Gruselromans. Ob Hamburger oder Berliner Problemviertel: Die Bedrohung kommt aus der Fremde.

Am Rande des Hamburger Sozialhilfe-Gettos Wilhelmsburg liegt eine schmucke Siedlung mit Einfamilienhäusern. Wer dort wohnt ist deutsch und hat, so stand es kürzlich im Spiegel, einen abwechslungsreichen Alltag. Er »kann an einem Tag erleben, dass ihm ein einheimischer Alkoholiker vor die Füße kotzt, eine willenlose Drogenabhängige aus dem Gebüsch gezogen wird, ein eher deutsch aussehender Passant mit knallrotem Schlagring an der Faust psychopathisch durch die Luft boxt, zwei Dutzend Türkenjungen den Weg in die S-Bahn versperren, der Sohn mit einem blauen Auge durch einen Faustschlag von einem Afghanen aus der Schule kommt und der Frau von einem farbigen Radler die Tasche fast weggenommen worden wäre, wenn sie die nicht festgehalten hätte.« Die deutschen Siedler sehen aber noch »eine neue Gefahr aufziehen. Aufstrebende Türken haben ein Auge auf die frei werdenden Häuser geworfen«. Die Türken, so wird der Vorsitzende des Siedlervereins zitiert, »bieten 10 bis 15 Prozent mehr, und sie kommen mit Bargeld im Koffer«.

Die Autorin der Geschichte über den »Hinterhof Hamburgs« ist die Spiegel-Redakteurin Ariane Barth, eine Spezialistin für Missstände, bei denen Ausländer eine Rolle spielen. In ihren Artikeln kommen viele Leute vor und zu Wort. Auf einer Journalistenschule würden sie wohl als Reportagen gehandelt. In Wirklichkeit haben wir es mit Unterhaltungsliteratur zu tun, genauer: mit einem völkisch grundiertem Gruselroman in verschiedenen Fortsetzungen. Der Titel könnte lauten: Invasion aus der Fremde. Und der passende Untertitel hieße: Warum früher alles besser war.

Barths Roman handelt von der Zerstörung einer heilen Welt und er schreibt sich von alleine. Seit über zehn Jahren läuft sie in Berliner und Hamburger Problemvierteln herum und notiert, wie sich die Bewohner fühlen, was im örtlichen Polizeibericht steht und was die Sozialarbeiter dazu sagen. Heraus kommt immer, dass die Leute doppelt bedroht sind. Einerseits z.B. durch einen »Alptraum von Stadtplanung«, durch »Planungsirrsinn«, durch »Strukturwandel« und die »Arbeitslosigkeit«, die sich »wie ein Krebs in der Gesellschaft festgefressen hat«. Lauter anonyme Prozesse und Sachverhalte also, die der normale Deutsche als unabänderliches Naturschicksal hinzunehmen gewohnt ist, als gesichtslose Bedrohung.

Aufgeklärte soziologische Kompetenz vortäuschend, simuliert Barth eine gewisse Distanz zu den meist einfach gestrickten Protagonisten ihres Romans. Die dürfen dann eine andere Bedrohung beim Namen nennen. So wie der Filialleiter eines Pennymarktes im Hamburger Karolinenviertel, das so »manche sozialschädliche Missetat« (Barth, im Spiegel, 42/91) einer »Horde« von Roma-Kindern ertragen musste: »Die Gedanken sind frei. Was kann ich dafür, daß mir beim Anblick dieser Zigeunergören der Gedanke an Gasöfen kommt.« Oder die Mutter von »Michi«, der in der Wilhelmsburger Schule Schwierigkeiten hatte: »Aber den Türken, Albanern und Jugoslawen, die in der Schule rotzig bis zum Gehtnichtmehr waren, ihre Lehrer beschimpften und bespuckten und auch noch oft schwänzten, ja, denen wurde das Abschlusszeugnis hinterhergeworfen« (44/00). Dass sich schon niemand mehr traut, die Ausländer in die Schranken zu weisen, beklagt auch Sanitärtechnikmeister Burger: Die »türkische Parallelgesellschaft«, dieses »fundamentalistische Gebilde, dieses Stück fremder Staat im Staat passt einfach nicht hierher, auch wenn die Schaumschläger von Politikern noch so sehr von Integration faseln« (44/00).

