Antanzen in Zagreb

Beim Balkan-Gipfel der EU präsentierten sich die Beitrittskandidaten von ihrer kooperativen Seite. Allerdings haben nur Slowenien, Mazedonien und Kroatien eine Chance, vor dem Jahr 2020 aufgenommen zu werden.

Schade, dass nicht alles, was Gegner der Europäischen Union den Brüsseler Bürokraten vorwerfen, stimmt. Denn dann wäre es seit dem Wochenende nicht nur um die Expansionsbestrebungen des west- und nordeuropäischen Kapitals schlecht bestellt, auch Nationalisten aller Länder müssten fürchten, dass es ihnen nun bald an den Kragen geht. Insbesondere dort, wo man am wenigsten damit gerechnet hätte: auf dem Balkan.

Weit hatten sich die Außenminister und Regierungschefs der 15 EU-Staaten Ende letzter Woche zurückgezogen - zum ersten Gipfel außerhalb eines Mitgliedslandes. Doch der Empfang in der kroatischen Hauptstadt Zagreb fiel frostig aus: Rund 300 rechte Demonstranten warfen der Union vor, mit ihrer großzügigen Unterstützung für Vojislav Kostunica auf eine Wiederherstellung des jugoslawischen Staatenverbundes unter sozialistischen Vorzeichen hinzuarbeiten. So absurd der Vorwuf auch scheint, sah sich daraufhin selbst Großbritanniens Premier Tony Blair genötigt, die Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten in Belgrad zu verteidigen, was aber nicht bedeute, »das alte sozialistsche Jugoslawien wiederzubeleben«.

Die kroatischen Rechten jedoch ließen sich nicht beschwichtigen. Kostunica solle sich erst einmal für die serbischen Verbrechen während der Balkankriege entschuldigen, ehe ihm Millionen an Euro überwiesen werden. So jedoch machten sich die Europäer mitschuldig, wenn die Versöhnung zwischen Jugoslawien und Kroatien weiter auf sich warten ließe. Plakate von Kostunica mit Kalaschnikow in der Hand zierten den Aufzug der Protestestierenden.

Doch die Angst vor einem neuem Hegemon auf dem Balkan kam nicht nur von der Straße. Auch Kroatiens Präsident Stipe Mesic stimmte in den Chor derer ein, die der EU Kollaboration mit einem Regime von Kriegsverbrechern vorwerfen: Wäre Kostunica zu einem bilateralen Treffen nach Zagreb gekommen, »hätten wir völlig andere Forderungen an ihn gestellt«. Bevor Belgrad Geld erhalte, müsse sich Kostunica zur Zusammenarbeit mit dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verpflichten.

Von der bevorstehenden Wiedergeburt der Sozialistischen Föderation Jugoslawien sprach Mesic zwar nicht, doch sein Missfallen über die Auswahl der Teilnehmer an dem Balkan-Gipfel tat er trotzdem kund. Die EU hätte auch mittel- und osteuropäische Staaten berücksichtigen und sich nicht auf die Länder des »West-Balkan« beschränken sollen, so der kroatische Präsident. Offenbar in Abgrenzung zu den beiden offiziellen Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien verwendet die EU seit einiger Zeit diesen Terminus. Vor allem das wirtschaftlich prosperierende Slowenien sowie Kroatien, jene Republiken also, die 1991 als erste aus dem jugoslawischen Staatsverband ausgeschert waren, lehnen diese Kategorisierung entschieden ab und wollen mit dem Balkan eigentlich gar nicht mehr in Verbindung gebracht werden.

Und in der Tat stellte Brüssel lediglich Albanien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und Montenegro eine Unterstützung von 4,65 Milliarden Euro in den kommenden sechs Jahren in Aussicht - bis auf Albanien allesamt frühere sozialistische Tito-Republiken. Die vom französischen Außenminister Hubert Védrine verwendete Formulierung vom »reunion summit« verstärkte bei Mesic zudem den Eindruck, die EU-Forderungen liefen auf eine rasche Reintegration des zerschlagenen jugoslawischen Bundes hinaus.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Zum einen ist bis heute unklar, wer am meisten von den EU-Milliarden profitieren wird - der amtierende Ratspräsident, Frankreichs Präsident Jacques Chirac ließ offen, nach welchem Schlüssel die Milliarden verteilt werden. Zum anderen wurde die Aussicht auf Aufnahme in die Eurozone für keines der Teilnehmerländer mit einem konkreten Termin verbunden.

Hinzu kommt, dass Mesics Behauptung, Jugoslawien werde am meisten von den Geldern profitieren, noch in Zagreb entkräftigt wurde: Belgrad werde bei den Milliardenhilfen für die Region nicht bevorzugt, stellte der deutsche Außenminister Joseph Fischer klar.

Trotz der Verärgerung Mesics über die unliebsame Konkurrenz aus Belgrad stehen den traditionell guten deutsch-kroatischen Beziehungen ein Jahr nach dem Tod von Ex-Präsident Franjo Tudjman rosige Zeiten bevor. So wurden in Zagreb die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Kroatiens mit der EU aufgenommen, und damit scheint der erste Schritt zur viel beschworenen »stärkeren Integration« der Balkan-Staaten in Europa getan.

Nach Slowenien, das bereits zu den Beitrittskandidaten zählt und Mazedonien, dessen Delegierte ein solches Abkommen in Zagreb unterzeichneten, ist Kroatien nun endgültig in die erste Klasse der südosteuropäischen Staaten aufgestiegen. Tudjmans Weigerung, mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten, und sein Umgang mit der serbischen Minderheit in Ostslawonien hatten in Brüssel bis zum Jahresbeginn dazu geführt, Kroatiens europäische Ambitionen zurückzuweisen. Nun dürften es wie schon in Slowenien vor allem deutsche und österreichische Unternehmen sein, die in die marode Wirtschaft des Landes investieren.

Um beim Run auf die Millionen nicht doch noch von Kostunica überholt zu werden, nutzte Mesic jede Gelegenheit, Jugoslawien dorthin zu verweisen, wo es bei der Planung des Gipfels durch die französische EU-Präsidentschaft im Sommer noch stand: außerhalb der europäischen Wertegemeinschaft. Ursprünglich sollte das westlich orientierte Kroatien als leuchtendes Beispiel für die Region gefeiert und der Druck auf das Jugoslawien Slobodan Milosevics erhöht werden.

Doch nach dessen Sturz und der Machtübernahme Kostunicas verwunderte es nicht, wie sehr Mesic auf jenen Punkt in der Abschlusserklärung pochte, den Tudjman immer vermieden hatte: die Kooperation mit Den Haag. Denn während sich die Balkan-Regierungschefs und -Außenminister den neoliberalen Anforderungen der EU einmütig beugten, um die Attraktivität ihrer Standorte für ausländische Investoren zu steigern, stand Kostunica mit seiner Haltung zum Tribunal isoliert da.

Auch wenn erste Soforthilfen an Serbien bereits geflossen sind - Deutschland überwies Mitte November 50 Millionen Mark, die EU 200 Millionen Euro -, könnte sich die harte Haltung des neuen Präsidenten noch als Stolperstein für die Bemühungen Jugoslawiens erweisen, in den raschen Genuss internationaler Gelder zu kommen. Weitaus dringender nämlich als die EU-Regierungschefs, die Kostunica bis zu den Wahlen in Serbien am 23. Dezember schonen wollen, bestehen die USA auf der Zusammenarbeit mit Den Haag. 100 Millionen US-Dollar, die der Kongress Belgrad im Oktober an Soforthilfe genehmigte, können wieder eingezogen werden, sollte Kostunica bis Ende März nächsten Jahres nicht eine »präsidentielle Beglaubigung« unterzeichnen, in der er sich verpflichtet, Kriegsverbrecher auszuliefern.

Bislang hat der jugoslawische Präsident dem Tribunal lediglich zugestanden, ein Büro in Belgrad zu eröffnen, Milosevic und andere Angeklagte ausliefern will er aber nicht. Kostunica lehnte es darüber hinaus immer noch ab, Präsident Bill Clinton oder Außenministerin Madeleine Albright zu treffen. Schließlich sei es so kurz nach dem Nato-Krieg sinnvoller, »die Wunden heilen zu lassen, als in ihnen zu bohren«. Das Gericht in Den Haag betrachtet er als »Spielzeug der USA«.

Gut möglich also, dass die EU sich den Antiamerikanismus Kostunicas doch noch zunutze macht, um der pax americana auf dem Balkan mittelfristig etwas entgegenzusetzen. Den ersten Schritt in diese Richtung machte die Union bereits eine Woche vor dem Gipfel in Zagreb. Im Zuge der Wiederaufnahme Jugoslawiens in die internationalen Institutionen fiel Mitte November neben dem Wirtschaftsembargo nämlich noch ein weiteres Verbot. Der serbische Geheimdienstchef Rade Markovic darf wieder in EU-Staaten reisen. Nachdem die Kostunica-Administration darauf gedrängt hatte, Markovic und 100 weiteren Milosevic-Getreuen auf diese Weise für ihr Stillhalten beim Sturz der alten Regierung in Belgrad zu danken, beschloss der Ministerrat, sie von der Liste inkriminierter Milosevic-Anhänger zu streichen. Sollte sich Den Haag ähnlich kooperativ zeigen, dürfte Kostunicas bereitwilliger Unterstützung nichts mehr im Wege stehen.