Überhaupt lässt Barth in ihrem Roman mit Vorliebe solche Zeugen aufmarschieren, deren Statements programmatische Qualität haben. Eine Sinologiestudentin, die beobachtet habe, wie eine »Greisin von sechs Roma-Jungen naßgepinkelt wurde«, habe sich eingemischt »und rief den davonflitzenden Übeltätern noch nach, sie schürten den Ausländerhaß« (42/91). Ein seinerzeit im Karolinenviertel kursierendes anonymes Flugblatt warnte laut Barth die Roma-Truppe davor, normale Deutsche ständig als »Nazis« zu bezeichnen und bot an: »Wenn ihr wissen wollt, was Nazis wirklich sind, wären wir möglicherweise bereit, Euch welche vorzustellen.« Reihenweise treten natürlich die Anhänger des bekannten, depressiv gepolten Volk-ohne-Raum-Programms auf, etwa der resignierte Wilhelmsburger Großvater, der sich auf seine alten Tage »wie im Ausland« bzw. »fremd im eigenen Land fühlt« (44/00).

Nachdem 1991 Barths Geschichte über den Terror der Roma-Kinder im Karolinenviertel erschienen war, machte sich Oliver Tolmein die Mühe, die Recherchen der Spiegel-Redakteurin zu überprüfen. In einem Artikel für konkret wies er nach, dass Barth mit Fakten und den Statements ihrer Zeugen recht frei umgegangen war. Barth habe, so Tolmein sinngemäß, aus rassistischen Motiven ein völlig überspitztes Bild sowohl der Roma-Kinder als auch der Anwohner-Reaktionen gezeichnet.

Das mag richtig sein, allerdings greift die Feststellung, die Autorin betreibe besonders üblen und handwerklich fragwürdigen Journalismus, zu kurz. Barths Antrieb ist das xenophobe Ressentiment jener Spiegel-lesenden Mittelschichten, die in den Erzählungen aus den fernen sozialen Brennpunkten ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt finden. Damit das Ressentiment nicht als solches, sondern als Bemühen um Aufklärung erscheint, ist Barth - stellvertretend für ihre Leser - ständig unterwegs und sammelt handfeste Beweise dafür, dass sich die Ausländer durch ihr eigenes Fehlverhalten in Misskredit bringen und Fremdenfeindlichkeit als Reflex und Reaktion der Bedrohten aufkommt. Die mit journalistischen Mitteln erzeugte Authentizität des Getto-Plots ist dabei insofern erlogen, als Barth selbstverständlich auch in bayrischen Weilern oder hessischen Kleinstädten jederzeit beliebig viele Zeugen für die Volksweisheit finden würde, zu viele Ausländer seien nicht gut für Deutschland.

Barths Neigung zur Romantik verbindet sich aufs vollkommenste mit ihrer Mission. Im Rückblick auf die Idylle vergangener Tage wird ganz von allein deutlich, wie fragil die deutsche Existenz unter dem Ansturm der Fremden geworden ist. Als Barth 1997 in einer Titelgeschichte darüber berichtete, dass »Tirana-Albaner«, »Kosovo-Albaner«, Mitglieder einer »reisenden Unterwelt des Ostens«, aus »den unerschöpflichen kurdischen Sippen« stammende Heroin-Händler, die »Wucht des organisierten Verbrechens polnischer Herkunft«, »auffällig viele Russen«, »Killer der sizilianischen Mafia« und natürlich »Türken« dabei seien, mit brutalsten Mitteln die Macht im Hamburger Reeperbahn-Kiez zu erobern, kullerten viele Tränen. »Früher«, als die deutschen Gangster noch unter sich waren, lässt Barth einen Kenner der Szene sagen, »hat man sich geschlagen«, heute seien bei Auseinandersetzungen immer Messer und Pistolen im Spiel. »Die einheimische Unterwelt«, so Barths Echo, »steht unter herbem Konkurrenzdruck (...). Die Waffen verdrängten das klassische Faustrecht.« Faustrecht ist ehrlich und deutsch.

Ähnlicher Kitsch findet sich im jüngsten Bericht über Wilhelmsburg, wo der Sanitätstechniker Burger von lauter Türken umzingelt ist: »In Stübens Gesellschaftssälen, wo Burger einst mit den ausgemergelten Nachkriegskindern erst einen Löffel Lebertran und dann die Köstlichkeiten der Schwedenspeisung bekam, wo er als junger Mann Maskeraden feierte und in den Mai tanzte, da befindet sich heutzutage der Marmara-Hochzeitssaal.« Aus und vorbei: »Da feiern heute türkische Paare, die oft mit Geldscheinen behängt sind, im Kreis von vielen hundert Gästen rauschende Hochzeiten ...«

Ariane Barth hat übrigens 1993 einmal einen kritischen Aufsatz über »Lügen und Wahrheit in der Politik« geschrieben. Hannah Arendt zitierend, stellte sie dort fest: »Je erfolgreicher einer lügt und je mehr Menschen er überzeugt, desto mehr Aussicht besteht, daß er am Ende an seine eigenen Lügen glaubt.« Das klingt wie ein Schlusssatz.